“We can’t control anything that happens to us. All we can do is control how we react to what life gives us.” So lautet das Mantra, dem sich Ólafur Arnalds für die Arbeit an seinem neuen Album some kind of peace unterworfen hat. Gereift klingt es, fast schon ein bisschen zu demütig. Wo bleibt da der musikalische Gestaltungswille? Soll es etwa, böse vereinfacht, heißen: wenn das Leben dir F-Moll gibt, mach‘ ein Neoklassik-Album daraus?
Es ist eine ganz eigene Stilrichtung, die der 34jährige Isländer mitbegründet hat: Neoklassik, eine Mischung aus akustischer Instrumentierung und Elektronik, die den reduzierten, repetitiven Club-Sound mit dem E-Musik-Anstrich eines Konzerthauses vermählt und dabei selten um eine romantisch-bewegte Geste verlegen ist. Der Stil gleicht, der steigenden Zahl an Fans nach zu urteilen, einem fluffigen Therapie-Schaf, für das sich immer eine Krise findet, um es als Heilmittel in die Manege zu führen. Wenn also nicht gerade die achtsamen Evergreens Introspektion und Reflexion auf dem Programm stehen, hält die Außenwelt Erschütterndes bereit.
Aber die billige Marketing-Schelte beiseite: mit Fug und Recht können wir uns gerade in diesem Jahr nach musikalischer Linderung sehnen. Und zugegeben, man sollte Arnalds nicht die ausgetretenen Pfade anlasten, in denen andere über seine Musik schreiben. Der Multi-Instrumentalist hat einen beeindruckenden Weg hinter sich gelegt, der ihn vom Hardcore-Schlagzeuger über ein Demo-Tape mit MIDI-Streicher-Arrangements zum gefeierten Komponisten und Vorreiter eines Genres führte, das ungewöhnlich polarisiert. Da wirkt es umso ulkiger, dass ausgerechnet dessen ausgesuchte Harmlosigkeit Reaktionen von einer „Neuerfindung der Klassik“ über „Kitsch“-Vorwürfe bis hin zum vermeintlichen Todesurteil „Keine Musik“ provoziert. Wer 2020 schocken will, muss einfach ein bisschen lieb sein.
Arnalds jedenfalls ruht sich nicht auf seinen Meriten aus. Auf eine Chopin-Neuinterpretation (gemeinsam mit Alice Sara Ott, 2015) und eine Zusammenarbeit mit Kollege Nils Frahm (Trance Frendz, 2016) folgten unter anderem eine Reise durch Islands musikalisches Erbe (Island Songs, 2016) und sein letztes Solo-Werk, re:member (2018), das die kompositorischen Möglichkeiten „halb-generativer“ Klaviersoftware auslotete.
Dort knüpft auch der im Corona-Lockdown entstandene Nachfolger an. Entgegen aller Erwartungen fällt der Einstieg mit Loom nicht gedankenschwer, sondern leichtgängig, ja geradezu spielerisch aus: Gast-Star Bonobos verquirlte Vocal-Samples flüstern mit wandernden Klavieren um die Wette, die nur von ein paar markigen Synthesizer-Bässen auf dem Boden gehalten werden. Aber der Reihe nach: mehrere Klaviere? Auch für some kind of peace hat Arnalds wieder mit dem Plug-In Stratus gearbeitet, hinter dessen klangvoller Beschreibung “halb-generativ” sich die Fähigkeit verbirgt, jedem gespielten Ton weitere Verzierungen hinzuzufügen. Als säßen da gleich mehrere Pianisten an ihrem Instrument, wird ein einmal angeschlagener Akkord geisterhaft zu dichten Netzen von Variationen weitergesponnen – selbstverständlich innerhalb der vorgegebenen rhythmischen und harmonischen Gefilde. Die Wirkung dieses ausgesprochen gut dressierten One-Trick-Ponys ist jedoch nicht zu unterschätzen, wie Woven Song gleich darauf zeigt. Eine Wolke aus raschelnden Tasten- und Pedalgeräusche breitet sich aus, von Arnalds mit südamerikanischem Gesang verflochten und dann sanft mit zurückhaltenden Streicher-Spuren zugedeckt. Da ist es schon, wonach wir uns gesehnt haben: ein beruhigendes, wohlig einlullendes Wiegenlied.
Arnalds wird das eingangs zitierte Album-Motto allerdings schnell zum Verhängnis. Hat er sich auf sympathische Art und Weise klein gemacht und führt zum Einstieg subtil seine Klangelemente vor, bläht er die restlichen Songs meist mit enttäuschender Verlässlichkeit auf. Das Unperfekte, das durch die Samples von Woven Song schimmerte, verrinnt in einem gleichmäßig warmen, unkenntlichen Strom aus bedeutungsschwangeren Streichern und dahinklimperndem Stratus-Piano. Dabei bleibt nichts übrig, was Arnalds Vorstellung von Frieden stören könnte: Jófríður Ákadóttir aka JFDR fügt sich auf Back To The Sky mit salbungsvollen Lyrics ein, Zero dimmt die Scheinwerfer für ein einsames Klavier ab, um es mitsamt den HörerInnen mit einem pathetischen Strahl von Synthesizer-Pad wegzupusten – selbstverständlich nicht drohend, sondern in friedvoller Erhabenheit, wie sie nur jene erreichen können, die ganz besonders achtsam sind. The Bottom Line, das dritte Feature des Albums, lässt wiederum die Chance aus, Gast Josin einfach mal dahinsingen zu lassen: passgenau setzt ein Vierviertel-Beat ein, um den sich abermals aufgeregte Streicher scharen und sich für den Höhepunkt aufplustern.
Wo liegt denn das Problem mit dieser allgegenwärtigen Harmonie? Schließlich hält das Album doch sein Versprechen: vielleicht braucht es keine ebenso vorhersehbaren Kontraste, die sich um Schwung bemühen – wir wollen doch nur Ruhe und Entschleunigung, eben unseren Frieden. Und überhaupt: ein Brian Eno, dessen Ambient-Einflüsse unverkennbar in der Neo-Klassik-Schublade durchscheinen, komponiert schließlich auch „Gebrauchsmusik“, die in nie enden wollender Ausdauer eine beinahe meditative Stimmung heraufbeschwört – Alben wie Music for Airports oder Music for Films spielen geradezu mit dem Etikett.
Der Unterschied zu Arnalds liegt jedoch abseits ihres innovativen Rufs darin, dass sie, ganz anders als ihre Titel vermuten lassen, vage genug bleiben, um Platz für eigene Assoziationen zu lassen: die Bilder, die uns vor dem inneren Auge emporsteigen, können, wie Eno kürzlich in der New York Times bemerkte, vom Raumschiff bis zur Trainspotting-Tauchfahrt in einem versifften Herrenklo reichen. Und ja, auch ein Song wie Arnalds‘ Spiral erinnert an einen Soundtrack – hier aber, weil einen beim Hören das ungute Gefühl überkommt, einer Regieanweisung Folge zu leisten: ein satter Stoß Streicher drückt auf die Tränendrüsen und fordert Melancholie ein. So ernst, wie sich Arnalds‘ Songs nehmen, gehen sie immer das Risiko ein, ihre emotionale Wirkung zu verspielen.
Einerseits positioniert sich Arnalds also zu entschieden, um die Erzählung seinen HörerInnen zu überlassen. Andererseits bleiben die Mittel, mit denen er seine eigene Geschichte erzählen will, entgegen der zu Beginn des Albums geweckten Erwartungen zu austauschbar. Am Ende engen sie die HörerInnen ein; die demütige Philosophie, das Leben auf sich zukommen zu lassen, die im Spoken-Word-Monolog von Undone zum Schluss nochmal unterstrichen wird, bleibt uneingelöst. Mehr noch, auf das Hörerlebnis übertragen, erscheint sie als Rechtfertigung, sich einem blassen Effektreigen hinzugeben, der so monoton bleibt wie die aufgebauschten Begriffe, die ihn bewerben.
Nimmt man also ernst, was Arnalds und die VerfechterInnen der Neoklassik erzählen wollen, bleibt am Ende Ratlosigkeit zurück. Lassen wir uns vorschreiben, wie Inne-Halten und Atem-Holen ablaufen sollen? Suchen wir uns lieber bei Genre-Kollegen eine andere Friedenserzählung? Oder hören wir lieber KünstlerInnen zu, die Raum für Eigenes lassen? Eine angemessene Reaktion auf das, was wir, um es mit Arnalds‘ Worten zu sagen, nicht kontrollieren können, bleibt daher, some kind of peace bis auf weiteres unter Kitsch-Verdacht zu stellen.
Ólafur Arnalds – some kind of peace
VÖ: 06. November 2020, Mercury Classics
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