Foto-© Elaine Constantine
Here it comes again, cannot outrun my desire.
(Saint Etienne – Pond House)
Sieh an, Saint Etienne vereinen sich per Sample mit Natalie Imbruglia. Genauer gesagt mit der Anfangssentenz aus deren Single Beauty On The Fire. Im Original ist es Classic Pop. Im vorliegenden Fall, in Pond House, hat es mehr mit dem zu tun, was zuerst in Carnt Sleep auf dem Debüt Foxbase Alpha aus dem Jahr 1991 zu hören war. Es ist kein Dance-Ding wie Nothing Can Stop Us oder Dive. Der Groove kommt aus dem Dub-Reggae, die Band gibt sich gedankenverloren. Call it escapism.
Saint Etienne erschaffen gerne Szenarien jenseits vom Jetzt. “The Paris of the 60s, the Berlin of the 70s, the Stockholm of the 90s”, hieß es präzisierend in Whyteleafe. Der Band-Vertraute Simon Price erkennt einen Hang zur portugiesischen Saudade, walisischen Hiraeth-Tristesse oder zum deutschen Sehnsuchtsgefühl: „Es geht um eine Kombination aus Heimweh und Begierde, um wehmütiges Verlangen nach einer Zeit, einem Ort, einer Person oder Stimmung, die nicht wieder aufgegriffen werden kann.“ Zurzeit fokussiert man sich auf eine Periode, um die sich sonst kaum jemand kümmert. Um die Jahre der kurzzeitigen Euphorie zwischen dem Wahlsieg der Labour-Partei 1977 und dem 11. September 2001. In dieser Zeit reüssierten die R&B-Sängerinnen von Honeyz, das geschmeidige Duo The Lighthouse Family und, etwas vorher, Tasmin Archer. Saint Etienne schnappen sich Samples dieser Künstler, aber nicht so, dass es sich nach Coverversionen oder Plattitüden anhört. Nicht so, dass nostalgisches Flair trivial Überhand nimmt. Sie demontieren, re-strukturieren und erweitern vorhandene Akkordfolgen, bis der Ursprung nur noch andeutungsweise vorhanden ist. Nur beim Imbruglia-Loop wird man deutlicher.
Normalerweise kommen auf einem Album von Saint Etienne viele unterschiedliche Ansätze zusammen. Dieses Mal halten sie sich konsequent an eine Linie, sie beginnt mit Music Again. Den schleppenden Beat kennt man aus dem Trip-Hop (auch ein Stil aus den Neunzigern bekanntlich). Ein elektrisches Cembalo zirkuliert und Sarah Cracknell singt memorabel „never had a way to go“. In Blue Kite tangiert das Trio die kosmischen Koordinaten eines Jan Jelinek oder das Naturschauspiel eines James Holden. Der orientalische Touch im zweiten Teil des Songs offenbart eine Weltläufigkeit, die sich in Penlop fortsetzt. Benannt ist dieser Track nach dem Titel eines Provinzgouverneurs in Bhutan. Britischer ist das Sample aus Joy von The Lightning Seeds. Verhältnismäßig ruppig kommt I Remember It Well mit einem Gitarrenriff daher, das von Joy Division/New Order stammen könnte. In Broad River sorgt Pianospiel für eine Atmosphäre, die an den späten Sommer auf den Balearen erinnert.
Will man das, was man hört, als Ganzes mit Gewesenem vergleichen, landet man am ehesten in der Phase, in der Sound Of Water im Schlepptau von To Rococo Rot entstand. Als verkopfte elektronische Musik Fluchtvehikel war, Englishness keine große Rolle spielte, man eurozentrisch dachte. Parallel gibt es jetzt einen Film von Alasdair McLellan, der auch den Titel des Albums tragen wird. Man musste sich bei der Komposition also am Flow der Bilder orientieren, nicht ausscheren. Das war eine Herausforderung, an der sich neben den drei Bandmitgliedern Sarah Cracknell, Bob Stanley und Pete Wiggs auch Augustin Bousfield, sonst Filmkomponist, an Bass, Gitarre und Keyboards beteiligte. Man arbeitete getrennt und kommunizierte über Zoom oder E-Mail, wie während der Pandemie üblich. Die daraus resultierende Stimmung kann man als herbstmelancholisch bezeichnen. Gestandene Fans von Saint Etienne haben es nicht leicht, sie müssen sich umstellen. Geduld hilft, dann erschließt sich die Magie.
Übrigens: Ende September erscheint Natalie Imbruglias neues Album Firebird. Wird der Prä-Millennium-Vibe wieder fett?
Saint Etienne – I‘ve Been Trying To Tell You
VÖ: 10. September 2021, Heavenly
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