WAITING FOR THE BARBARIANS – Filmkritik

„Pain is truth“ 

(Colonel Joll – Waiting for the Barbarians)

Was ist wichtiger – Pflichtgefühl oder Vernunft? Eine oft gestellte Frage vor allem in Sphären mit starken Machtgefällen wie Diktaturen, Sicherheitsbehörden oder dem Militär. Viele haben schon ihr Leben verwirkt, weil sie sich für das vermeintlich Richtige gegen ihre Pflicht gestellt haben und damit Geschichte geschrieben. Regisseur Ciro Guerra erzählt mit Waiting for the Babarians eine solche Geschichte. Und vergisst dabei, dass das Richtige auch falsch sein kann.

Ein fernes Land. Wild, ungestüm und von Bergen durchzogen. Und mittendrin eine kleine, aus Sandstein gebaute Grenzstadt eines nicht genannten Empires. Was ihr Sinn ist, was ihr Ziel, bleibt ungewisse. Doch wirkt sie, als brauche sie auch gar keine Daseinsberechtigung. Sie ist einfach. Regiert vom Magistrat (Mark Rylance) frönt sie ihrer friedlichen Existenz und gibt dabei den Charme eines exotischen Urlaubsressorts – sauber, freundlich, endlos. Doch jedes Paradies wird irgendwann gestört – in diesem Fall von in schwarz gekleideten Truppen aus der Heimat. Hierhergekommen, um nach Recht und Ordnung zu sehen. Angeführt von Colonel Joll (Johnny Depp) tragen sie den Willen des Empires in seine entfernten Grenzländer. Und genauso hart wie das Gesicht des Colonels sind auch seine Maßnahmen, mit denen er seine Ziele verfolgt. Wie ein leiser, sehr präziser Pfeil trifft er auf das kleine, von Empathie geprägte Reich des Magistrats. Auf der einen Seite, in schwarz gekleidet, der Innbegriff von Ordnung durch Macht, auf der anderen, weiß wie ein Engel, der Magistrat als Beschützer der Armen und Schwachen.
Es ist ein Duell zweier unebenbürtiger Kontrahenten, dessen Ausgang gewiss zu sein scheint. Ein Symbol für das Weltgeschehen, in dem immer Macht über Mitgefühl zu siegen vermag.

Und auch ein Abbild dafür, was für eine verengte Weltanschauung es ist, wenn sie einfach in Gut und Böse eingeteilt wird. Waiting fort he Babarians erzählt nicht einfach nur von fernen Ländern und fremden Kulturen. Nein, er will auch das Fundament des europäischen Wohlstands, den Kolonialismus, angreifen und zeigen, welch verheerende Wirkung der weiße Mann auf die Welt hatte. Doch wie es nun oft so ist, wenn weiße Männer über die Verbrechen weißer Männer urteilen, wird die Geschichte gerne mal so gedreht, dass der Täter am Ende auch gleichzeitig der Erlöser ist. So auch in Guerras Film: Der Kolonialmacht, die das einheimische Volk wie Fremde in ihrem eignen Land behandelt und sie an den Rand der Auslöschung treibt, steht nur ein weißer Protagonist entgegen, der die armen, unterdrückten Einheimischen heroisch beschützt. Sich selbst als Retter darzustellen, obwohl Teil der herrschenden Klasse, ist eine ganz spezielle Form der Verklärung. Unterschwelliger, heimtückischer und mindestens genauso gefährlich wie zu sagen, es gäbe gar keine Unterdrückung. Schon oft war das das Narrativ, mit dem Rassisten, Sexisten und Faschisten versuchten, die Seiten zu wechseln und sich selbst aus der Affäre zu ziehen: Der Weiße, der Schwarze vor anderen Weißen beschützt, der Deutsche, der Juden vor Nazis rettet oder der Mann, der Frauen Feminismus erklärt.

Waiting for the Babarians spielt mit einem Feuer, dass eigentlich längst erloschen sein sollte und ist damit einfach nur fehl am Platz.

Regie: Ciro Guerra
Darsteller: Johnny Depp, Mark Rylance, Robert Pattinson, Greta Scacchi
Heimkino-Start: 5. November 2020, Constantin Film (Universal Pictures)

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Julius Tamm

Hat irgendwas mit Medien studiert, schaut gerne Filme und schreibt auch noch drüber. Autor bei bedroomdisco, FRIZZ Darmstadt, hr-iNFO Online und hessenschau Social Media.

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