Foto-© Paul Märki
Passend zu den ersten Sonnenstrahlen des Jahres bringen Black Sea Dahu mit ihrem zweiten Album I Am My Mother schonmal ein bisschen Sommerfeeling in den Februar: Die Schweizer Band um Sängerin, Songschreiberin und Gitarristin Janine Cathrein liefert mit ihrer introspektiven, vielschichtig arrangierten Indie-Folk-Platte den richtigen Soundtrack für lange Sonnentage und laue Abende. Zum heutigen Release hat uns Janine ein Track by Track mit allen wissenswerten Infos zum Album geschrieben!
1. Glue
Dieses Lied ist von meiner Großmutter Sybille inspiriert, die aufgrund mehrerer Hirnschläge einen großen Verlust ihrer geistigen Fähigkeiten erlitt und dement wurde. Das Einzige, was ihr eine Reaktion entlockte, war, wenn Vera, Simon und ich für sie auf der Geige/Cello vorspielten: Bach, Tschaikowsky und Saint-Saens… Sie weinte. Ihr faltiges Gesicht war überströmt von Emotionen, es brach mir das Herz. Durch die Musik konnten wir sie noch erreichen.
In gewisser Weise schützt ihr Zustand sie vor dem Wahnsinn dieser Welt. Gedächtnisverlust ist jedoch nicht nur ein Zustand der Alten. Wir sind hier draußen und beuten die Erde aus, obwohl wir aus den Fehlern früherer Generationen lernen könnten. Werden wir jemals innehalten, um unsere Ideen und Werte neu zu überdenken? Wir haben als Menschen so viele Irrwege eingeschlagen, können wir noch einmal von vorne anfangen?
2. Human Kind
Im ersten Abschnitt des Stücks halte ich die Menschheit kaum noch aus; was wir den Tieren antun, der Natur, uns selbst. Ich schäme mich für meine Spezies und bin traurig, Teil davon zu sein. In der zweiten Hälfte möchte ich Trost geben, erklären, abstrahieren, alles nicht so ernst nehmen. I’m in there with you. Mir selber und anderen die Chance geben, aufzustehen und weiterzumachen trotz der Aussichten und unserer Schuld. Ich projiziere mich selbst auf die Außenwelt und umgekehrt mit diesem Song. Die dunkle, verzweifelte Seite in mir, die das Schlimmste erwartet und die helle, lustige, hoffnungsvolle Seite.
3. One and One Equals Four
Jemand hat mir mal gesagt, mein Erfolg mit der Musik sei proof of sticking to your beliefs. Ein wunderbares Kompliment und eine aufmerksame Beobachtung. Aber als ich permanent auf Tour war, mein Sozialleben schrumpfte und ich mich zunehmend einsamer fühlte und erschöpft, als meine Beziehung zu dem Menschen, den ich über alles liebte, in die Brüche ging, dachte ich mir plötzlich: Wie kann das sein, dass dies das Ergebnis ist davon, meinen Weg zu gehen? Weshalb geht alles kaputt?
4. Transience
Ein Lied über das Geheimnis der Zeit und eine verlorene Liebe. Eine Ode an die Musik.
Für längere Zeit auf Tour zu sein, verändert dein Leben. Wenn man von der Sehnsucht nach Intimität zerrissen wird, mit den extremen Höhen und Tiefen nicht zurechtkommt, mit gebrochenem Herzen, wenn man sich zwischen Realität und Traum verirrt: Von all den verlorenen Lieben bleibt nur die Musik.
5. Make the Seasons Change
Für einmal habe ich nach einem Heartbreak nicht sagen müssen: Es tut mir so weh, wie überlebe ich das, ich liebe dich. Sondern: Ich bin sau wütend, du warst anstrengend und hast nur gelogen, ich kann nicht glauben, dass ich dafür meine Zeit gegeben habe, geh mir aus den Augen.
6. Affection
Ich hatte mich verliebt in jemanden, der mich zuerst mit aller Kraft an sich gezogen und dann immer wieder mit mehreren, starken Vertrauensbrüchen von sich gestoßen hat. Für diejenigen von uns, die aus einem schwierigen Zuhause kommen, bedeutet Zuhause Chaos und Liebe ist unzuverlässig, instabil, gefährlich, unberechenbar, lähmend und unvorhersehbar. Für uns bedeutet Beziehung Trauma, und so ist es kein Wunder, dass viele von uns, die aus einem zerbrochenen Zuhause kommen, in Schmerz und Zerstörung gedeihen. Wir muten uns zu viel zu. Wir suchen nach anderen, die das Gleiche kennen und erlebt haben. Wir fühlen uns zu ihnen hingezogen, weil wir uns alle danach sehnen, verstanden zu werden.
7. I Am My Mother
Der Titelsong vom Album! Die Menschen um uns herum, die uns dauernd nah sind, prägen uns am meisten. Ich wollte in jeder Strophe über ein Familienmitglied schreiben und eine über unsere*n Liebste*n, es war ziemlich schnell ein Konzept. Und zwar so, dass die Beschreibungen nicht als wütend oder negativ aufgefasst werden können, sondern einfach als Fakten, als unveränderbare Herkunft, die einfach so ist, wie sie ist. Beschreibung ohne Wertung, um mich selbst auch nicht abzuwerten.