“You won’t be needing your watch this weekend anyway, because you’re on Jesus’s time”
(Nina – Yes, God, Yes)
Alice (Natalia Dyer) ist eine ganz normale Teenagerin in den frühen 2000ern, die anfängt ihre Sexualität zu entdecken. Alice wächst in der erzkonservativen christlichen Mitte der USA auf. Alice hat Angst für ihre neuen Gefühle auf ewig in die Hölle verdammt zu werden und dennoch scheinen alle um sie herum, jung wie alt, die ihr gegenüber gepredigte Moral weniger ernst zu nehmen als sie. Alice ist verwirrt.
Ob das christliche Sommercamp diesen Zustand behebt oder verschlimmert, erzählt euch Regisseurin und Autorin Karen Maine in sehr unterhaltsamen 78 Minuten. Obgleich Natalia Dyer, bekannt und beliebt aus Stranger Things, mit Mitte 20 eigentlich etwas alt ist um eine Teenagerin zu spielen, kauft man ihr die junge, verunsicherte Alice in jeder Szene ab. Ungläubig und mit großen Augen beobachtet sie eine Welt, die sich nicht an die Regeln zu halten scheint, die man ihr aufbürdet. Dabei ist sie alles andere als eine Rebellin, sondern versucht, gefühlt als einzige, alle Regeln einzuhalten. Als Zuschauer teilt man dabei den Frust, dass ausgerechnet dem bibeltreuesten Mädchen im Raum, ständig Vorwürfe gemacht werden. Doppelmoral, Ahnungs- bis Hilflosigkeit der Erwachsenen sowie übertriebene Maßregelung der erzkonservativen christlichen Erziehung werden dabei sehr schön herausgearbeitet und entlarvt. Der Film könnte somit, auch wegen der bei Jugendlichen beliebten Darstellerin, ein fantastischer Begleiter in der Pubertät sein. Hier stellt das Setting in den frühen 2000ern mit AOL- Chatgruppen und Nokia 6110 (immerhin schon mit Vibrationsalarm;) jedoch, neben dem US Setting im allgemeinen und dem Christen Camp im Speziellen, eine weitere Verständnishürde dar. Die Welt damals war schon ein klein wenig einfacher und langsamer. Eventuell ist es aber gerade dieser zeitgeistliche Disconnect, der es am Ende Jugendlichen von heute ermöglicht sich in die Protagonistin hineinzuversetzen und die eigenen Probleme in ihrem Alltag wieder zu erkennen. Denn anstatt direkt eigene Missstände aufgezeigt zu bekommen, kann man sich so langsam in die Protagonistin hineinfühlen. Machen wir uns nichts vor, auch heutzutage ist es als Jugendlicher schwierig, sich mit Themen wie Sexualität und Glaube auseinanderzusetzen. Und Mädchen sowie jungen Frauen werden leider auch heute noch alte, verstaubte Regelwerke vorgepredigt.
Ob diese Aufklärungsarbeit oder schlicht ein Einblick in erzkonservative US Communities die Zielsetzung des Films ist, bleibt ein Stück weit offen. Der Fokus liegt aber eher auf Ersterem. Wo derart extreme christliche Camps in Deutschland eher eine Randerscheinung sind, würde sich sonst auch kaum jemand in der Kernzielgruppe des Filmes befinden. Andererseits ist im Alltag der Erzkonservativen doch einiges genau wie bei dem Rest der westlichen Welt, so dass auch all jene, die in der Zeit in Deutschland aufgewachsen sind, zusätzlich zu der wichtigen Botschaft eine gute Portion Nostalgie mitbekommen. Uns in den 2000ern aufgewachsenen kann der Film zwar nicht mehr beim Erwachsenwerden helfen, aber vielleicht ja bei der Erziehung. Und so sollte eigentlich jeder ein bisschen was aus Yes, God, Yes für sich mitnehmen können, ob für sich selbst oder die Erziehung der nächsten Generation. Alternativ ist man immer noch knapp 80 Minuten lang gut unterhalten worden und das kann ja eigentlich auch keine Sünde sein.
Yes, God, Yes (US 2019)
Regie: Karen Maine
Darsteller: Natalia Dyer, Francesca Reale, Alisha Boe, Allison Shrum, Matt Lewis
Heimkino-Start: 05.11.2020