Foto-© Deutsche Grammophon
„Der Frühling wird kommen, so viel ist mal sicher“, soll Hania Ranis Großmutter immer gesagt haben. Ein gutes Motto, nicht nur um den letzten Pandemie-Winter zu ertragen, sondern auch um aus dieser minimalen Gewissheit an Hoffnung ein ganzes Album zu machen. Für Inner Symphonies, in diesem Jahr bereits die zweite Veröffentlichung nach ihrer Music For Film & Theatre, arbeitete die polnische Komponistin, Pianistin und Sängerin mit ihrer Jugendfreundin Dobrawa Czocher zusammen. Und das nicht zum ersten Mal: Schon ihr erstes Studioalbum Biała flaga (2015) entstand gemeinsam mit der Cellistin vom Stettiner Philharmonischen Orchester.
Vielleicht ist es typisch für diesen langen Winter 20/21, dass nach zwei Soloalben in zwei Jahren nun wieder ein Gemeinschaftswerk mit einer vertrauten Künstlerin anstand. Die erschwerten Produktionsbedingungen sollten die beiden nicht stoppen: Nachdem das Duo erste Ideen noch per Videocall austauschte, traf man sich in Danzig zum Komponieren und für standesgemäße Spaziergänge. Auf die eingeschränkte Mobilität antworten die beiden Musikerinnen auf Inner Symphonies mit maximaler Beweglichkeit: Czochers rastloses Cello lässt sich auf Con Moto kaum von den gesetzteren Klavierakkorden einfangen, ehe sich das Stück eine Ruhepause gönnt. Die Verbindung von Elektronik und Akustik, der schon Ranis erklärtes Vorbild Nils Frahm nachspürt, macht sich vor allem am Spannungsbogen des pulsierenden Tracks bemerkbar, der wie ein langer Lauf in die Freiheit klingt.
Solchen Frühblühern, zu denen auch das mit seinen Repetitionen und rollenden Bässen Philip Glass zitierende There Will Be Hope gehört, setzt das Duo immer wieder langsamere Kompositionen entgegen. Je mehr Zeit die beiden ihren Stücken spendieren, desto wirkungsvoller entfaltet sich der wohlig warme Sound. So zählen die achteinhalb Minuten von Demons auch zu den stärksten des Albums: Ein Bass-Synthesizer schiebt sich durch verwickelte Streicher, während das perkussive Klavierspiel mit seinen abrupt einsetzenden Läufen fast schon an die Doors mit Riders On The Storm erinnert. Ob da noch der Klavierhocker Genre-typisch auf den Aufnahmen quietschen muss?
Mit dem sanften Bombast, dem andere Neoklassiker*innen gerne frönen, halten sich Rani und Czocher dagegen meist zurück. Unterstützt von Studienfreund*innen an weiteren Streichinstrumenten, nähern sich die beiden mal auf Trippelschritten (Scream), mal Runde um Runde (Anima) der im Albumtitel versprochenen symphonischen Größe, um sie erst kurz vor Schluss so richtig auszukosten.
Natürlich lässt sich diese Erzählung von Licht und Schatten mit zaghaft gutem Ende als Interpretation des vergangenen Lockdowns hören, aber Inner Symphonies funktioniert ganz ohne Pandemie-Gedanken: als geschickt aufgebautes Album zweier Musikerinnen, die aus dem inzwischen bekannten Neoklassik-Repertoire für einen Hoffnungsschimmer nochmal alles herausholen. So sicher wie der Frühling kommt schließlich auch der nächste Winter – und diese Songs sind dafür gemacht, ihn auch ohne Videocalls und lange Spaziergänge zu überstehen.
Hania Rani & Dobrawa Czocher – Inner Symphonies
VÖ: 15. Oktober 2021, Deutsche Grammophon
www.hania-dobrawa.com
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Hania Rani & Dobrawa Czocher Tour:
05.11.2021 Stadtgarten, Köln
06.11.2021 Tempel, Karlsruhe