Foto-© Sven Gutjahr
In the same way we could have stood there and done nothing,
In the same way, we could have remained the same.
I think we can, I think we can change.
(Anika – Change)
Zehn, elf Jahre sind in der Pop-Musik eine lange Zeit. Führt man sich Veröffentlichungen des Jahres 2010 vor Augen (bzw. hilft sich durch Googlen auf die Sprünge), stellt man fest, dass längst Vergessen oder Nostalgisierung eingesetzt haben. Zu den Ausnahmen, die diese Sortierungsmechanismen überforderter HörerInnen überlisten, gehört das damals veröffentlichte Debüt-Album von Annika Henderson aka Anika. Vielleicht liegt es an ihrer tiefen, einprägsamen Stimme, die zusammen mit den Kreuzungen aus Kraut und Dub wahlweise an Nicos schwermütiges Dröhnen vom Grund der New Yorker Hochhausschluchten oder Broadcasts Trish Keenan erinnert. Doch wo die Britin mit ihrer Alt-Stimme in kindlicher Unschuld wie Alice hinter den Spiegeln wandelte, stellt man mit Anika nüchtern fest, dass dort kein Wunderland zu finden ist.
So oder so: Es überrascht beinahe, dass das diesen Freitag erscheinende Change erst das zweite Solowerk der Wahl-Berlinerin markiert. Bei all der Zeitlosigkeit muss dagegen in Sachen Sound der Albumtitel Programm sein: Im torkelnden Finger Pies klingt der minimalistische, basslastige Charakter des Debüts noch an, da ersetzt Critical ihn schon mit einer Mixtur aus Breakbeats, Mellotron und fiepsendem Synthesizer, bevor der betörend dahinschwingende Titeltrack des Albums endgültig aus den düsteren Tiefen des Vorgängers emporsteigt. Dazu passend bietet der Text ein Zwiegespräch über die Möglichkeit zur Veränderung – mit hörbar besserem Ende für den Glauben an sich und die Menschheit: „I think we can learn, I think we can change.“ Damit gibt er das Thema der folgenden Songs vor, in denen solche hoffnungsvollen Einzeiler immer wieder aus den beklemmenden bis melancholischen Klangskizzen herausragen.
Der Mantra-artig vorgetragene Optimismus scheint bitter nötig: Nach ihrer 2017 mit ihrer Band Exploded View veröffentlichten EP Summer Came Early tut sich Anika auch auf Change als Beobachterin der gewaltsamen, aber stummen Verschiebungen der gefühlten Normalität durch den Klimawandel hervor. In Never Coming Back beschreibt sie, vorgetragen im gleichen Rhythmus wie Change, das Verschwinden der Vögel: „I found your body on the window sill / lying on the grassy floor / and I, / ignored all the warnings, I ignored all the warnings.“ Dabei singt Anika nicht von einem drohenden Ende, wie es Nico schon 1974 tat: Sie steht mit uns allen auf dem Gipfel eines Wendepunkts zu etwas Neuem und ruft uns warnend „Feel your power!“ (Rights) und „I’m not being silenced by anyone“ (im Anne-Clark-haften Freedom) zu. Um den einen Wandel noch aufhalten zu können, braucht es einen anderen, nicht minder fundamentalen Umbruch.
Bevor sich jedoch der Eindruck breitmacht, Change sei nicht mehr als ein letztes, stures Aufbäumen, tritt Anika zum Schluss in Wait For Something auf die Bremse. Mit rauem Folkrock-Charme von Akustikgitarre, Kickdrum und Klavier bricht sie den industriellen Sound auf und mahnt „I‘m not gonna be your fool, i’m not gonna fall for you, no not this time“. Doch da ist man als HörerIn Change, inhaltlich pointiert und musikalisch vielschichtig, längst verfallen. Zehn, elf Jahre Warten auf das nächste Album sollten damit locker zu überstehen sein.
Anika – Change
VÖ: 23. Juli 2021, Invada Records
www.anika-music.com
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