Foto-© 4AD
Mit Vollgas und guter Musik in den Frühling – unsere Lieblingsalben des Monats März!
1. Aldous Harding – Warm Chris (VÖ: 25.03.22)
Mit ihren letzten beiden Alben Party und Designer wandelte sich die neuseeländische Songwriterin Aldous Harding zur absoluten Bank und Ausnahmetalent was schräg-hypnotische Folk-Musik im Fahrwasser von allzeit Idolen wie PJ Harvey (mit der sie auch bei mittlerweile drei Alben den Produzenten John Parish teilt) angeht. Und auch das neue Album der ehemaligen Straßenmusikerin steht dem in Nichts nach, begeistert wieder mit einem Sound, der klingt, wie aus der Zeit gefallen, doppelbödigen Texten, klein-großen Folk-Pop-Momenten, sowie dieser außergewöhnlichen Stimme, die einen einfach nicht mehr loslassen will. Es scheint fast als könnte Hannah Sian Topp, wie Aldous Harding bürgerlich heißt, kein schlechtes Album machen.
2. Nilüfer Yanya – PAINLESS (VÖ: 04.03.22)
Nilüfer Yanya gehörte 2019 zu den heißesten Newcomer-Eisen aus UK, nahm ihr Debüt Miss Universe doch mit einem Augenzwinkern die selbstverliebten Ecken der Gesundheits- und Wellness-Industrie aufs Korn. Letztes Jahr gab es dann ein neues Lebenszeichen in Form der 3-Song-EP Feeling Lucky? und am 4. März steht uns dann schon das zuletzt angekündigte Zweitwerk PAINLESS ins Haus! Darauf begibt sich Yanya nun auf die nächste Stufe ihrer ideenreichen Reise und stürzt sich kopfüber in die Tiefen ihrer emotionalen Verletzlichkeit. Dabei klingt sie noch etwas zeitgeistiger und aktueller und serviert einen Ohrwurm nach dem nächsten.
3. The Districts – Great American Painting (VÖ: 11.03.22)
Hierzulande immer noch so etwas wie ein gut gehütetes Geheimnis, sorgt die US-amerikanische Indie-Rock-Band The Districts regelmäßig mit ihren Alben für großartige Szene-Highlights, die mal an die Gardejahre von The Killers erinnern, mal an The Shins oder auch Pinegrove. Das fünfte Studioalbum der Band aus Philadelphia weiß in diesem Zuge auch nicht zu enttäuschen, sondern setzt die Entwicklung des Vorgängers You Know I’m Not Going Anywhere (2020) direkt fort: “Das letzte Album fühlte sich mehr wie mein eigenes Aufnahmeprojekt an und weniger wie eine wirkliche Band-Sache, sodass dieses Mal von Anfang an das Ziel war, den Fokus auf das zu legen, was immer gut für uns funktionierte: Ein Element der Einfachheit, dass dennoch sehr kraftvoll mit einer instinktiven Rock-and-Roll-Energie versehen ist”, erklärt Sänger und Gitarrist Rob Grote.
4. Get Well Soon – Amen (VÖ: 25.03.22)
„Was soll ich groß drum herumreden: Es ist natürlich ein Pandemie-Album!“, gesteht Konstantin Gropper zu seinem sechsten Studioalbum AMEN, das während des Lockdowns Anfang 2021 im privaten Keller und in einem abgelegenen einsamen Ferienhäuschen inmitten der Pfälzer Weinberge geschrieben wurde. AMEN handelt vom Für und Wider des Individualismus, vom Guten und Schlechten, das uns vereint und gleichermaßen trennt, vom Streben nach Glück, der Bedeutung von Hoffnung und der tröstlichen Weisheit chinesischer Glückskekse. Am Ende steht die für Gropper selbst wohl am überraschendste Erkenntnis: Er ist tatsächlich Optimist – wer hätte das gedacht?! Wo er doch mit The Horror ein Album über den Schrecken unserer Zeit, vor dem wahrscheinlich größten Horror unserer Zeit veröffentlichte. „Wenn an dieser weltweiten Tragödie irgendetwas positiv ist“, erzählt Gropper, „dann vielleicht, dass sie Wahrheiten ans Licht gebracht hat. Die meisten davon leider auf schmerzliche Weise, aber dennoch eben sehr lehrreich. In ihren wildesten Träumen hätten sich Soziolog:innen, Psycholog:innen und Philosoph:innen doch solche Beispiele nicht ausmalen können. Was für eine Versuchsanordnung für ihre Theorien! Sicher werden sie noch in vielen Jahren von diesen lehrbuchhaften Monaten zehren. Es sind also auf eine Art philosophische Zeiten. Fragen drängen sich auf, die zu stellen unter normalen Umständen viel zu pathetisch wären.“ Wer jedoch glaubt, dass die Schwere der Umstände einen hier Get Well Soon-typisch in ordentlich Bombast und Geste gehüllt erdrücken könnte, wird positiv überrascht – Krautrock-Rhythmen treffen hier auf Synth-Pop, wie ihn sonst vielleicht nur die Pet Shop Boys anbieten, trifft auf Dream-Pop, Depeche Mode, auf orchestriertes Epos – ein bisschen Get Well Soon soll es eben halt doch auch hier wieder sein. Und das ist auch gut so, Halleluja!
5. The Weather Station – How Is It That I Should Look At The Stars (VÖ: 04.03.22)
Wie weiter machen, wenn dein aktuelles Album dich urplötzlich ins Rampenlicht zerrt und als Konsensalbum des Jahres weltweit auf den Bestenlisten der Welt hoch oben rangiert? Tamara Lindeman, alias The Weather Station, ist es so letztes Jahr mit ihrem Album Ignorance ergangen – und sie hat sich entschieden das Pflaster der Erwartung einfach in einem schnellen Ruck abzureißen, indem sie schon wenige Monate später mit einem neuen Album aufwartet, das jedoch viel mehr als die kleine Schwester/der kleine Bruder des großen Vorgängers zu sehen ist. Es sind Lieder, die zur gleichen Zeit geschrieben wurden, die sich emotional verbinden und viele der gleichen Themen behandeln: Trennung und Konflikt, Liebe, Vögel und Klimagefühle. Es ist ein Album von ungeheurer Sensibilität, eine Aufnahme einer Band und eines Menschen, die es wagen, ohne Entschuldigung nach Sanftheit zu greifen. Dabei sind die Songs introvertierter, spartanischer instrumentiert, entschleunigt – aber bei gleichbleibender Qualität, Intimität, nur eben mit mehr Raum für Stille, Details und Atem.
Newcomer:
1. Kaina – It Was A Home (VÖ: 04.03.22)
Die internationalen Pressestimmen zu Kaina ließen es schon erahnen: da kommt etwas großes auf uns zu! So wusste NPR zu berichten: “The best of Chicago’s young and eclectic music scene“, während Nylon hinzufügte, “Kaina has been Chicago’s best-kept musical secret”. Nun ist die Soul-Stimme aber bei City Slang gelandet und somit sollte auch bald hierzulande Schluss sein mit dem Geheimnis-Dasein der Newcomerin, ist ihr Album doch ein zeitgeistiges Sammelsurium an unterschiedlichsten Einflüssen, das mit Soul, Pop, R&B und Co liebäugelt und in der Stimme Reminiszenzen von Motown wieder auferstehen lässt. Zeitlos schön in den Frühling mit Kaina – wir können es nur empfehlen!
2. Barrie – Barbara (VÖ: 25.03.22)
Nachdem das Brooklyner Quintett Barrie mit ihrem Debüt Happy To Be Here und einer ordentlichen Schippe Lo-Fi-Pop uns im Sturm eroberte, löste es sich kurz nach der internationalen Tour in ihre Einzelheiten auf. Übrig blieb Frontfrau und Songwriterin Barrie Lindsay, die nun mit dem Zweitwerk weiter macht. Texte, die zuvor zwischen melodischen Synthesizern und verschwommenen Backbeats geflüstert wurden, treten nun in den Vordergrund und erzählen sehr persönliche Geschichten von Liebe und Verlust. Barbara ist ein zutiefst persönliches Album geworden, das die Sängerin nach dem Tod ihres Vaters und inmitten der Liebe zu ihrer jetzigen Frau Gabby geschrieben hat – und das ihre innere Welt mit neuer Kühnheit zum Leben erweckt. Klanglich ist es nicht mehr ganz so zugänglich und zuckersüß wie davor, aber die Qualität des Debüt schimmert immer wieder auch durch die neuen Songs. “Since I wrote, played, and produced the album by myself in isolation, with the help of my wife, it felt like it should be self-titled, but maintain that same sense of separation I achieved with the music. Barbara is my legal name, my formal name. No one calls me Barbara except the bank and the government, and odd occasions when my dad inexplicably introduced me that way to friends. Since my name and moniker are Barrie, calling the album Barbara felt like the fitting way to keep that balance between intimate and public“, sagt Barrie selbst über das neue Album.
3. Philine Sonny – Lose Yourself EP (VÖ: 25.03.22)
Wir haben bisher alle Singles der 20-jährigen Newcomerin Philine Sonny aus der Amilli-Schmiede MIGHTKILLYA nur so verschlungen – nun erscheint endlich die Debüt-EP und vereint die bisherigen drei Songs mit 4 weiteren zu einer runden, wie spannenden ersten Standortbestimmung, die zeigt welches Potential in der Newcomerin schlummert, die sich damit einfach mal zwischen die Stühle von Snail Mail und The War On Drugs setzt. Muss man so auch erstmal machen!
Wiederkehrer: Big Thief – Dragon New Warm Mountain I Believe In You (VÖ: 11.02.22)
Vor kurzem erschien erst das neue Album der Indie-Folk-Helden Big Thief – und es läuft und läuft und läuft bei uns hoch und runter! In vier verschiedenen Aufnahmesessions setzte die Band Adrianne Lenker, Max Oleartchick, Buck Meek und James Krivchenia im Jahr 2020 ihren Aufnahmeprozess noch mal ganz neu zusammen, gab sich den Momenten, wie ihren Songs vollständig hin, um mit einer ganzen Latte neuer Klassiker ihrer eh schon monumentalen Discographie zurückzukehren. Hier und da wird der Ausflug vielleicht auch mal etwas arg erdig Americanaesque – doch der nächste der 20 Songs des Doppelalbums fängt einen unvermittelt wieder ein und lässt einen ehrfürchtig im massiven Können dieses stetig umtriebigen Quartetts verharren. Big Thief haben sich auf eine Reise ins Band-Ich begeben und dabei so viel Neues gefunden, das den Rahmen eines einfachen Albums gesprengt hätte. Deshalb ist Dragon New Warm Mountain I Believe In You ein Doppel-Album geworden, das die Vielfältigkeit einer verdammt großartigen Band in all ihren Facetten zeigt.