Foto-© Lilas Buchanan
Death is the new sex, everybody‘s talking about it, death is the new sex, coming soon to fuck us all.
(Tunng – Death Is The New Sex)
Es ist November, wir stecken im Lockdown und erleben ein Seuchenjahr. Ausgerechnet jetzt veröffentlichen Tunng ein Konzeptalbum über den Umgang mit Tod und Trauer. Makaber, möchte man meinen. Aber die englische Band liebt so etwas. In Hands auf dem Album Good Arrows geht es um einen Mann, dessen Frau in der Notaufnahme nicht wiederbelebt werden kann. Halb so schlimm, denkt er sich: „It‘s okay, we‘re all going to end up dead and gone.“
Dieses Mal beschäftigt sich die britische Band fundiert mit dem Thema. Sam Genders hatte sich bei Brandy Schillace, Megan Devine und Atul Gawande eingelesen, dann entdeckte er einen Roman von Max Porter, der auf Deutsch Trauer ist das Ding mit Federn heißt. Der Sänger war beeindruckt und gab das Buch an die Band weiter. Auf dieser Basis entwickelte sich ein Projekt, zu dem eine Podcast-Serie gehört, in der Philosophen, Gedankenleser, eine Palliativmedizinerin und Musiker(innen) zu Wort kommen (über Spotify oder Apple Music zu hören). Rapperin Speech Debelle ist besonders auskunftsfreudig und spricht darüber, wie man in Jamaika mit dem Tod umgeht, wie die Sklavenhistorie und spirituelle Dinge eine Rolle spielen. Gleichzeitig betrauert sie das Ableben ihres Bruders drei Wochen vorher. Das berührt und ist lehrreich.
Tunng sind unverkennbar britisch, pastoral und melodiös zugleich, man entdeckt Naturgeräusche, akustische Instrumente und elektronische Beats. Als Vorbilder fallen Robert Wyatt und Kevin Ayers, aber auch The Beta Band und Gruff Rhys ein, vielleicht auch der frühe Four Tet. Zusammengefasst nennt es sich Folktronica. In einer Industrie, die oft genug auf den grellen Flash aus ist, setzen Tunng auf subtile Mitteilung. Genders hat eine milde Stimme, die blendend mit der von Kollegin Becky Jacobs harmoniert. Es wird nicht geschrien, man sinniert. Das gefühlvolle Vorgehen wirkt einladend und vertraut. Die Band gibt es seit 2003, dies ist ihr achtes Album. Sie treten wieder in der Urbesetzung an – der zwischenzeitlich ausgestiegene Genders lässt seine Soloaktivitäten unter dem Namen Diagrams ruhen, weil es gemeinsam besser ist.
Tod ist der neue Sex, heißt es an einer Stelle. Das hört sich reißerisch an, tatsächlich will man sofort in den fast feierlich anmutenden Refrain einstimmen (siehe oben). Danach geht es um die schwedische Angewohnheit des Death-Cleaning. Viele Bürger des Landes trennen sich vor dem Tod von Besitz. Auch jüngere Leute entsorgen nicht bloß Tinnef, auch Briefe, Fotos, Literatur, Haushaltsgegenstände und „the old toys in the shed“. Auch dieser Song ist sehr catchy. In A Million Colours kommen erst Streicher, Handclaps und Groove zusammen, dann gibt es einen dramatischen psychedelischen Break und schließlich spricht Ibrahim Ag Alhabib von Tinariwen aus Tuareg-Sicht über den Exitus. Auf diese Weise dringt man immer wieder aus verschiedenen Richtungen ins Thema ein. Einerseits ist es Therapie, andererseits bleibt es locker. Die Balance wird gehalten.
Abschließend sieht es Max Porter in Woman poetisch. Mit dem Beitrag des Schriftstellers schließt sich der Kreis. Die Lehre aus allem? Irgendwie ist alles nicht so tragisch. Man muss es nicht so (str)eng sehen, mit den Umständen leben. Und hat Dylan nicht schon „Death Is Not The End“ gesungen? Genau.
Tunng – Tunng Presents…DEAD CLUB
VÖ 6. November 2020, Full Time Hobby
www.tunng.co.uk
www.facebook.com/thisistunng