Foto-© Daphne Nguyen
Während aktuell die erste Lockdown-Phase ihr einjähriges Jubiläum feiert, die Sonne sich immer öfter blicken lässt und man im Lockdown-Blues auf baldige Lockerungen hofft, gibt es an der musikalischen VÖ-Front immer mehr Hoffnungsschimmer in Form von neuen, hochkarätigen Veröffentlichungen! Unserer Lieblingsalben im März:
1. Middle Kids – Today We’re The Greatest (VÖ: 19.03.21)
Der Nachfolger des gefeierten 2018er-Debüts des australischen Trios Middle Kids entstand mit der Hilfe von Produzent Lars Stalfors (St. Vincent, Soccer Mommy, Purity Ring) in Los Angels, beinhaltet oberflächlich eine ganze Bandbreite an süchtig machenden Indie-Pop-Mitsing-Hymnen, während die zu tiefst persönlichen Lyrics und seelischen Abgründe von Songwriterin Hannah Joy die äußere Fassade der Ohrwürmer immer wieder zum bröckeln bringen. Über das Album sagt sie: “I want to make music that loves its listener. Music that makes people feel seen, seen in the tiny little places that hide away in their hearts. I want people to hear our music, and feel a sense of love. And when I say love, it can be challenging, intense and tough. But it’s in the guts.” Weiterhin fügt sie hinzu: “It can be easier to live dualistically, splitting the world in two. We want to be able say it’s this or it’s that, but sometimes it’s both — and can we hold both? Can we hold the brokenness? Can we hold the beauty? That has definitely been a defining bit of this album, the fragility in that dance.” Die Band aus Sydney ist auf jeden Fall auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und serviert ein Album voller eingängiger, wie tiefgründiger Melodien. Unser Liebling des Monats!
2. Ben Howard – Collections From The Whiteout (VÖ: 26.03.21)
Der britische Songwriter Ben Howard entfernt sich immer weiter von seinen zu Beginn noch mit Pop versetzen Songwriter-Perlen und richtet seine Songs in immer verkopfteren Gewändern an. Und in dieser Hinsicht ist sein neues Album, sowie die Zusammenarbeit mit Aaron Dessner von The National als Produzent der naheliegende nächste Schritt. Inhaltlich ist Collections From The Whitehose ein akustisches Scrapbook voller Geschichten, inspiriert von teils kuriosen News und Schlagzeilen. Sie erzählen vom Tod des Amateurseglers Donald Crowhurst; der russischen Betrügerin Anna Sorokin; von Richard Russell, dem Mann, der in Seattle ein Flugzeug stahl und zum Absturz brachte; und der zerstückelten Leiche, die ein Freund seines Vaters in einem Koffer fand, der in der Themse trieb. Und von einem England, das durch politische Empörung und Machtkämpfe ins Absurde aufgeblasen wurde, sowie persönlichen Anekdoten aus Bens Zeit zwischen Paris, Devon und Ibiza. Keine leichte Kost, auch wenn immer mal wieder zwischen den verschachtelten Song-Stücken das Einzigartige dieses Ausnahmekönners durchblitzt. Und die Songs auf Albumlänge besser funktionieren als einzeln im Single-Format.
3. Tune-Yards – sketchy. (VÖ: 26.03.2021)
Kunterbunt geht es seit jeher in den Produktionen der US-amerikanischen Musikerin Merrill Garbus daher, nun folgt der nächste vielschichtige Album-gewordene Blumenstrauß: sketchy., das nunmehr fünfte Studioalbum von Garbus mit ihrem langjährigen Mitstreiter Nate Brenner sorgt im März für ordentlich Sommergefühle! Nachdem das letzte Album I can feel you creep into my private life 2018 auf 12 Songs Themen wie Geschlechterteilung, Politik, Feminismus und die nach wie vor um sich greifende Umweltverschmutzung behandelte, hinterfragt sich das Duo auf dem neuen Album selbst. „We had really been non-stop hustling,“ reflektiert Merrill, die zwischen 2009 und 2018 vier hoch gelobte Alben als Tune-Yards veröffentlicht hat, durchgängig auf Tour war und zusätzlich noch den Score zum surrealistischen Boots Riley-Film Sorry To Bother You kreierte. „And when we’re hustling, we’re complicit in all of the systems that I really don’t believe in.“ Ihre eigene Rolle in den von ihr so verhassten, eingefahrenen Systemen, lähmte Merrill, ohne Idee, wie sie nun weitermachen sollte. Inspiriert vom Buch der Beastie Boys und von Questloves Creative Quest machte sich das Duo daran täglich für mehrere Stunden in ihrem Proberaum zu jammen, um sich ähnlich wie Athleten vor einem Wettkampf zu trainieren. Dabei tauschten sie Computer-Samples gegen Live-Instrumente ein (Merrill an den Drums, Nate am Bass) und schon nach kurzer Zeit entstanden die ersten neuen Songs. Das Ergebnis ist ein farbenfrohes und fröhliches Album mit Lyrics, die es in sich haben. „I started remembering that people come to us to be entertained, to move, to feel joy. And together, I think, we can wake up.”
4. The Paper Kites – Roses (VÖ: 12.03.21)
Zuletzt wagten schon unsere Lieblings-Melancholiker von The National für ihr aktuelles Album I Am Easy To Find einen neuen Weg und brachen das normale Band-Muster mit diversen weiblichen Features auf – die australischen Band The Paper Kites folgt ihnen auf einem ähnlichen Weg! Denn für ihr mittlerweile fünftes Album Roses, das am 12. März 2021 via Nettwerk erscheinen wird, entstanden alle Songs mit weiblichen Features! Die externen Gesangseinlagen zu den zehn Songs stamen von Lucy Rose (UK), Julia Stone (AU), Nadia Reid (NZ), MARO (PT), Aoife O´Donovan (US), Rosie Carney (IE), Ainslie Wills (AU), Amanda Bergman (SE), Lydia Cole (NZ) und Gena Rose Bruce (AU). Dazu sagt Frontmann Sam Bentley: „Ich habe die Songs geschrieben und wollte schon immer ein Album wie dieses machen. Aber ich hatte die Idee schon fast wieder verworfen, weil es mir zu schwierig vorkam. Es ging darum, die richtigen Stimmen für die jeweiligen Lieder zu finden – Künstlerinnen, die nicht nur singen konnte, sondern auch etwas Tiefgründiges und Bewegendes in der Art und Weise haben, wie sie singen – und das ist sehr selten!”
5. The Antlers – Green to Gold (VÖ: 26.03.21)
2009 sorgte das dritte Album Hospice, das die Geschichte einer tragischen Liebe zwischen dem Erzähler und einer todkranken, an Knochenkrebs leidenden Frau erzählt, für den großen Durchbruch des Bandprojekts The Antlers von Peter Silbermann. Es folgten die Alben Burst Apart (2011) und Familiars (2014)…und darauf sieben Jahre Veröffentlichungs-Stille! Doch nun folgt endlich das neue Album Green to Gold – mit einem besonderen Ansatz, wie Silbermann betont: “I think this is the first album I’ve made that has no eeriness in it…I set out to make Sunday morning music.” Die aufgestauten Emotionen in der Stimme von Sänger und Songwriter Peter Silberman verbinden sich mit melancholischen Indie-Pop-Instrumentals, um die sich zurückhaltende Melodien und Klänge ranken. Auf dem neuen Alben thematisieren die US-Amerikaner einen allmählichen Wandel, unbeschwertere Zeiten und versuchen die Leichtigkeit der Jugend zu beschwören, bevor das Leben komplizierter wurde. „People changing over time, struggling to accept change in those they love, and struggling to change themselves“, sagt Silberman und fügt hinzu: „And yet despite all our difficulty with this, nature somehow makes it look easy.“ Dass es ein neues Album der Band um Silbermann gibt, ist dabei schon ein großes Glück, war er selbst doch zwischenzeitlich nicht sicher, überhaupt noch Musik machen zu können, nachdem er sowohl sein Gehör zeitweise verloren hatte, als auch eine Verletzung an seinen Stimmbändern diagnostiziert wurde.
Newcomer:
1. Dodie – Build A Problem (VÖ: 05.03.21)
Gerade mal 25 Jahre alt, hat sich die britische Künstlerin dodie bereits als Sängerin und Schriftstellerin einen Namen gemacht! Sie hat zwei Top-Ten-EPs herausgebracht, ausverkaufte Headliner-Shows gespielt, ihr folgen 1.1 Mio Menschen auf Instagram, 1 Mio auf Twitter, knapp 2 Mio auf youtube und über 2 Mio hören und liken ihre Musik und Clips bei Spotify oder TikTok. Und obendrauf ist sie auch noch Botschafterin der Wohltätigkeitsorganisation Unreal, die versucht, das Bewusstsein für Depersonalisation und Derealisationsstörungen zu schärfen. Man glaubt es kaum, aber trotz all dieser Erfolge hat dodie ihr Debütalbum noch nicht veröffentlicht – dieses wird nun in Form der 14 Songs von Build A Problem am 5. März erscheinen.
2. serpentwithfeet – DEACON (VÖ: 26.03.21)
2018 sorgte der in Baltimore aufgewachsene und in LA lebende Künstler mit seinem Debütalbum schon für Aufsehen – mit DEACON kehrt er nun zurück mit einer Album-gewordenen Studie, die sich mit schwarzer, schwuler Liebe und der Zärtlichkeit in den besten Partnerschaften, ob romantisch oder nicht, auseinandersetzt. Vollkommen selbstverwirklicht und mehr denn je der persönlichen Entfaltung gewidmet, zeigt es serpentwithfeets Wachstum als Songwriter, indem er geradlinige Ansätze zum Ausdruck bringt. Das Album entstand, nachdem serpentwithfeet nach Los Angeles umgezogen war, eine Stadt, die ein Gefühl der Ruhe vermittelt, ein Aspekt, den er in seiner neuen Musik einfangen wollte. Während der Entstehung des Albums traf serpentwithfeet die bewusste Entscheidung, Songs über Herzschmerz auszuschließen. Das war ein kühner Akt für R&B, ein Genre, das im wahrsten Sinne des Wortes von den harten Realitäten des Blues geprägt ist. Zeit mit Pop-Songwritern zu verbringen und zu beobachten, wie sie mit Sprache umgehen, ermutigte serpentwithfeet, lyrisch mehr Risiken einzugehen, was zu mehr Reinheit führte. Außerdem mit dabei: Sampha, Lil Silva und Nao!
3. Mira Lu Kovacs – What Else Can Break (VÖ: 26.03.21)
In Österreich ist Mira Lu Kovacs schon eine bekannte Stimme und Persönlichkeit, war sie doch ehemals bei Schmieds Puls dabei, spielt Gitarre und singt bei der Supergroup My Ugly Clementine und auch bei der Experimental-Avantgarde-Pop-Formation 5K HD ist sie als Frontfrau dabei…nun kehrt sie mit ihrem ersten Solo-Album explizit unter ihrem Namen wieder und findet einen neuen musikalischen Unterschlupf, abgrundtief und geborgen. Mira Lu Kovacs macht für das postpatriarchale Zeitalter klar: Gefühle zu zeigen ermächtigt. Radical Softness ist das Werkzeug der Rebellion. Viele Songs auf What Else Can Break fungieren wie entwaffnende Traumfrequenzen, ziehen von einem Gefühlsdestillat ins nächste…Von Stuck bis Stay A Little Longer zieht Mira Lu Kovacs aus ihren Liedern einen Schmerz, der uns spüren lässt, dass es sich in dieser Scheiß-Welt zu leben lohnt. Off you go: Düster, leichtfüßig, beruhigend, trauernd, augenzwinkernd, beschwingt.
Wiederkehrer: Courtney Marie Andrews – Old Flowers (VÖ: 24.07.20)
Der Musikexpress wusste in seiner Album-Kritik zu berichten: „Trauerarbeit in wunderbare Country-Songs gegossen…Das Americana Album des Jahres“ – Und wahrhaftig, das Album der gefeierten Songschreiberin ist ein schmerzhafter Lichtblick im Musikjahr 2020, dessen Nachhall uns bis heute begleitet und immer wieder packt. Kein Wunder – das von Andrew Sarlo (Bon Iver, Big Thief) produzierte Album entstand im Anschluss an eine langjährige Beziehung und zeigt Andrews’ bisher sensibelstes Songwriting auf zehn neuen Stücken, die ihre Reise durch Herzschmerz, Einsamkeit und das Wiederfinden ihrer selbst nach all dem dokumentieren. Andrews reflektiert: “In Old Flowers geht es um Herzschmerz. Es gibt eine Million Platten und Lieder darüber, aber ich habe beim Schreiben dieser Songs nicht gelogen. In diesem Album geht es darum, die Person zu lieben und sich um sie zu kümmern, von der man weiß, dass man nicht mit ihr zusammen sein kann. Es geht darum, dass man Angst hat, verletzlich zu sein, nachdem man verletzt worden ist. Es geht um eine Frau, die allein ist, aber das ist in Ordnung, wenn es die Wahrheit bedeutet. Das war meine Wahrheit in diesem Jahr – meine neunjährige Beziehung endete und ich bin eine Frau, die allein auf der Welt ist, aber glücklich, sich selbst zu kennen.”