Foto-© Nikolai Dobreff
Zu einem richtigen Wonnemonat gehört ja auch der richtige Soundtrack – und da lässt uns auch der Mai 2021 nicht im Stich! Unsere Top Alben des Monats:
1. Lùisa – New Woman (VÖ: 07.05.21)
Seit Jahren schon fliegt die Hamburger Songwriterin Lùisa so ein wenig unter dem Radar – und seit Jahren lohnt es sich das Treiben der Musikerin zu verfolgen, belohnt sie den geneigten Hörer doch immer wieder mit tiefsinnigen, wie vielschichtigen Songs! So auch auf ihrem neuen Album, das selbstbewusst und voller Energie das vielleicht beste Werk von Lùisa ist. „Ich schreibe sehr persönlich und autobiografisch, hoffe aber, das auf eine allgemeingültige Ebene transferieren zu können“, sagt sie. „Songs sollten letztlich immer auch von den Erfahrungen des Autors losgelöst funktionieren.“ Uns lässt es zumindest nicht mehr los – vielleicht der richtige Zeitpunkt für viele hier nun endlich auch aufzuspringen und diese spannende hiesige Stimme noch mehr ins Rampenlicht zu schieben!
2. Lord Huron – Long Lost (VÖ: 21.05.21)
Die Musik der US-Amerikaner von Lord Huron umwehte seit jeher eine ordentlich Prise Vintage-Sound – nun hat sie der Geist des Sounds der frühen 60er aber vollends verzaubert. Denn die Gespenster der Musiker aus der Vergangenheit der Whispering Pines Studios, in dem Long Lost entstanden ist, hauchte den neuen Songs der Band eine gehörig Portion Retro-Touch ein, die der Band perfekt steht. Irgendwie aus der Zeit gefallen, mit großer Geste, entschleunigt und doch dabei so unmittelbar einnehmend, dass die Songs einen nicht mehr loslassen wollen. Großes Retro-Kino!
3. Bachelor – Doomin’ Sun (VÖ: 28.05.21)
Ein Hoch auf die Freundschaft – Melina Duterte (Jay Som) und Ellen Kempner (Palehound) waren schon Jahre lang gegenseitig Fans voneinander, als sie etwa 2017 zum ersten Mal aufeinander trafen und so etwas wie Liebe auf den ersten Blick füreinander empfanden. Ein Jahr später besuchte Kempner das Homestudio von Duterte in Los Angeles, um dort zum Spaß ein paar Aufnahmen zu machen. Aus einer losen Session wurden schnell das Ziel ein gemeinsames Album aufzunehmen. Im Januar 2020 packte das Duo das gesamte Aufnahme-Equipment von Duterte in zwei Autos und fuhr zu einem gemieteten Haus in Topanga, Kalifornien, wo sie im Laufe von zwei Wochen das Debütalbum Doomin’ Sun schrieben und aufnahmen. Ein typischer Tag im Haus in Topanga bestand darin, dass die beiden Langschläfer gegen 11 Uhr in die Küche schlurften, um Eistee aus der Dose zu trinken und sich ein Mittagessen zu machen, bevor sie anfingen, an ihren Instrumenten herumzuspielen und Tonhöhen-Riffs und Akkordfolgen zu entwickeln. Nachdem Kempner und Duterte die Form des Songs herausgefunden und die Grundlagen erarbeitet hatten, verbrachten sie ein paar Stunden getrennt voneinander. In dieser Zeit schrieb Kempner die Texte im Baumhaus im Hinterhof, während Duterte als Produzentin arbeitete. Oder Duterte schrieb die Texte auf der Terrasse, während Kempner sich die Gitarrenparts ausdachte. Etwa auf halber Strecke ihres Aufenthalts in Topanga kamen Buck Meek und James Krivchenia von Big Thief im Haus vorbei. Meek brachte Gitarrenpedale und eine schöne alte Martin-Akustik-Gitarre mit, die er den Beiden großzügig zur Verfügung stellte, und Krivchenia nahm für einige Songs Schlagzeugspuren auf, während Dutertes Partnerin Annie Truscott (Chastity Belt) Streicher aufnahm, um noch ein paar zusätzliche Akzente zu setzen. Herausgekommen ist auf jeden Fall ein Album, das nur so vor Energie strotz, Mitsing-Hymnen und Gitarren-Wände liefert und wohl zum mitreißendsten gehört, was der Mai an neuen Album zu bieten hat!
4. St. Vincent – Daddy’s Home (VÖ: 14.05.21)
Apropos Retro: Auch Annie Clarke kehrt mit einem klanglich rückgewandten Album im Mai auf die Plattenspieler zurück. Seit ihrem Debüt Marry Me aus dem Jahr 2007 ebnet sich die Künstlerin von Album zu Album und von Kooperation zu Kooperation ihren Weg durch die Musikindustrie an die Speerspitze der verkopften Rock-Musik. Einige Highlights ihrer Karriere gefällig? Mit ihrem selbstbetitelten Album gewann sie 2014 ihren ersten Grammy, mit David Byrne nahm sie 2012 das Album Love This Giant auf, zwei Jahre später stand sie als Leadgitarristin und Sängerin mit Nirvana bei deren Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame auf der Bühne, 2019 performte sie bei den Grammys mit Dua Lipa und gewann einen weiteren Grammy für den „Best Rock Song“. 2017 beeindruckte sie mit ihrem letzten regulären Studioalbum MASSEDUCTION, das bei vielen Kritikern als Album des Jahres gefeiert wurde (darunter auch bei der New York Times oder beim Guardian), um im darauffolgenden Jahr mit einer Neuinterpretation des Albums die Songs komprimiert auf Piano und Gesang in neuem Glanz zu präsentieren. Daddy’s Home markiert nun eine neue Epoche für die Künstlerin, wie aber auch für die Privatperson – denn nachdem ihr Vater 2010 inhaftiert wurde, kehrte er 2019 aus dem Gefängnis zurück, woraufhin sie begann an den Songs des neuen Albums zu schreiben. Diese führten sie zurück zu der Musik ihrer Kindheit, die sie damals noch mit ihm gehört hatte: LPs, die sie wahrscheinlich mehr als jede andere Musik in ihrem Leben begleiteten, Songs, die im sepiafarbenen Downtown New York Anfang der Siebziger gemacht wurden. Gritty. Grimy Sleazy. Und Clarke nutzt diese Spielwiese um gewohnt versiert zu zeigen, wie wandelbar sie ist und dass sie ihrer musikalischen Sozialisierung auch in 2021 noch etwas hinzufügen kann.
5. black midi – Cavalcade (VÖ: 28.05.21)
Wer mit so viel Lobeshymnen überschüttet wurde, wie die britische Band black midi, kann sich eigentlich auch schon mal bezüglich der Erwartungshaltung fürs Zweitwerk in ausgiebige Schockstarre versetzen. Nicht so die als Rock-Erneuerer gefeierte Band, die mittlerweile ein Mitglied weniger zum Trio geschrumpft ist, und mit ihrem neuen Album Cavalcade einfach dort weiter machen, wo Schlagenheim aufgehört hatte – plus noch mehr Genre-Versatzstücke, Versiertheit und Jazz-Einflüsse. Das ist zwar alles andere als Easy Listening – genauer das komplette Gegenteil – aber die verkopfte Wall of Sound, die den Hörer hier teilweise zu erdrücken droht, gehört gleichzeitig zu dem wohl spannendsten, was Musik dieser Tage hervorbringt. Eine Wucht von einem Album!
Newcomer:
1. Mustafa – When Smoke Rises (VÖ: 28.05.21)
Der 23-jährige Künstler Mustafa wuchs in Regent Park auf, einer der rauen Ecken Torontos, in der er früh auch mit Gang-Gewalt in Kontakt kam. Diese und das Überleben im Ghetto machte er zum Thema als Spoken Word-Künstler Mustafa the Poet. Bereits im Frühsommer 2020 veröffentlichte er die Debütsingle Stay Alive, mit der er seine Trauer um verstorbene enge Freunde zum Ausdruck brachte. Der Song blieb nicht ungehört: Drake, The Weeknd oder Dua Lipa sorgten für weitere Aufmerksamkeit und das Netz nahm Anteil. Die zweite Single Air Forces wurde dann gleich von Frank Dukes (Drake, Kendrick Lamar, Frank Ocean, Lorde) und Jamie xx (The xx) co-produziert. Und bei all diesen Superlativen-Bausteinen ist auch das Debütalbum des Newcomers eine emotionale Achterbahnfahrt und eine Hommage an die MCs des Regent Park– insbesondere an Jahvante „Smoke Dawg“ Smart, der 2018 bei einer Schießerei ums Leben kam. “It just kind of shattered my entire world,” sagt Mustafa über den Mord an Smoke Dawg. “I didn’t even realize how much weight we shared until I had to take that weight on for myself.” Von dieser Stimme wird noch viel zu hören sein!
2. Alfie Templeman – Forever Isn’t Long Enough (VÖ: 07.05.21)
Der junge britische Multiinstrumentalist und Indie-Pop-Newcomer Alfie Templeman konnte letztes Jahr schon mit seiner EP Happiness In Liquid Form beeindrucken und einen nicht unbeachtlichen Hype um seine Songs kreieren – und wir waren uns schon in unserer Bands To Watch-Reihe sicher, dass er auch das Potential hat dem Sound von 2021 seinen Stempel aufzudrücken! Mit gerade mal 7 Jahren hat Alfie angefangen Drums zu spielen, sich selbst Gitarre beigebracht, mit 13 folgten dann Bass und Production – früh übt sich eben! Nun mit 18 hält der Multiinstrumentalist das Indie-Nachwuchs-Zepter fest in der Hand und veröffentlicht via der UK-Label-Hitschmiede Chess Club Records (Wolf Alice, Easy Life) sein neues Mini-Album, über das er verrät: “I wanted to make a refined and focused pop record – something more widescreen than an EP but more concise than a full-length album – with a feel somewhere between Fleetwood Mac’s Rumours and Tame Impala’s Currents. In making Forever Isn’t Long Enough I realised that I needed to slow down a little and work on things carefully. The songs took anywhere from one day to 4 months to 2 years to finish for this record, but I made sure each one was perfect, and I’ve never been more proud of how they all came out.”
3. Dayglow – Harmony House (VÖ: 21.05.21)
Als Dayglow-Mastermind Sloan Struble sein Debütalbum Fuzzybrain aus seinem texanischen Studentenwohnheim heraus 2018 veröffentlichte, hatte er nur ein Ziel: Musik zu machen, die Menschen glücklich macht. Jetzt, nach drei Jahren und Hunderten Millionen Streams, hat sich sein Ziel nicht geändert – aber sein Ehrgeiz ist größer geworden. Im Haus der Harmonien gibt es nun einen etwas reflektierteren Ansatz beim Songwriting, gepaart mit ordentlich Retro-Pop-Schmalz, der uns eine Prise Glitzer entgegen pustet. Achtung: Suchtgefahr!
Wiederkehrer: Lump – Lump (VÖ: 01.06.18)
Nachdem gestern, drei Jahre nach der Veröffentlichung des selbstbetitelten Debüts von Lump – das ist die Stimme der Folk-Sängerin Laura Marling, vereint mit dem futuristischen, musikalischen Zauber von Mike Lindsay (Tunng) – das neue Album Animal des Duos für den 30. Juli angekündigt wurde, kehren wir zurück zum Erstwerk. Damals wirkten die teilweise klanglich ausufernden Kompositionen noch wie ein erstmaliges Beschnuppern, das nur an der Oberfläche des Potentials der Kooperation kratzte…und trotzdem immer wieder für spannende Song-Experimente gut war. Grund genug für noch mehr Vorfreude auf Animal!