IDLES – CRAWLER


Foto-© Tom Ham

He danced with chaos,
Lost his feet because chaos chews his youth
Just suck the marrow boy
Don’t bite off what you can’t chew

(IDLES – Stockholm Syndrom)

Ja, die Pandemie kriegt sie alle – auch die britische mehr-als-Post-Punk-Band IDLES wurde von einer Welle aus Selbstreflektion überrollt. CRAWLER, das nur 14 Monate nach dem gefeierten Vorgänger Ultra Mono erscheint, erzählt vom Mittendrin und Danach persönlicher Traumata. Als IDLES-Frontmann Joe Talbot eines Nachts von der Endlichkeit des Lebens in Form eines überholenden Motorradfahrers eingeholt wird, ist die Grundlage des Albums geboren.

Die erste Hälfte, zusammengehalten vom epischen Film-Opener MMT 420 RR und der dramatisch-schönen Single The Beachland Ballroom, zeichnet sich durch seine düstere, stroboskop-flackernde, bedrückende Stimmung aus. Wer die Band aus Bristol wegen ihrer feierlichen Rotzigkeit lieben gelernt hat, muss hier einmal tief durchatmen. Wer nicht in der Stimmung für eine solche Schwere ist, wird sich vermutlich sogar quälen. Doch hat man es erstmal auf die andere Seite geschafft – während IDLES die Gefühl-Phasen, die „trauma, heartbreak and loss“ mit sich bringen, ziemlich gut auf den Punkt bringen – wird man von IDLES-typischen Upbeat-Moshpit-Mitgröhl-Tracks in Empfang genommen. Auch das Lossprechen von Genres, das sich die Band seit einiger Zeit auf die Fahne geschrieben hat, entfaltet sich hier vollkommen. Mehr von diesen experimentellen Sachen, bitte! Besonders Progress überzeugt in der Hinsicht und bietet die perfekte Ergänzung zum Ultra Mono-Liebling A Hymn.

Neben der ungewöhnlich nach Innen gekehrten Erzählweise – IDLES sind doch eher dafür bekannt, den Zeigefinger auf die Gesellschaft um sich herum zu richten und sich dafür auch gerne mal Kritik einzufangen – erfreut einen auch ein Blick in die Credits: denn dort ist neben IDLES-Gittarist Mark Bowen, der Amerikaner Kenny Beats als Co-Produzent gelistet. Schon 2020 arbeitete man für das letzte Album am Song Grounds zusammen, diesmal erstreckt sich die Kollaboration über die gesamte Platte. Doch was macht einer der derzeit wichtigsten Hip Hop-Produzenten auf dem Album einer Rock/Punk-Band?

Eine ziemlich gute Zusammenarbeit! Dass Talbot & Co. eine Affinität und Beziehung zum Hip Hop-Genre haben, ist ein offenes Geheimnis. Dass Kenny Beats ein Genie über die Grenzen einer Musikrichtung hinaus ist, sollte schnellstmöglich common sense werden. Die IDLES schwärmen von seiner „boundless fucking passion“ und haben es mit CRAWLER endlich geschafft, wirklich mal aus der Schublade, in der sie seit Jahren gerne gesteckt werden, auszubrechen. Hier stecken sowohl großes Potential (mehr Orchester-Zeug!) und auch einfach Spaß an der Musik (ein Metal-esquer Track zum Abschluss? Kein Problem!) drin.

Auch, wenn man für die nächste Zeit die schweren Tracks lieber überspringt, ist CRAWLER ein solides neues IDLES-Album, das Lust auf mehr Neues macht und somit hoffentlich erst der Beginn der IDLES-Evolution ist. Und ein Hoch auf Kenny Beats, den wir in Zukunft hoffentlich häufiger in solchen Produktionen erleben wollen!

IDLES – CRAWLER
VÖ: 12. November 2021, Partisan Records
www.crawler.world
www.facebook.com/idlesband

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