Foto-© Thomas Huang
Settle into a life that you like for a little while
Have a kid, get a pretty wife
Get a real job and a fake smile
Nothing is wrong and nothing is right
And I know that you’re leaving tonight
But I want you to know
I want you to know you’re not alone
I want you to know you can always call me
Home
(SASAMI – Call Me Home)
Dass SASAMI ein musikalisches Ausnahmetalent und im positiven Sinne Tausendsassa ist, wissen wir schon lange. Zuletzt war sie als Produzentin für den neuen Sound von Hand Habits verantwortlich. Die Multiinstrumentalistin mit klassischer Musik-Ausbildung und Indie-Rock-Vergangenheit schlägt mit ihrem zweiten Solo-Album Squeeze nicht nur ein, sondern mehrere neue musikalische Kapitel auf. Dabei behandelt sie ein breites Spektrum an Themen und Stimmungen wie die Wut über systemische Gewalt oder das Ringen um Kontrolle in ihren persönlichen Beziehungen in einem noch breiteren Spektrum an musikalischen Anleihen. SASAMI erforscht rohe Aggressionen des Nu-Metal, aber auch Zartheit und Schlichtheit des Country-Pop und Folk-Rock und schafft es, die dramatische Romantik der klassischen Musik einzuweben. Nach ihrem elektronischen Indierock-Debüt eine Auffächerung an Facetten, die ihrer Kunst eine neue dimensionale Tiefe gibt. In der New York Times erzählte sie unlängst, dass sie sich viel mit kultureller Aneignung von schwarzen Musiker:innen beschäftigt hat und dass sie mit ihrer Musik versuchen wollte eine Bastion des „cis white male“ einzunehmen: Metal. Sie hatte das Gefühl, dass es dort Platz für sie gibt. Die in Los Angeles lebende Künstlerin stammt mütterlicherseits vom Volk der Zainichi ab, einer Diaspora von ethnischen Koreanern, die während der japanischen Besatzung Koreas von 1910 bis 1945 in Japan lebten. Obwohl einige Zainichi freiwillig auswanderten und andere gewaltsam verschleppt wurden, sind diese Menschen und ihre Nachkommen in Japan bis zum heutigen Tag systematischer Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt. Als SASAMI sich mit der gemischten koreanischen und japanischen Geschichte und Kultur ihrer Familie beschäftigte, stieß sie auf Geschichten über Nure-onna, einem japanischen yōkai-Volksgeist (übersetzt: nasse Frau) und fühlte sich sofort inspiriert. Der Legende nach ist die vampirische Gottheit, die den Kopf einer Frau und den Körper einer Schlange hat, feminin und edel, aber auch mächtig und bösartig genug, um ihre Opfer mit ihrer blutsaugenden Zunge brutal zu vernichten. Die fließende Natur der Nure-onna spiegelt sich im Artwork der Platte und in der Art und Weise wider, wie Squeeze seine musikalischen Einflüsse durchläuft ‒ von System of a Down über Sheryl Crow und Fleetwood Mac bis hin zu Bach und Mahler. Als klassisch ausgebildete Komponistin hat SASAMI das Album in Form einer Oper oder eines Orchesterwerks mit verschiedenen Sätzen konzipiert.
Jeder Song auf dem Album hat das Potenzial der Eskalation. Das kommt in manchen Stücken wie Sorry Entertainer – einem bedrohlichen und lauten Daniel Johnston-Cover – oder dem hektisch-aggressiven Nu-Metal-Opener Skin A Rat ganz direkt rüber. An anderer Stelle des Albums gibt es Momente von verblüffender Zärtlichkeit: Call Me Home hebt im Folk-Pop SASAMIs schöne, geduldige Stimme hervor, die ihre trägen und sorgfältig konstruierten Melodien mit Gedanken über Sehnsucht, Trennung und Verlangen verbindet. Ähnlich bei Tried to Understand – ein klassisch-schöner Song basierend auf Akustikgitarre mit Country-Elementen. Auch die Power-Ballade Not A Love Song mit Streichern, Klavier und orchestralen Elementen wird durch den Kontrast der lauten Stücke erst richtig hell, bietet durch die schweren Gitarren aber auch Verbindungselemente zu den härteren Songs. Auch das verspielte Make It Right mit punkigen Rhythmusgitarren oder Tried To Understand schaffen die Verbindung der beiden musikalischen Pole des Albums.
Mit Squeeze hat SASAMI ein Album geschaffen, das ein Statement setzt. Sie verbindet nicht nur musikalisch, sondern auch emotional verschiedene Welten, ohne dabei Klischees zu bedienen. Vielmehr wird die Komplexität ihres Musikverständnisses sichtbar. Squeeze hinterlässt viele Emotionen, fordert heraus, konfrontiert mit ungewohnten Höreindrücken, ordnet diese aber stets wieder ein. Keine gefällige, aber eine großartige Platte einer außergewöhnlichen Künstlerin.
SASAMI – Squeeze
VÖ: 25. Februar 2022, Domino
www.sasamiashworth.com
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