DRIVE MY CAR – Filmkritik


Foto-© Rapid Eye Movies

Sie fährt so vorausschauend und behutsam. Man vergisst, dass man im Auto sitzt.

(Kafuku – Drive My Car)

Der Theaterregisseur und Schauspieler Yûsuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) reist nach Hiroshima um seine Adaption des Stückes Onkel Wanja von Anton Tschechow bei einem Theaterfestival zu inszenieren. Dort wird ihm die junge Misaki Watari (Tôko Miura) als Chauffeurin zugeteilt. Über mehrere Wochen fahren die beiden täglich mehrere Stunden in dem von dem Regisseur geliebten und gepflegten Auto umher und lernen durch Zuhören nicht nur einander, sondern auch sich selbst besser kennen und verstehen.

An sich könnte man die Synopsis von Drive My Car viel detaillierter wiedergeben und kennt man die Kurzgeschichtensammlung Men Without Women von Haruki Murakami, deren erste Geschichte die Rahmenhandlung des Filmes bildet, ahnt man, dass primär Themen wie Trauer und Verlust behandelt werden. Doch Drive My Car von Ryûsuke Hamaguchi ist einer dieser Filme, über den man so wenig wie möglich wissen sollte, um sich umso intensiver in seinen Bann ziehen lassen zu können.

Bereits in den ersten Szenen, die in der Morgendämmerung spielen, ist man gefesselt von der Intimität der Figuren, die gleich auf mehreren Ebenen spielt. Man versteht zwar nicht, worin man abtaucht, doch man verspürt in fast jedem Augenblick, den man an der Seite der Figuren verbringt, die Intimität, die auch der Film selbst dem Zuschauer darbietet. Und da sich der Film und mit ihm auch seine Charaktere dem Zuschauer emotional Stück für Stück öffnen, möchte man dieses entgegengebrachte Vertrauen nicht verlieren und lässt sich auf die so ungewöhnlich vertrauenserweckende Fahrt ins Ungewisse, die jedoch die Aussicht auf Erkenntnis verspricht, ein.

Hamaguchi lässt seine Figuren, allen voran Kafuku, der mit einer ruhenden Intensität und gleichzeitig heftigen Ruhe von Hidetoshi Nishijima gespielt wird, wertvolle Gedanken über die Kunst, das Schaffenswerk jedes einzelnen Menschen und den einhergehenden Einfluss der eigenen Erfahrungen, die unterschiedlichen Arten der Kommunikation, sowie das Leben selbst austauschen. Dies geschieht auf so vielen Ebenen, auf der sprachlichen, auf der inszenatorischen, auf der erzählerischen, dass man zunächst Sorge haben könnte, dass man der Handlung nicht mehr folgen könne. Der mehrmals rezitierte Text des aufgeführten Theaterstückes wird beispielsweise so natürlich in den Verlauf des Filmes eingebaut, dass man einfach nur noch Faszination darüber empfindet, wie es denn möglich sei, dass die selben Worte, die man vielleicht bereits zum dritten Mal hört, nun doch etwas völlig anderes bedeuten können. Hamaguchi lässt sich Zeit und schafft es durch seine ruhige, detaillierte und besonders minimalistische Erzählweise alle filmischen Elemente so gekonnt miteinander zu verweben, dass man jede Geschichte innerhalb der Geschichte für sich entdecken kann und auch sollte. Dafür wird selbst in dem kleinen roten Saab 900 von Kafuku ein Raum geschaffen, in dem die Protagonisten nicht nur Andacht und Stille finden, sondern auch menschliche Nähe, um gemeinsam über den Lauf der Dinge sprechen zu können und als ein natürlicher Teil von diesem zu existieren.

Drive My Car ist ein kleines filmisches Meisterwerk, das, obgleich seiner Laufzeit von drei Stunden, den Zuschauer nicht eine Minute loslässt. So bewegend und auf eine wundersame Weise so berauschend, dass man selbst vergisst, dass man vor dem Bildschirm sitzt, so behutsam nimmt der Regisseur den Zuschauer auf eine Fahrt mit, die zeigt, dass es unerlässlich ist, nicht nur mit den wichtigsten Menschen in seinem Leben aufrichtig zu kommunizieren, sondern auch mit sich selbst – und sich dabei bewusst wird, dass man manchmal mehr versteht, als Worte es je ausdrücken könnten.

ドライブ・マイ・カー (JAP 2021)
Regie: Ryûsuke Hamaguchi
Cast: Hidetoshi Nishijima, Tôko Miura, Reika Kirishima, Masaki Okada, Dae-young Jin
Kinostart: 23. Dezember 2021, Rapid Eye Movies

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Helena Barth

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