MOOR MOTHER – Black Encyclopedia Of The Air


Foto-© ANTI-

We will outlast, rise up from the past
Our future sway with that ass
Guess we Osiris in Cali now
We rise up, who gon’ hold us down?
Black fist and golden crown, ancient sound
They can’t hold us down

(Moor Mother – Shekere ft. Iojii)

Auf ihrem Debüt-Album verdichtete sie 150 Jahre Schwarzer US-Geschichte bis zu den nicht verhallenden Polizeischüssen der Gegenwart zu einem Sturm aus Noise und Spoken Word (Fetish Bones, 2016), dem Free-Jazz-Kollektiv Irreversible Entanglements liefert sie messerscharfe Lyrics (zuletzt Who Sent You?, 2020) und vom Theaterstück-Soundtrack bis zur Coltrane-angehauchten Hip-Hop-Kollaboration veröffentlichte sie in nur zwei Jahren ganze vier Alben. Die Rede ist von Camae Ayewa aka Moor Mother – und wer eben noch mitzählen konnte, wird bemerkt haben, dass die Musikerin, Dichterin und Aktivistin mit Black Encyclopedia Of The Air diesen Monat noch eine fünfte LP obendrauf setzt.

Nur: Je imposanter das Gesamtwerk, desto schwieriger der Zugang für alle Nicht-Eingeweihten – vor allem wenn wie bei Moor Mother zum radikalen Sound noch eine hierzulande kläglich unbeachtete Theorie-Ebene hinzukommt. Denn dass Ayewa thematisch wie musikalisch das Vergangene bearbeitet, entspricht nicht etwa der üblichen Retro-Schiene, sondern ihrem Selbstverständnis als afrofuturistische Künstlerin: Black to the Future nannte der Autor Mark Dery, der den Begriff Anfang der 1990er prägte, seinen Essay, in dem er die Rückgriffe auf eine ausradierte Geschichte als Ankerpunkte einer Schwarzen Zukunftsvision beschreibt. Der Erinnerung bietet diese Geschichte nur wenige sichere Häfen. Wenn Moor Mother sie anläuft, indem sie zum Beispiel im Video zu Obsidian mit Rapper Pink Sifuu vor dem Haus der Schwarzen Jazz-GigantInnen Alice und John Coltrane posiert, entert sie in Wort und Musik schon den nächsten: über schleppenden Bässen und verfremdeten, kindlichen Stimmen reflektiert der Song die Nähe zur Gewalt in den eigenen Häusern und Gemeinschaften. „You’re the nightmare next too – yeah I thought I knew you well.“

Doch entgegen der Erwartungen wirft Black Encyclopedia of the Air musikalisch allen HörerInnen, die zuvor im Ozean aus Noise, Poesie und Klangcollage verloren gingen, einen Rettungsring namens Hip-Hop entgegen: Track für Track wogen schwere Beats, die erst gegen Ende des Albums in der Brandung von Ayewas charakteristischen Klangcollagen brechen. Gegenüber Pitchfork scherzte sie deshalb, ihr Sell-Out-Album produziert zu haben – dabei wiegt der 90s R’n’B-inspirierte Sound Hörgewohnheiten bloß gekonnt in Sicherheit, bevor die geordneten Strukturen zum Schluss wieder in Stücke geschlagen werden. In den kreischenden Synthesizern von Zami findet das Album seinen Höhepunkt, auf dem Moor Mother mit einem raunenden „No more master’s clock / We travel spaceways“ wieder bei Afrofuturismus-Pionier Sun Ra angekommen zu sein scheint. Doch trotz Anleihen an Ras intergalaktischem Free Jazz – nach einer guten halben Stunde Black Encyclopedia Of The Air ist klar, dass Moor Mother gegen ganz und gar irdische Manifestationen der Unterdrückung ankämpft.

Mit ihrem jüngsten Album macht sie diese Kämpfe nicht nur hör-, sondern auch greifbar für alle, die bisher noch vom ständig wachsenden Œuvre der Konfrontation zurückgeschreckt sind. Fernab vom Ausverkaufs-Verdacht bietet Black Encyclopedia Of The Air einen neuen Zugang zu ihrer Musik an, ohne andere Türen zu versperren. Es empfiehlt sich, ihn anzunehmen, bevor schon das nächste Werk um die Ecke kommt.

Moor Mother – Black Encyclopedia Of The Air
VÖ: 17. September 2021, Anti-Records
www.moormother.net
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