Foto-© Columbia
So I hope I learn to get over myself
Stop tryin’ to be somebody else
So we can love each other for free
Everybody wants somethin’, you just want me
(Adele – I Drink Wine)
Ein kollektives Aufatmen geht durch die Millennial-Reihen, das nervöse Rüberschielen zum Kalender hat ein Ende – immerhin ist schon fast wieder ein Jahr rum, das Scrollen nach dem Geburtsjahr dauert immer länger und Menschen, die 2003 geboren sind, sind volljährig?! Adele ist endlich wieder da und hat den Lebensratgeber für die kommenden Jahre im Gepäck. Eine ganze Generation, die mit den Lebensweisheiten der Engländerin das Erwachsenwerden bestritten hat, jubelt, weint und betrinkt sich, es wird über kommende Trennungen nachgedacht oder an jene erinnert, die seit 25 vor sechs Jahren ins Land gegangen sind. Centerpiece auf 30, dem vierten Adele-Album, ist ihre eigene Scheidung und das Leben, was danach auf sie und ihren Sohn gewartet hat.
Wieder einmal schafft es die mittlerweile 33-Jährige den Spagat zwischen höchstpersönlichen Stories und daraus resultierenden universellen Songs. Denn am Ende ist selbst Adele nur ein Mensch, der im gleichen schwankenden Boot sitzt wie wir alle. Neben Scheidungs- und Mutterschafts-Songs, die vielleicht noch nicht für jeden so relevant und nachvollziehbar sind, aber die wir mit Sicherheit früher oder später noch gut gebrauchen können (das haben wir aus den vergangenen drei Alben doch alle gelernt), geht es so intensiv wie nie zuvor auch darum, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Immer wieder hört man, wie die magische 30er-Grenze eine seltsam-sichere Selbstsicherheit mit sich bringt. Wer bin ich und wenn ja, wie traurig? könnte der Alternativtitel für dieses Album sein.
Zwischen herzbrechende Balladen mischt sich eine bunte Variation von Up-Tempo-Songs, darunter der sexy Instant-Hit Oh My God und der Ed Sheeran-esque Mitschnipster Can I Get It. Und dann natürlich die ultimative Millennial-Hymne I Drink Wine. Mit eingebauten Voice Notes schafft Adele es auf eine ganz neue Art und Weise, uns schon beim Frühstück in unvorbereitete Tränen auszubrechen, besonders bei My Little Love. Die Inspiration dafür lieferten niemand geringeres als Tyler, The Creator und Skepta (we love to see it).
Am Ende ist es ein ganz typisches Adele-Album, das jeglichem Hype gerecht wird und all die Bedürfnisse, die man an ihre Musik heranträgt, befriedigt. Adele ist nach wie vor so universell geliebt, gelobt und geschätzt, weil sie kompromisslos sie selbst ist. Dass das gar nicht so selbstverständlich ist, wird erst bewusst, wenn man aus der Adele-Bubble, in die wir jetzt ein paar Wochen unaufhaltbar stecken werden, rausschaut. Seit ihrem 2016er-Album hat sich vieles in der Musikbranche verändert. Wir stecken irgendwo zwischen für Spotify maßgeschneiderte Streaming-Erfolgsgaranten und Überraschungs-Charttoppern, die sich auf TikTok selbstständig gemacht haben. Alles geht wahnsinnig schnell, muss dies und jenes erfüllen und was, wenn wir keine perfekte 15-Sekunden-Passage für Social Media finden, zu der abertausende Videos im heimischen Wohnzimmer produziert werden und der Song als „viraler Hit“ verifiziert wird? Tja, die Frage hat Zane Lowe im Interview für Apple auch an Adele gerichtet. Und die hat eine sehr sympathische Antwort dafür gefunden: „[…] if everyone is making music for TikTok, who’s making the music for my generation? Who’s making the music for my peers. I will do that job gladly. I rather cater to people who are like on my level in terms of the amount of time we’ve spent on this earth or the things we’ve been through.“
Adele – 30
VÖ: 19. November 2021, Columbia
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