In der Teenie-Jahre prägenden Doku It Might Get Loud (2009) gibt es eine Szene, in der Jimmy Page klatschend durch ein ehemaliges englisches Armenhaus stromert, um den Ursprung von Led Zeppelin-Drummer John Bonhams brachialem Schlagzeugsound zu demonstrieren. Die hohen Decken und hölzernen Treppenstiegen werfen sein Klatschen vervielfacht zurück und Page erzählt mit einem Anflug von Stolz, wie andere Bands sich daraufhin nach Fahrstuhlschächten umsahen, um einen noch voluminöseren Klang zu erreichen.
Dass auch bescheidenere Orte den Sound einer Band prägen können, zeigen die nach achtjähriger Pause zurückgekehrten The Soundcarriers. Ihr neues Album spielten sie in mehr oder weniger unüblichen Tonstudios ein: in einer Schule, in einer Kunstgalerie und in einem Cottage in der britischen Countryside, das – nach guter alter Pop-Konvention – so abgeschieden lag, dass es dem eh und je ausgefeilten Sound der Band seinen Stempel aufgedrückt haben soll. Wilds heißt folgerichtig der Nachfolger des 2014 zum heimlichen Meilenstein eines ewigen Psychedelic-Revivals avancierten Entropicalia. Das Album destillierte brasilianischen Tropicalia, motorische Krautrock-Grooves und West-Coast-Acid in eine Dreiviertelstunde, auf deren Höhepunkt Schauspieler Elijah Wood für This is Normal die Rolle des Tripsitters einnahm. The Soundcarriers genehmigten sich jedoch erstmal eine ausgedehnte Pause.
Das Beschwören vergangener Geister haben seitdem andere übernommen: Ob Kit Sebastian, Vanishing Twin oder aber der klanggewordene Mango-Joint Khruangbin – jeder Klick öffnet Plattenschränke voller Referenzen, die fleißig kuratiert und in Re-Issues umgemünzt werden. In diese blühende Landschaft kehren die Soundcarriers mit einer so ruppigen Energie zurück, die sich nicht nur durch ein Cottage in der Wildnis erklären lässt. Gefühliges Intro? Fehlanzeige. Waves legt zum Einstieg gleich alle Tarot-Karten auf den Tisch und macht klar: Wilds ist Reizüberflutung mit dem barocken Instrumentarium der frühen 70er Jahre. Zither, E-Piano und überschnappende Querflöten treffen auf trockene Bassläufe und zeternde E-Gitarren, während sich die Lyrics auf knappe Phrasen wie „Here come the waves again /Brand new, started from the end“ beschränken.
Zum Durchatmen bleibt wenig Zeit, für langwierige Spannungsaufbauten sowieso nicht. Unvorbereitet schmeißen einen Songs wie Falling Back in wogende Fluten, in denen man gleichzeitig von den mantra-artigen Gesangsschichten Leonore Wheatleys umgarnt und Drummer Adam Canns Schlagzeugspiel durchgeprügelt wird. Statt seine Drums nüchtern schnurren zu lassen, ackert sich Cann Song für Song mit klirrenden Becken und sattem Hall auf den Fellen durch das Album. Spätestens jetzt leuchtet auch die ungewöhnliche Wahl der Aufnahmeorte ein und man stellt sich vor, wie die Wucht der Band nicht nur lange Schulflure und leere, weißgetünchte Räume, sondern auch Fahrstuhlschächte füllen könnte.
Dass die Songs klingen, als könnten sie wahlweise den Vorspann eines Weltraumwesterns, eines Nouvelle-Vague-Films oder dem postmodernen Wes–Anderson-Mash-Up dieser Genres liefern, kommt nicht von ungefähr: Die Soundcarriers bedienen sich nicht nur am großen Fundus an Library Music und Film-Komponist*innen, sondern steuerten mit At The Time und Driver selbst zwei Songs zum Soundtrack der US-amerikanischen Serie Lodge 49 bei.
Wie das zurückhaltende, im 60s-Harmoniegesang aufgehende Saturate oder die am Schluss versteckte Perle Happens To Soon hören lassen, ist Wilds trotz allem kein Bruch mit der anschmiegsameren Exzentrik der Vorgänger geworden. Statt altersmilde ihren Sound zu polieren (was nach dem funkelnden Entropicalia eh kaum noch denkbar war), gehen die Soundcarriers einfach den umgekehrten Weg – und man kann sich freuen, dass er sie direkt wieder ins Plattenregal führt.
The Soundcarriers – Wilds
VÖ: 21. Januar 2022, Phosphonic
https://the-soundcarriers.bandcamp.com
www.facebook.com/thesoundcarriers