Foto-© Tim Wettstein
Prost, mein Schatz, auf uns und unsre Dummheit
Ich frag’ dich nicht aus Mitleid:
„Was ist los, mein Schatz?“
Du bist zu ruhig, um ruhig zu sein
Fang endlich an mich anzuschrei’n
Prost, mein Schatz, auf menschliches Versagen
Diesen Scheiß muss man ertragen
Solang man Hoffnung hat
[Refrain]
Ich schenke ein und dir kein Lächeln mehr
Ertränk’ gekonnt mein Tränenmeer
Alleine in der Menge geht’s mir gut
(Steiner & Madlaina – Prost mein Schatz)
Zweite Alben sind eine Wissenschaft für sich: mehr Druck, weniger Zeit, aber auch mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein. Aus dieser Mischung entstand das Zweitwerk der Schweizerinnen Nora Steiner und Madlaina Pollina aka Steiner & Madlaina. Und was für eins! Die beiden Schulfreundinnen veröffentlichten nach einer EP 2015 (Ready To Climb) 2018 ihr Debüt Cheers und spielten unglaublich viele Konzerte – als Vorband für Faber und Element of Crime oder auf großer Festivaltour. Mit der Routine kam auch die Vision für die neue Platte: Band statt zweistimmiges Duo, der Sprachmix verschwand zugunsten von Deutsch, die Texte wurden persönlicher, frecher und auch kritischer. Der etwas rotzige Charme der beiden Frauen blieb. Der Sound ist dicker geworden, genau wie die Ansagen. Neben den Zürcherinnen spielen Leonardo Guadarrama (Schlagzeug), Nico Sörensen (Bass) und Max Kämmerling (E-Gitarre). Trotz aller Power beleuchten die beiden auch verletzliche Seiten, die schonungslos ehrlich und durchaus selbstkritisch hergezeigt werden. Wünsch mir Glück ist ein mutiges Album. Es erscheint am 12. Februar bei Glitterhouse.
Die vorab ausgekoppelte Single Wenn ich ein Junge wäre (Ich will nicht lächeln) fasst den neuen Vibe der Band perfekt zusammen. Wütend, laut und clever wird mit Sexismus abgerechnet: „Ich kann tun und lassen, was ich will, wann ich will / Du regst dich auf, dann geh weg, sei mal lieber still / Blockieren unsere Straßen, bis es jeder Mann kapiert / Wir sind viele, wir sind wütend, wir sind motiviert“. Der neue Klang ist rockiger, treibender, eingängiger Pop und hat Ohrwurmpotenzial. Thematisch im gleichen Feld spielt Ciao Bella. Der basslastige Sound und die lässig vorgetragenen Lyrics erzählen von den Problemen eines Chauvinisten mit den Frauen am Arbeitsplatz: „Ich stell Sie gerne ein trotz Kritik aus meinen Reihen / Sie hatten Bedenken, ob Sie der Welt noch Kinder schenken / Das ist für uns ein Risiko / Ich denk, wir machen’s einfach so / Wir kürzen Ihr Gehalt / Sie werden schon gut genug bezahlt“. Die neue Rhythmuslastigkeit der Band kommt auch bei Prost mein Schatz zutage – einer weiteren Vorabsingle. Das Lied handelt von einer offensichtlich bevorstehenden Trennung, gegen die niemand mehr etwas tun kann. Die Liebe endet, aber es stellen sich keine Wut, sondern Traurigkeit und ein Hauch Wehmut ein. Dabei ist der Gesang von Madlaina Pollina so eindringlich und wenig ausgeschmückt, dass es weh tut. Auch Casanova thematisiert die Liebe – naja, zumindest das Flirten. Der Sound ist sexy, säuselnd und unaufgeregt. Auch bei Denk Was Du Willst geht es um Verführung, allerdings weniger spielerisch, sondern eher fatalistisch. Der Track ist die große Schwester von Prost Hawaii des Debüts: dem Nachgeben von Wünschen, dem Einlassen auf eine Begegnung, obwohl man es eigentlich besser weiß und das entschiedene „Was soll’s“. Den eigenen Schwächen ins Auge blicken und sie zu umarmen, das ist ein Kernmotiv der Platte. Es geht mir gut ist ein vordergründig fröhlicher Song, bei dem die selbstironische Gesellschaftskritik nicht lange auf sich warten lässt. So verhält es sich auch mit der neuen Single Heile Welt. Es geht um die privilegierte Stellung der Schweiz und Europas in der Welt – Kritik an der Wohlstandgesellschaft: “Weil Menschlichkeit sich auf Dummheit reimt / Hat der Zeitgeist bereits vor Jahren gezeigt / Wer was hat, der kommt weit / Wer’s behält und nicht teilt”. Als vorletzter Song kommt das namensgebende Wünsch mir Glück dann in sehr vertrautem Gewand daher. Das gefühlvolle – aber natürlich auch etwas traurige – Fast-Liebeslied ist purer als die anderen Tracks der Platte. Und es ist schön, dass die alten und die neuen Steiner & Madlaina auf einem Album vereint sind, das so viele inhaltliche Perspektiven wie Klangeindrücke bietet.
Mit Wünsch mir Glück besiegeln die beiden, dass Steiner & Madlaina vielleicht die coolste Band ist, die das deutschsprachige Universum gerade so zu bieten hat. Die Platte führt vor, dass Songs besser werden, je ungefilterter sie an den Künstler:innen dran sind, dass auch das gefürchtete zweite Album der große Wurf sein kann und dass Frauen mit symbolisch ausgestrecktem Mittelfinger einfach befreiend sind.
Steiner & Madlaina – Wünsch mir Glück
VÖ: 12. Februar 2021, Glitterhouse
www.steiner-madlaina.com
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