LONDON GRAMMAR – Californian Soil


Foto-© Ministry of Sound

But all of our time chasing America
But she never had a home for me
All of our time chasing a dream
Hmm-hmm, hmm

A dream that meant nothing to me
And see where I found you, where they all lay
All of the greats, they are here to stay
Here in America

And I hope that you’re finding, all that you are
I hope that it sets you up high
In the heart of America

(London Grammar – America)

Die britische Band London Grammar hat am Freitag (16.04.) nach ihrem Supererfolg 2017 (Truth Is A Beautiful Thing) und dem Debüt 2013 ein neues Album veröffentlicht. Das Trio, das mit seinem träumerischen, aber durchaus tanzbaren Pop die britische Musikszene aus dem Stand heraus erobert hat und auch international Erfolge feierte, hat nachgelegt. Mit Platte drei kommen jedoch auch eine Menge Neuerungen: Auf Californian Soil hat sich neben der geographischen Verortung auch die Dynamik innerhalb der Band verändert. Nach den Touren zur zweiten Platte schickte Sängerin und Songschreiberin Hannah Reid eine für sie untypisch direkte E-Mail an ihre beiden Mitmusiker und Autoren, Dan Rothman und Dot Major. Darin sprach sie von ihrem Dilemma, dass sie sich extrovertiert in ihrer Musik ausdrücken möchte, aber eine Angst in sich trägt, sich zu präsentieren. Der Lösungsvorschlag lautete: „I feel like I’m hiding my story too much behind you two. There needs to be a leader of the band and it needs to be me.” Klanglich war ihre unverwechselbare Stimme schon immer die Anführerin des London Grammar Sounds. Jetzt sind es auch Reids Perspektiven. Auf Californian Soil wollte sie ein Augenmerk auf die Misogynie legen, die ihr als Künstlerin begegnet ist und immer noch begegnet. Californian Soil ist trotzdem kein politisches Album, hat aber politische Untertöne und eine feministische Perspektive. Reid ist tatsächlich zentraler, die Band zeigt sich insgesamt experimentierfreudiger.

Nach einem ruhigen atmosphärischen Intro startet das Album mit dem Titelstück. Mit seinen knackigen Percussions, der vordergründigen Instrumentierung und den deutlichen Anspielungen auf Massive Attacks Teardrops ist Californian Soil selbstbewusster und präsenter als die üblicherweise etwas entrückte Ästhetik der Band. Die neue Extrovertiertheit findet sich auch bei Baby It’s You – ein elektronisches Liebeslied, produziert mit George FitzGerald; es klingt modern, schnell und tanzbar. An anderen Stellen ist die Kooperation mit Hitproduzenten weniger gut gelungen: How Does It Feel wurde von Steve Mac in das Gewand eines erfolgreichen Radiosongs gepresst, der so gar nicht zu den Stärken der Band passt und merkwürdig deplatziert in der Mitte des Albums thront. Auch Missing – obwohl geschrieben und produziert von London Grammar – mutet zwischendurch wie ein Song an, der eigentlich für eine andere Band gedacht war. Lord It’s A Feeling bringt hingegen die Stärken der neuen und alten London Grammar eindrücklich zusammen: Reids unverkennbare Zwischentöne, atmosphärische Synthesizer, rhythmusbetonte Träumereien werden gepaart mit direkten Lyrics und selbstbewussten Beat Drops, Anleihen aus Trance and Trip-Hop: „I saw the way you laughed behind her back / When you fucked somebody else / I saw the way you made her feel / Like she should be somebody else“. Auch I Need The Night strotzt nur so vor neu gewonnenem Selbstbewusstsein, dass es mitreißt. Reids Gesang steht hier im Vordergrund und wird mit Gitarrenriffs und einem sich steigernden rhythmischen Aufbau so in Szene gesetzt, dass er noch lange im Ohr bleibt. Am Ende des Albums wartet noch ein Highlight: Das akustische America bringt zwar nicht die vertraute orchestrale Klangfülle, aber gefühlvolle Tiefe, bei der Reid ihre volle Bandbreite als Sängerin und Songschreiberin zeigen kann, indem sie falsche Versprechungen und entrückte Ideale enthüllt.

Mit Californian Soil sind London Grammar ein Risiko eingegangen und haben gewonnen. Die Platte ist eine musikalische Weiterentwicklung vom atmosphärischen Synthie-Dream-Pop-Trio zu einer selbstbewussteren, präsenteren und auch moderneren Version der Band. Dass bei so viel mehr Vielfalt nicht jedes Experiment glückt, ist verständlich. Die mächtigen Klangflächen mussten an einigen Stellen etwas beliebigen Poptönen Platz machen, auch einige Textzeilen hinterlassen Fragezeichen. Trotzdem lässt man sich nur zu gerne ein, auf dieses neue Standing, mehr denn je getragen von Frontfrau Hannah Reid, die auf dieser Platte tröstet, ermutigt und auch einmal auf den Tisch haut. Dafür danke!

London Grammar – Californian Soil
VÖ: 16. April 2021, Ministry of Sound
www.londongrammar.com
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