JOHN GRANT – Interview

John Grant ist ein Tausendsassa. Beim Meister der Facetten vermengen sich Glitter und Schmerz, Traurigkeit und Ironie, Synthesizer und Klarinetten. Sein fünftes Studioalbum Boy From Michigan erschien am 25. Juni über Bella Union. Darin verhandelt er das alte und das neue Amerika, das er inzwischen aus der Ferne in Island betrachtet und doch so gut kennt. Als homosexueller 12-Jähriger im christlichen Konservatismus der familiären Kleingeistigkeit in Denver, Colorado, aufzuwachsen, bedeutet für John Grant eine beschwerliche Reise zum eigenen Ich. Der Boy, der ursprünglich aus Michigan kommt, erlebt das, was manch Außenstehender als behütete Kindheit abtun mag, als resonanzarmes Buhlen um Liebe und Akzeptanz, das ihn noch Jahrzehnte verfolgen soll. Sinnsuche in Europa, Alkoholkonsum, Drogen, Bandleben mit den Czars, Zusammenkünfte und Zerwürfnisse mit Freund:innen und Geliebten, HIV-Infektion, Neuanfänge: Grant hat verdammt viel erlebt. Er ist bekannt dafür, sein Herz auf der Zunge zu tragen. Wieder und wieder erzählt er von seinen Erlebnissen und den Geschichten, die ihn prägen. Die subversive Scherzhaftigkeit und das knabenhafte Schmunzeln in seinem Gesicht scheinen ihm dabei stets zu helfen, das erneute Durchleben seiner Erfahrungen von seinem gegenwärtigen Ich abzugrenzen, sich schlichtweg: zu beschützen.

Das Album ist stark von Grants Vergangenheit geprägt und doch gegenwärtig. Und so sollte auch unser Gespräch Anfang Juni werden. Über Zoom redeten wir über den Schreibprozess mit Cate Le Bon, über seine Rolle als Schwulenikone und warum der Präsidentschaftswahlkampf in den USA 2020 ihn hat alte Wunden der Ablehnung und Unsicherheit neu entdecken lassen. Grant spricht von seiner Verzweiflung darüber, dass seine Familie Trump gewählt hat und warum er das so persönlich nimmt. Außerdem geht es um Musik, die Leben retten kann darum, dass der amerikanische Traum, der vielleicht der größte Marketingtrick aller Zeiten ist.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Es ist für mich ein bisschen schwierig, es zu hören, während die Berliner Clubszene noch schläft. Man möchte eigentlich erst tanzen gehen und danach mit jemandem lange wach bleiben und erst über die eigenen Probleme jammern und dann lachen. Wie war der Prozess des Schreibens in einer so isolierten Zeit?
Für mich war es einfacher. Ich habe die äußere Welt einfach ausgeschlossen und mich darauf konzentriert, die Lieder ins Leben zu rufen. Ich konnte mir in aller Ruhe Zeit nehmen und es einfach geschehen lassen. Das war am Anfang sehr angenehm. Natürlich war es angespannter, als die Situation ernster wurde, aber im Allgemeinen fand ich es gut. Ich hatte Zeit, mich nur auf das Album zu konzentrieren.

Ich stelle es mir auch sehr intensiv vor. Du hast an den Songs mit deiner Freundin Cate Le Bon gearbeitet.
Meistens haben wir am Anfang des Tages besprochen, womit ich mich befassen werde. Ich habe ihr Klangskizzen gezeigt und wir haben gemeinsam ausgesucht, was uns am besten gefällt. Dann ist sie nach Hause gegangen und ich habe den Tag damit verbracht, diese zu Ende zu schreiben. Dann kam sie am nächsten Morgen wieder und wir haben es besprochen. Das ging sehr gut, meistens war es am gleichen Abend fertig. Nur in den ersten beiden Wochen war es nicht leicht, die Skizzen zu vollenden. Aber dann dann kam Cate am nächsten Morgen und sagte: “Allerhand”.

Also sind die Lieder auch in der gemeinsamen Zeit entstanden, du kamst nicht mit einem fertigen Katalog an und ihr habt ein Album gestrickt?
Ich würde sagen, dass ich die Lieder immer noch alleine geschrieben habe. Sie hat mit mir zusammen ausgewählt, mit welcher Skizze ich mich an welchem Tag befassen sollte. Sie hat mir geholfen, aus den ganzen Demos zu wählen, was am besten klingt. Ich habe die Texte geschrieben, Refrains komponiert und so weiter. Aber sie sind nicht davor entstanden.

Die Lieder dauern zwischen vier und zehn Minuten, was für ein modernes Popalbum ungewöhnlich ist. Gerade wenn man bedenkt, dass lange Stücke, die sich langsam aufbauen, gegen die Streaming-Logik arbeiten. War das eine bewusste Entscheidung oder sind die Lieder, wie sie sind, und deshalb sind manche länger und manche kürzer?
Letzteres! Sie sind einfach so geworden, wie sie geworden sind. Das geht mir ein bisschen auf den Wecker, denn ich würde manchmal gerne kürzere Popsongs schreiben. Aber es wird dann einfach so. Ich finde es auch okay, dass sie so geworden sind.

Ich auch! Die Wellen funktionieren sehr gut in den Songs und dann über die Songs hinweg im Album. Es betont die vielen Schichten und Lagen, die oft kontrastieren. Das begleitet dich ja schon eine Weile in deiner Musik, in den Texten und in deinen Bildern. Verhandelst du diese Kontraste beim Schreiben oder passieren auch die automatisch?
Ich nehme das schon am Anfang des Prozesses wahr. Wenn ich zum Beispiel ein besonders schwieriges Thema behandle, komponiere ich Musik dazu, die das Verdauen des Textes erleichtert. Das ist bei mir ein natürlicher Prozess, es kann sein, dass er zum Teil inzwischen auch unterbewusst abläuft. Aber natürlich ist mir auch ziemlich bewusst, dass ich das mache.

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Ich habe im Independent über dich gelesen, dass du Musik machst, die Leben verändert, aber auch rettet. Das finde ich sehr schmeichelhaft, aber können solche großen Worte auch eine Bürde für dich als Künstler sein? Wie lebt es sich in der Rolle der Schwulenikone?
Ich würde mich selber überhaupt nicht so einstufen. Ich mache einfach mein Ding und wenn jemand sagt, das hat mir das Leben gerettet, dann verstehe ich das. Denn mein Leben ist zigmal von verschiedenen Leuten und Musikern gerettet worden. Ich weiß es zu schätzen, dass man das sagt. Es ist die sehr subjektive Meinung von einer Person und etwas sehr Persönliches. Ich fühle mich sehr geschmeichelt und bin diesen Menschen dankbar, dass sie das mit mir teilen.

Du kannst diese Rolle also annehmen im Leben von anderen. Manchmal möchten Künstler:innen sich als Person auch von so großen Projektionen abgrenzen.
Ich kann das annehmen und ich freue mich einfach! Ich kann natürlich nie wissen, was in diesen Leuten vorgeht. Es ist mir eben auch schon oft passiert, daher kann ich es gut verstehen, was damit gemeint ist. Ich habe das auch schon Menschen gesagt. Einige können es annehmen und andere weisen das von sich ab. Das kann ich wiederum auch verstehen. Für mich ist es keine Bürde. Ich freue mich, dass meine Musik etwas ausmacht.

Queen of Denmark war ein Album, auf dem du deine Vergangenheit verarbeitest, du hast aber beispielsweise auch schon über sehr gegenwärtigen Liebeskummer geschrieben. Auf den ersten Blick ist Boy From Michigan wieder ein Blick zurück – ist das wirklich so?
Aus meinem Blickwinkel ist es ziemlich gegenwärtig. Ich schaue natürlich zurück auf meine Kindheit, ich romantisiere sie. Auch wenn sich ein Faden durch meine Kindheit zog, der etwas sehr Drohendes und Unangenehmes hatte, das dunkel im Hintergrund schwebte. Mir wurde schon damals klar gemacht, dass Schwulsein das Schlimmste war, was einem passieren konnte. Dass es einen von Gott, der Familie und der Gesellschaft permanent trennen würde. Dass es in der Gesellschaft keinen Platz gibt für einen Menschen wie mich. Ich glaube, dass ich das wegen der Wahl in den USA neu bearbeiten wollte. Die hat diese alten Wunden wieder … Naja, was macht man damit? Wieder öffnen?

Ja, alte Wunden können natürlich wieder neu geöffnet werden, aber manchmal kommen sie ja auch anders wieder zum Vorschein. Man untersucht sie, sie fühlen sich auch nicht mehr gleich an, aber sind eben noch da.
Ja, das stimmt. Es war auch teilweise so, als ob es noch einmal neu passiert, was mir damals passiert ist.

Ist Boy From Michigan also ein politisches Album?
Ich glaube überhaupt nicht, dass es ein politisches Album ist. Das, was in den Wahlen thematisiert wurde, war außerhalb der Politik. Es ging um Menschenrechte und Ideologien. Dass so viele Menschen auf diesen Streich hereingefallen sind, das hat mich ziemlich mitgenommen. Meine Familie hat Trump gewählt und es hat mich entsetzt. Ich dachte: “Wie kannst du mich lieben?” Es hört sich vielleicht blöd an, dass ich das so persönlich genommen habe, aber ich dachte: “Wenn du ihn gut findest und diesen Mann als Vorbild für deine Kinder fungieren lässt, dann kannst du mich als Menschen unmöglich gut finden”.

Aber es ist persönlich! Es geht nicht um Abstraktes. Jede:r hat in der Familie solche Differenzen, aber ab einer bestimmten Schwelle wird es persönlich. Wahlentscheidungen sind auch eine Ab- und Aufwertung von Lebensformen.
Ja! Aber so extrem war es davor nie. Ich wusste, dass meine Familie konservativ wählt – zum Beispiel auch bei Bush. Das hat mich nicht gekratzt, ich wusste es einfach. Und ich liebe meine Geschwister und meinen Vater immer noch, natürlich! Aber ich kann das einfach überhaupt nicht verstehen, wie es sein kann, dass mein Vater als Christ so einen Mann gut finden kann. Und ihn als konservativ einstuft. Das ist wirklich ein Albtraum.

Hast du das Gefühl, dass du durch die Musik, in der du diese Gedanken ja auch transportierst, die Menschen in dieser Sache auf eine andere Art erreichst?
Mag sein. Aber wichtiger ist mir, dass ich in der Lage bin, es für mich selbst zu verarbeiten. Dass es mir nicht schadet. Ich war, was diesen Unmenschen betrifft, so eine lange Zeit hasserfüllt und auch so sauer auf meine Familie. Ich glaube, es geht eher darum, dass ich mich damit abfinde und damit leben kann. Denn ändern kann man die anderen nicht.

Du setzt dich auch mit dem Konzept des Amerikanischen Traums auseinander. Was bedeutet das für dich?
Der Traum ist, einfach zu 100 Prozent vom Konsumieren besessen zu sein und sich vollkommen diesem System hinzugeben. Das ist kein Traum, das ist ein Albtraum, weil es eigentlich nur um Marketing geht. Es geht darum, dass man sich hingibt und denen zustimmt, die meinen, man bräuchte all diese Sachen, die man natürlich nicht braucht. Dass man reinfällt und nie wieder in der Lage ist, da heraus zu klettern. Das ist der Traum, um den es geht.

Vielen Dank für das Interview!

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