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40. Chet Faker – Hotel Surrender
Manchmal braucht man eine Reise quer um die Welt, um letztlich wieder bei sich selbst anzukommen – so auch beim australischen Musiker Nick Murphy, der seinen musikalischen Alter Ego Chet Faker eigentlich vor einiger Zeit auf Eis gelegt hatte und nach der Album-VÖ (als Nick Murphy) 2019 von Run Fast Sleep Naked ein Jahr lang um den Globus gereist war. Anfang 2020 hatte er dann aber auf einmal wieder einige neue Songs im Gepäck, die so die Energie der Anfangstage von Chet Faker atmeten, dass dem Projekt neues Leben eingehaucht wurde. Umso mehr, als er feststellte, dass er da in seinem New Yorker Studio ein komplettes Album fertig hatte: Hotel Surrender! Und dieses fühlt sich an als wäre der umtriebige Australier nie weg gewesen, umarmt all die Unsicherheiten auf dem Weg dorthin, füllt die Abgründe mit Wohlklang – vielleicht auch gerade deshalb: „Um wirklich glückliche, unbeschwerte Musik schreiben zu können, muss man erst seine eigene Traurigkeit kennen lernen. Das ist es, was mich hierhergebracht hat. Ich hatte genug von dem Elend.“
39. Greentea Peng – Man Made
Künstler lassen sich nicht gerne festnageln. Sie sagen nicht, worum es ihnen im Text geht, lassen Interpretationsspielraum. Die Frau, die eigentlich Aria Wells heißt und sich Greentea Peng nennt, macht da nicht mit. Sie geht in die Offensive, erklärt klipp und klar, für wen sie an den Start geht („This is for the collective not the culture…this is for the love and all my mankind“), wie sie ihre Musik bewertet („This sound is sensual, and plentiful alchemical its medicine and medical“) und wie sie sich Politik vorstellt („We don‘t wanna chat until my people free“). Die Musik klingt wie zu Zeiten, in denen Ari Up und Neneh Cherry zusammen abhingen und auf Reggae, Dub und Jazz abgingen. Neo-Soul ist es auch, aber dem Vergleich mit Amy Winehouse sollte man besser nicht glauben. Eher folgt sie einer Erykah Badu, das ist präziser. Und psychedelisch ist es auch – wenn es auch dem Album in der zweiten Hälfte an Variation und Temperament mangelt…Tee ist ja ganz schön. Manchmal hilft aber auch Kaffee.
38. Sleaford Mods – Spare Ribs
Stimmt ja – man kann eigentlich nur noch kotzen. In Britannien (und nicht nur da) geht es stetig den Bach runter. Pandemie, Brexit, politische Seilschaften und Armut hinterlassen Narben. „We‘re all so Tory tired and beaten by minds so small“, klagt Jason von den Sleaford Mods dementsprechend zu Beginn auf Spare Ribs. Aufgenommen wurde das sechste Album in drei Wochen während des Lockdowns. Ist es noch Punk? Von der Einstellung absolut, aber es ist kein Aufguss der Sex Pistols. Mehr und mehr spielen Sounds aus dem Electro-Funk und R&B der Achtziger hinein, die Straßenköter-Attitüde von Mike Skinner gibt es obendrauf. Spare Ribs ist ein Volltreffer, genauso wie Austerity Dogs und Divide & Exit es waren. Und es ist viel besser als der lasche Vorgänger Eton Alive.
37. Black Country, New Road – For the first time
Ein mit 140 BPM, dumpf-polterndes Schlagzeug, wie in der Eröffnungssequenz eines Zirkusfilms aus alten Tagen, darüber eine einsetzende Keyboardfigur im Sound des arabischen Frühlings, ein streng eingegliederter Basslauf, melodische Saxophon- und Geigenpattern. Eine Explosion zwischen Jazz, Folklore und Punk eröffnet den wilden Ritt, den niemand so schnell vergessen wird. Und eins ist das Black Country, New Roads Debüt ganz sicher nicht: Wiederholung. Was fast etwas ernüchternd klingt, ist hier so ernst gemeint, wie der Erfolg, der der Band schon länger prognostiziert wird. Dieses Album ist eine Offenbarung für alle, die auf der Suche nach den neuen musikalischen Formen unserer Zeit sind und dabei nicht auf Geschichten verzichten möchten. Und es ist ein Zeitdokument dafür, dass trotz ständiger digitaler Ablenkung und globaler Krisenstimmung Menschen kreativ sind, nicht zum Zweck der Macht-Aneignung, sondern weil sie Musik in einer Band machen wollen.
36. Fred Again.. – Actual Life (April 14 – December 17 2020)
„We’ve lost dancing, This year we’ve had to lose, Our Space, we’ve lost, We’ve lost dancing, All these Things that, We Took for granted“, heißt es im Song Marea (We’ve Lost Dancing) des britischen Produzenten Fred again… (arbeitete schon mit Ed Sheeran, Clean Bandit, Stormzy, George Ezra, Eminem zusammen, Gewinner des Brit-Awards in der Kategorie „Producer of the Year“ 2020), dessen Debütalbum wie ein hochgradig autobiografisches Patchwork-Tagebuch aus Gesangschnipsel, Sprachfetzen und Found Sounds zusammengesetzt ist. Und nur als erste Momentaufnahme des getriebenen Musicaholics diente, der schon im November den zweiten Teil nachschob und bei uns im Interview schon verlauten ließ, dass er noch mehr Material auf Halde hat!
35. Lana Del Rey — Chemtrails Over The Country Club
Lana Del Rey ist seit Born To Die von 2012 aus dem Pop-Business nicht mehr wegzudenken. Zudem genießt sie eine einzigartige Stellung unter den Popstars. Kein anderer Musiker, männlich oder weiblich, klingt so wie sie. Ihren Hollywood Glam-Pop, wie manche ihn nennen, findet sich auf jedem ihrer Alben als grundlegenden Sound-Komponente wieder. Diesen mischt sie abwechselnd mal mit Hip Hop, mal mit Orchester-Musik, mit Jazz oder mit Rock. Auf ihrem Album Chemtrails Over The Country Club eben mit Folk und Country. Was das erste Lana Del Ray-Album in 2021 dabei ausmachte, ist der auf wesentliche Elemente wie Klavierballaden und Folk-Melodien reduzierte Sound und das reiche Repertoire an Songs, die eine Geschichte erzählen…
34. Alli Neumann – Madonna Whore Komplex
Die hiesige Musikerin und Schauspielerin Alli Neumann hat sich für ihr Debütalbum Madonna Whore Komplex gehäutet wie eine Zwiebel – oder eben wie eine junge Frau, die sich von all den Bildern losgelöst hat, die andere von ihr haben. Weg mit dem Ballast, hin zum eigenen Kern. Aber natürlich wäre Alli nicht sie, wenn sie ihre Emanzipation nicht tanzend begangen hätte. „Wenn das Leben böse ist, muss die Musik halt gut sein“, sagt sie und setzt mit ihrem Debütalbum düsteren Zeiten voll politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen was positiv Flammendes entgegen. Denn obwohl es hier inhaltlich ordentlich ans Eingemachte geht, versprühen die 12 aussagestarken Songs über Sexismus, Identität & Integrität doch auch ordentlich positive Vibes – Trojanisches Pferd, ick hör dir trapsen! Alli spricht an, entlarvt, macht Ansagen. Wehrt sich, ist direkt, setzt eigene Grenzen. Und überall schießt Hoffnung durch.
33. Angel Olsen – Aisles EP
Bevor Angel Olsen 2020 die Decke auf den Kopf fiel, entschloss sie sich kurzerhand sich im Homestudio ihres befreundeten Produzenten Adam McDaniel einzuschließen – und es mal etwas lockerer anzugehen („I needed to laugh and have fun and be a little less serious about the recording process in general“). Das Ergebnis ist eine Cover-EP voller 80iger-Jahre-Klassiker, die in Olsens Versionen plötzlich als entschleunigte Synth-Goth-Pop-Balladen und mitsamt illustrem Vokuhila-Artwork daherkommen.
32. Jon Hopkins – Music For Psychedelic Therapy
Music for Psychedelic Therapy ist Hopkins’ erstes komplettes Album seit den Schwesteralben Singularity (2018) und Immunity (2013) und es geht in die entgegengesetzte Richtung. Hopkins wollte etwas selbstloses und introspektives mit totaler, roher Ehrlichkeit machen. Das Ergebnis ist “an album with no beats, not one drum sound, something that is closer to a classical symphony than a dance / electronica record. Something that is more like having an experience than listening to a piece of music. It is not ambient, classical or drone but has elements of all three. . . it’s a place as much as it is a sound. It works for the sober mind, but takes on a new dimension entirely when brought into a psychedelic ceremony,” so Hopkins.
31. Nation of Language – A Way Forward
Nachdem das Brooklyner Trio fast vier volle Jahre am hochgelobten selbstveröffentlichten Debütalbum Introduction, Presence arbeiteten, da nicht genug Budget da war, um es fertigzustellen, sorgte der Labeldeal mit PIAS dafür, dass der Nachfolger schon ein Jahr später in unserer Bestenliste auftaucht. Der kleinere Zeitrahmen der Produktion, sowie das mittlerweile größere Verständnis für den Aufnahmeprozess sorgen dafür, dass A Way Forward sich vielmehr wie ein richtiges Album anfühlt. Mit ihrem feinen Gespür für flirrende, bebende Synth-Sounds, inspiriert von frühen New-Wave und Punk-Bewegungen, erinnert die Band stellenweise an Joy Division, New Order und sogar an Kraftwerk. Alles in allem geladener, pochender Electro-Pop, bei dem die drei Upbeats mit einer gesunden Dosis süffisanter Melancholie anreichern.