Foto-© Siv Disa
I’m a little bit in love with everyone I’ve ever touched
Come a little bit undone then disconnect before it comes to much
Never want to reach a goal just want to be in motion
Every path that could be, that might be, is until you settle on one
And is that fear
Or the knowledge that the truth would break me?
And which is freer
The illusion or the pain it saves me?
I don’t really like to think about that too much
There are an awful lot of doors that I leave shut
And I don’t really like to think about that too much
(Siv Disa – Fear)
Bei einem Debütalbum ist man als Hörer*in bzw. Kritiker*in ja meistens etwas nachsichtiger und verzeiht schneller die eine oder andere Unebenheit. Manche Debüts zeigen aber auch so ein erstaunliches Maß an Komplexität, Reife und Einfallsreichtum, dass die besagte Rücksicht gar nicht nötig ist – wie zum Beispiel bei der US-amerikanischen Sängerin und Pianistin Siv Disa, deren Erstlingswerk Dreamhouse am 12. November via dem Label Trapped Animal erschienen ist.
Zusammen mit ihrem Produzenten und Bandmitglied Sam and the Sea zog sie sich vor und während des Lockdowns in eine Studiohütte in der Wildnis zurück, um das Album fertigzustellen. Vielleicht sind die Songs deshalb durchzogen von einem Gefühl der Entrücktheit und kuschliger Intimität, wie sie beim gemeinsamen Starren ins Kaminfeuer entsteht. Die Musik ist, wie das Artwork auf dem Cover: bunt, quirky und psychedelisch; gleichzeitig betörend, verspielt und durch Disas sanfte klare Stimme einladend, aber auch voller dissonanter Harmonien, etwas schräger und unheimlicher Soundeffekte und düsteren, tiefsinnigen lyrischen Themen. Jedes Instrument hat in den komplexen Arrangements etwas zu tun und trägt zu einer dicht konzentrierten Klang-Atmosphäre bei, zu der man sich in Tagträume hineintrancen, im Geist ins Universum hineinschweben oder auf dem Bett von einer Party runterkommen kann – oder wie Siv selbst sagt: Sie macht Avant-Pop mit psychedelisch-elektronischem Einschlag.
Das hört man auch direkt beim Opener Whistle, dessen erste Töne schon den Einfluss des psychedelischen Folk-Rock der 60er und 70er zeigen: Der Beat und die E-Gitarre erinnern mit ihrem entrückten, schwelgerischen Flair zum Beispiel an Shine On You Crazy Diamond von Pink Floyd. Im Refrain schwillt der Song zu einem Crescendo an, Disas anmutiger und verträumter Gesang trägt die nachdenklichen Strophen. Sie klingt dabei ähnlich exzentrisch-betörend wie die Harfenistin Joanna Newsom oder Hippie-Ikone Linda Perhacs. Das Zusammenspiel von akustischen und elektronischen Instrumenten verleiht dem Song ein warmes, volles, abwechslungsreiches Timbre.
Diese vielschichtigen Soundwände, für die Disa ein Händchen hat, kommen auch richtig gut zur Geltung in dem etwas peppigeren Painted Ceiling mit seinem schwummrigen Electro-Beat und den trippy Lyrics (“I am fractures compounding fractures/I am shoelaces and phone wires/Pretty shadows look like patterns/Those absences cant throw you”). Fear wiederum offenbart Disas außergewöhnliche Fähigkeit, Texte über ein eher düsteres und unangenehmes Thema (Angst, Zweifel und Vermeidung) mit einem optimistischen Funk-Sound zu kontrastieren und so eine interessante Dissonanz zu schaffen. Auch in der etwas konventionelleren, sparsam instrumentierten Indie-Ballade Sorry spürt man ihre introspektive Ader, wenn sie die Hürden von Empathie und Zugehörigkeit besingt (“I can’t forget all the lives I witness/I can’t forget the way they all pool in as one/Too much, too muddy/I know it can’t be all my fault/But the burdеn of knowledge/ How do I lift that off?”)
Weniger um Storytelling, sondern mehr um das Einfangen von Stimmungen und Erinnerungen geht es in Beat 7, das die Zuhörer*innen durch das kühl-elegante, eingängige Gitarren-Riff, die gelayerten Gesangsspuren und den smoothen Trip Hop Beat hypnotisiert. In The Hills schließt das Album dann mit einer fast romantisch-warmen und intim-melancholischen Stimmung, als wäre Disa eine Late Night Lounge-Sängerin, die nur für dich alleine auftritt und dir ihre Gedanken mitteilt. Spannend und dynamisch wird das Lied durch seine Rhythmuswechsel und durch die elegische Stimmung mit engelhaften Chorgesängen, die aber auch in typischer Siv Disa-Manier auf eine betörende Weise etwas dissonant, wunderlich und fremdartig klingen.
Sehr selten schaffen es neue Künstler*innen, schon mit ihrem Debütalbum solch einen distinktiven Sound mit Wiedererkennungswert zu entwickeln, in dem sich so eklektische Einflüsse wiederfinden wie Fiona Apple, Joanna Newsom, Pink Floyd, Portishead, Psychedelic Folk, Jazz und Dream Pop. Stimmungsvolle, vielschichtige Arrangements, tiefsinnige Themen, Experimentierfreude, eine einladend-warme und trotzdem schaurig-schöne Atmosphäre mit dissonant-schwebenden Harmonien machen Dreamhouse zu einem einzigartigen Hörerlebnis, perfekt für lange Winterabende. Man darf bei diesem vielversprechenden Debüt auf die nächsten Schritte von Siv Disa sehr gespannt sein.
Siv Disa – Dreamhouse
VÖ: 12. November 2021, Trapped Animal
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