Foto-© Emily Dennison
Fünf Jahre ist das letzte Werk mit neuem Songmaterial von Matthew Halsall schon alt. Nicht, dass der britische Trompeter, Komponist, Bandleader, Produzent, DJ und Labelgründer – die Aufzählung spricht für sich – nichts zu tun gehabt hätte. Mit Salute to the Sun lässt das Multitalent jetzt nicht nur sein mittlerweile siebtes Album folgen. Er spannt auch den ganz weiten Bogen, nachdem er ihm im Vorjahr seit 2008 unter Verschluss gehaltene Aufnahmen voranstellte (Oneness, 2019): erste Gehversuche im Klangkosmos des Spiritual Jazz, an dem Halsall seitdem feilt.
Für seine Rückkehr, die thematisch erneut um das Verhältnis von Mensch und Natur kreist, ließ er sich folgerichtig von Feldaufnahmen aus Regenwäldern inspirieren, um deren Atmosphäre mit eigenen Mitteln nachzuahmen. Zum Einstieg schält sich die Improvisation Harmony with Nature daher aus einem dichten Geflecht an Soundtexturen heraus, bevor sich Halsall mit seinem unprätentiösen Trompetenspiel einführt. Den Status des Bandleaders hört man ihm dabei auf eine angenehme Art und Weise nicht an. Vielleicht liegt es an seinem Hintergrund als studierter Tontechniker – qua Beruf dazu verpflichtet, anderen zuzuhören –, vielleicht an seiner Gewohnheit, sich vom Solisten bis zum Arrangeur in vielen Kontexten zu bewegen. Wir gehen der Einfachheit halber davon aus, dass der 37jährige ein verdammt guter Musiker ist (und vermutlich ein netter Kerl obendrein).
Nachdem damit das, wie sich noch zeigen wird, wohlverdiente Lob für Mastermind Halsall abgehandelt ist, spielt in Joyful Spirits of the Universe das übrige Ensemble vor. Was sich dort um eine Kalimba-Melodie schlängelt, kann, mit den globalen Einflüssen im Hinterkopf, durchaus als Manchester Sound bezeichnet werden: die MusikerInnen leben allesamt im ehemaligen Industriezentrum des englischen Nordens. An dessen Aufstieg zur Jazz-Stadt hat Halsall einigen Anteil. Für sein Label Gondwana nahm er 2012 die lokalen Debütanten von GoGo Penguin unter Vertrag, die mit ihrem dort erschienenen Zweitwerk modernen Jazz Mercury Prize-tauglich machten, bevor sie zum Major-Schützling Blue Note weiterzogen. Spätestens seitdem ist klar, was Liverpool oder Brighton für andere Genres längst bewiesen: die Jazz-Szene endet nicht an den Toren der Londoner Metropole.
Klar sollte jedoch auch sein, dass die von regionalen Etiketten lebende Metaphernbildung im Jahr 2020 dankenswerterweise an ihre Grenzen stößt. Ja, Halsall und Matt Cliffe am Tenorsaxophon spinnen in Canopy & Stars gemächlich ihr melodiöses Netz – und bei all dem spirituellen Drumherum klingt das Album tatsächlich bemerkenswert geerdet. Aber es lässt sich nicht behaupten, die beiden verrichteten ihre Arbeit (siehe „Industriezentrum“), allein, weil abermals der perkussive Kalimba-Sound das Fundament für die lang geschwungenen Tonbögen bildet. Im Spiel der Referenzen bewegt sich der Song damit nah am Spiritual Jazz von Pharoah Sanders‘ Astral Traveling; näher etwa als an Sun Ras Raumschiff. Während letzterer seins noch besteigen muss, klingen Halsall & Co. so abgeklärt und in sich geschlossen, als wären sie gerade frisch von ihrer transzendentalen Reise zurückgekehrt. Oder um es mit irdischen Erklärungsansatz zu versuchen: gemeinsam mit den Tontechnikern George Atkins und Peter Beckmann belässt Halsall es bei einem weiten, aber klaren und ausgewogenem Sound.
So rollt Tropical Landscape mit seiner Regenmacher-Percussion nochmal das Intro neu auf, findet dann aber in seinen eigenen Groove, der das nahtlose Zusammenspiel der unter anderem an den monatlichen Sessions in Manchesters Yes-Club geschulten Band demonstriert. Selbst wer beim Jazz-Hören stets dem Saxophon den Vorzug vor der Querflöte gibt, wird immer wieder rechtzeitig vom eindrucksvollen Kerntrio aus Drums (Alan Taylor), Bass (Gavin Barras) und Klavier (Liviu Gheorghe) abgeholt. Dem hörbaren Vorbild Halsalls erweist schließlich Salute to the Sun die Ehre: nicht nur Maddie Herberts Intro an der Harfe erinnert an Alice Coltranes Journey in Satchidananda, sondern auch Barras‘ dahintrabender Kontrabass, der dem Song den gleichen, sanften Schwung mitgibt. In Halsalls rundweg erneuertem Ensemble ist Barras übrigens die einzige Konstante – er wirkte bereits 2008 am Debüt seines Bandleaders mit.
Das zum Abschluss dargebotene The Energy of Life hätte man sich bei all dem konzentrierten, zwischendurch verspielten Schwelgen in hohen Sphären wortwörtlich ein wenig früher gewünscht. Nach einer knappen Stunde endet das Album mit einem druckvollen Track, der sich wohlwollend auch als Cliffhanger verstehen ließe. Wofür? Na, für Live-Musik, irgendwann, nach diesem langen Winter. Bis es endlich soweit ist, da kann man sich auf Halsall und seine Band verlassen, spendet Salute to the Sun Hoffnung und Wärme.
Matthew Halsall – Salute to the Sun
VÖ: 20. November 2020, Gondwana
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