Foto-© Elizaveta Porodina
Wenige Künstlerinnen haben vor ihrem Debütalbum so viele Preise eingeheimst, sind zur prominentesten Sendezeit bei der BBC aufgetreten und mussten mit so einem Hype umgehen wie Celeste. Die Soulkünstlerin aus England ist schon jetzt bekannt für ihre gefühlvollen Auftritte, aufwändigen Kostüme und das Talent, in ihren Texten mehrere Bedeutungsebenen einzubauen und sie trotzdem nicht zu überladen. Am 29. Januar erschien dann endlich ihre Platte Not Your Muse. Die Kritiken überschlugen sich vor Lob. Wir haben im Januar mit Celeste telefoniert und im Gespräch wiedergefunden, was auch in ihrer Musik steckt: Ein intelligenter Blickwinkel, der weit über das Ich hinaus geht und trotzdem klar und bestimmt ist.
So verwundert es nicht, dass Celeste sich Zeit gelassen hat, dieses Album zu schreiben. Als sie vor drei Jahren begann, ins Studio zu gehen, wusste sie zwar, dass jeder der entstehenden Songs potenziell Teil des Debüts werden könnte, so richtig angekommen im Prozess sei sie aber erst nach zwei Jahren: „I only really started thinking about those songs I was writing as part of an album two years into that process. I started focussing on the songs I liked and identified what I was missing. It was only about last year when I started to fill in the gaps.” Und auch wenn diese Lücken anfangs bedrohlich wirkten, schlossen sie sich nach und nach und es entstand ein großes Ganzes. Sie weiß allerdings auch, dass der Prozess bei der nächsten Platte vermutlich ganz anders aussehen wird – vor allen Dingen fokussierter: „Before it was a bit like a stab in the dark and I had a song that I really liked and wanted to put on the album. Now, I have learned the part to trust in and put the most focus in is the initial piece of song writing – hearing the chords and feeling your emotional connection.”
Der Titel des Albums spricht Bände darüber, wie sie der exorbitanten Erwartungshaltung ihr gegenüber begegnen möchte, im gleichnamigen Track singt sie „You’ve mistaken me for your masterpiece.“ Celeste beschreibt, dass sie sich aufgrund der vielen Zuschreibungen eine Weile selbst nicht einordnen konnte: „With the praise came some pressure and with that came people implanting their ideas of they thought I should be. At some point, I lost sight of what I really wanted to say. […] In the process of making this album, I came back to a place, where I found that power again to trust in myself and to trust in who I am.” Die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Muse hat sie jedoch auch auf einem intellektuellen Level schon eine Weile begleitet. Wie wir alle hat auch sie im letzten Jahr sehr viel Zeit zuhause verbracht und diese genutzt, um sich inspirieren zu lassen: „Music was my interest but has become my work. It allows me to go into the world of fashion and to go into the world of video. It is an amazing umbrella. But, when I have been at home a lot more, I have had the chance to look in depth again a lot more. By reading about artists again, looking at art and reading poetry, I became intrigued by this relationship and dialogue that seems to never have died throughout time – the relationship between the artist and the muse.” Da war es wieder, das Bild vom Podest und der fast göttlichen Verehrung, gepaart mit der Erwartung an die Muse, die Botschaft der Künstlerinnen und Künstler zu verkörpern, statt sich selbst zu verwirklichen. Während sie spricht, merkt man, wie tief sie in dieses komplizierte Beziehungsgeflecht eingestiegen ist, das so gut zu ihrer Situation passt: „The more the pressure is applied, the less the muse can reach that pinnacle the artist is expecting them to, because they have lost sight of themselves within that process. In the process of me making this album, I felt confident again to fill the shoes of the artist rather than the muse in this metaphor.“
Mit ihrem Album wollte sie einen Schritt vorwärts machen, ihr eigenes Terrain abstecken und gleichzeitig anderen Grenzen aufzeigen, ohne sie zurückzuweisen. „I like to take advice and influence from people, I do not want to disregard that by any means. It is really important to listen to those around you. But there came a moment when people were feeling pressure for me to succeed because of the pressure that meant in their lives and in their careers. That began to taint how I engaged with my own process and I had to find a way back to that. Otherwise, I was not doing what I thought was very good.” Was ist dann die Lösung? Die Projektion ist ein essenzieller Teil von Kunst. Die eigene Muse sein? Das Konzept der Muse ausklammern? Der Glamour, der mit dem Konzept der Muse in Verbindung steht, ist natürlich anziehend und fruchtbar, findet Celeste. Aber vielleicht ist es tatsächlich am besten, die eigene Muse zu sein: „It is not about being your own creator. You are not a kind of God. It is about being poised enough to present yourself in the way that you know is true to yourself rather than taking on the form or the shape of what you think other people want to see or hear.” Nur noch einmal zur Erinnerung: Das Debütalbum erschien letzte Woche. In ihrer Musik und im Gespräch kann man erahnen, wie viel Druck auf jungen Künstlerinnen lastet, deren Erfolg sich schon vor der ersten Platte eingestellt hat. Dürfte man doch meinen, diese Situation ist Wunschtraum von vielen, scheint die Arbeit, die eigenen Stimme zu behalten, immens. Celeste hat das gemeistert.
Selbstverständlich ist Celeste trotzdem eine Künstlerin, die für etwas steht. In früheren Interviews hat sie gesagt, dass sie gerne die Identifikationsfigur für junge PoC sein möchte, die sie – aufgewachsen in einer größtenteils weißen Umgebung in England – nicht hatte. Allerdings betrachtet sie auch diese Position gewohnt differenziert: „Sometimes the assumption is that growing up as a mixed-race person or person of colour growing up in a predominantly white culture could be difficult. If I look back on it, I did not really see it like that. […] My mum, who is white, brought me up not feeling any different. She never implanted this idea that life might be tricky or difficult for me because my skin is a different colour than hers. In a way that helped me. Even if that might be a naivety – and I am still figuring that out – because of that I did not feel that there were any boundaries or things I could achieve because of something I was never going to be able to change.” Als junge Frau war ihre Hautfarbe nie Teil ihrer Identitätsfragen oder Unsicherheiten, sagt sie. Trotzdem habe sie gelernt, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben. Die vielen Aspekte, die Identitäten ausmachen, werden oft über Differenzen definiert: Sie war die Tochter einen alleinerziehenden Mutter im schicken Brighton, sie wurde in Amerika geboren, sie war schon immer größer als ihre Freund:innen, der starke Londoner Akzent ihrer Familie stand im Gegensatz zu ihrer eigenen Sprache… Das Wissen um das Anderssein kam nicht vordergründig durch die Auseinandersetzung mit ihrer Hautfarbe, sondern ist viel komplexer als das. Trotzdem war diese Andersartigkeit nicht unbedingt an ein Hadern gekoppelt: „I always felt comfortable being different. It was embraced by those who were close around me. As I got older, I felt in the position to be able to take that further and further, because I did not feel a limitation in self-exploration. I was never shamed or embarrassed for trying something that was sort of avantgarde or peculiar.”
Auch ihr Soulsound ist etwas, dass Celeste von anderen unterscheidet. In Zusammenhang mit ihr und anderen Künstler:innen wird häufig über das Comeback des Soul in den Mainstream diskutiert, sie wurde eine Art Aushängeschild dieser Bewegung. Celeste arbeite mit dieser Musik schon so lange, dass es falsch wäre, sie als Produkt eines Trends zu verstehen. Sie ordnet dieses Phänomen gelassen ein. Sie denkt, dass der Mainstream immer etwas Zeit braucht, um sich an neue Klänge, aber auch neue Ideen zu gewöhnen. Das sei schon bei Nina Simone so gewesen und auch im heutigen England sehe man es an der grime music, die fast 20 Jahre gebraucht hat, bis sie im Mainstream angekommen sei. Wenn es um Soul geht, rechnet sie die Arbeit, das Genre neu zu interpretieren, Michael Kiwanuka an: „He has been doing that for such a long time. He has never changed what he was doing, he has simply evolved. He is the one who set that trend. It is a matter of things coming back around and people being ready.” Dass die Musikwelt bereit ist für Celeste für ihre wunderbaren Songs hat sich gezeigt. Hoffen wir, dass dieser Trend so schnell nicht vorbei geht und sie uns noch lange als reflektierte und differenzierte Stimme erhalten bleibt.