GET WELL SOON – Track by Track

Foto-© Clemens Fantur

Von der musikalischen Interpretation seiner Albträume auf The Horror zum Musikmachen mitten im real gewordenen Albtraum – „Es ist natürlich ein Pandemie-Album!“ wird Get Well Soon-Mastermind Konstantin Gropper zu Beginn des Pressetextes seines neuen Albums AMEN zitiert. Man kann das beflügelte Wort Pandemie-Album nicht mehr hören, aber drum herum kommen wir dann ja doch nicht.

AMEN – die Bekräftigung etwas Vorausgegangenem, eine Zustimmung, so sei es! Ne, Get Well Soon übernimmt jetzt nicht die Rolle des deutschen Sunday Service Choir, ganz im Gegenteil. Im Opener heißt es so schön: „Envying the jesus-freaks’ great mood, if they can, why can’t I feel good? I need another hobby but to blame, my missing lobby or my catholic shame“

Und doch lassen sich wage Parallelen ziehen. Eine neuartige Hoffnung durchzieht das Album. Nicht ganz ohne Selbstzweifel und sanfte Realitätsschellen („I used to say that you can dance the pain away, but the demons gonna stay“), aber für ein Get Well Soon-Album doch besonders. Seufzen will man Song um Song, tröstlich legt sich das Album um die allgegenwärtige Ungewissheit – und Song für Song hat sich Gropper für uns noch mal sein Album vorgenommen und wir präsentieren nun alles Wissenswerte zu AMEN in unserem dieswöchigem Track by Track!

1. A Song For Myself

Eine Intervention für mich selbst. Eine Art öffentliche Richtigstellung oder fast schon ein Widerruf meines alten alter Egos bevor es losgeht. Selbstmitleid, Melancholie und Pessimismus – no more! Irgendwie ging mir das plötzlich sehr auf die Nerven. Vor allem bei mir selbst. Ich hoffe, dass ich diesen Kurswechsel nicht auch irgendwann bereue! Aber das soll ein Versprechen sein: Bei Get Well Soon wird nicht mehr rumgeheult! Kein „Todesvogerl“ (Thomas Bernhard) sitzt mehr auf der Schulter. 


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2. My Home Is My Heart

„Man muss mich akzeptieren, wie ich bin“ und „sei du selbst und liebe dich selbst, wie du bist“. Dagegen ist grundsätzlich ja nichts zu sagen. Allerdings muss dieser Individualismus ja schon auch hinterfragt werden, gerade in der Pandemie wurde er zumindest hart auf die Probe gestellt. Die Gesellschaft lebt nun mal von zwischenmenschlichen Kompromissen und bisweilen auch vom Zurückstecken der „Persönlichkeit“.
 Der Philosoph Charles Taylor ist einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten „Kommunitarismus“. Er sieht im Individualismus oder Neoliberalismus das „Unbehagen der Moderne“. Durch den Drang zur „Selbstverwirklichung“ geht die Verantwortung für die Gemeinschaft verloren. Das dürfte in der Pandemie auch seine Bestätigung gefunden haben. 
Musikalisch ist das offensichtlich von der Disco inspiriert. Irgendwo zwischen Giorgio Moroder, den Pet Shop Boys und den Happy Mondays. Für mich trifft das irgendwie diesen Nerv: zwischen individualistischer Exaltiertheit und Gemeinschaftserlebnis. Das ist doch Disco, oder?

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3. I Love Humans

Dieser Song ist eine Liebeserklärung an mein Lieblings- und eigentlich einziges Thema: den Menschen. Unsere Philanthropie und unsere Akzeptanz wurde ja wirklich sehr überspannt in den letzen 2 Jahren. Irgendwie ist es aber schon immer eine Herausforderung gewesen mit anderen Menschen zu tun zu haben. So geht es zumindest mir.

Aber was macht die Menschen dann so faszinierend oder „liebenswert“? Sicher nicht ihre Moral, die sie angeblich von den Tieren unterscheidet. Sondern ihre Fehler, ihre Sehnsüchte, ihre Berechenbarkeit, ihr Stolz, ihre Unsicherheit, ihr Hass, ihr Schlechtes. Klingt ein bisschen nach Jesus. Ist aber so nicht gemeint. Eher so: es verbinden uns mehr Fehler und schlechte Eigenschaften als gute.
Ich glaube, ich habe zu Menschen ein ähnliches Verhältnis wie zu Tieren: ich mag sie grundsätzlich, so lange sie mir nicht zu nahe kommen. Songwriter sind ja auch nur die self-taught Soziologen des kleinen Mannes. In den letzten anderthalb Jahren konnte man ja wunderbar menschliche Unzulänglichkeiten aus der Ferne zu studieren, be-und verurteilen. Als ob man gar nicht dazu gehört. Soziologie eben. Ich finde es immer wieder faszinierend. „I’m in love, more and more each day“

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4. This Is Your Life

Es verbinden uns Fehler. Aber auch unsere Sehnsucht, der „pursuit of hapiness“. Im einzig wahren Lebens- und Glücksratgeber, Watzlawiks guter alter „Anleitung zum Unglücklich sein“, wird klar: Der Mensch steht seinem Glück immer zuerst selbst im Weg – er ist unfähig es zu sehen, zu misstrauisch es anzunehmen. Watzlawik stellt dem Band ein schönes Dostojewski-Zitat voran: „Was kann man nun von einem Menschen erwarten? Überschütten sie ihn mit allen Erdengütern, versenken sie ihn in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf, so dass die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen aufsteigen (…) so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. (…) Er wird (…) sich den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten Blödsinn, einzig um dieser ganzen positiven Vernünftigkeit sein eigenes unheilvolles phantastisches Element beizumischen. Gerade seine (…) banale Dummheit wird er behalten wollen…“
Pessimismus ist auch immer Selbstschutz, klar. Ich finde aber den Gedanken spannend: Die Angst vor der Erkenntnis, dass der eigene Lebensentwurf eigentlich mindestens OK ist, ist größer als vor der, dass er grundsätzlich falsch ist.

Ich weiß immer noch nicht, ob es befreiend oder frustrierend ist, dass das was ich tue offiziell als „nicht relevant“ eingestuft wurde. Gewusst habe ich es ja eigentlich schon immer. 
Musikalisch hört man hier vielleicht meine Liebe zu Krautrock, vor allem der Band „Neu!“. Für mich war das, ähnlich wie Brian Enos Ambient-Stücke irgendwie immer „utopische“ Musik. Und Utopie ist ja nichts anderes als Hoffnung.

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5. Our Best Hope

Woher also jetzt die Hoffnung nehmen? Ich behaupte nicht, dass ich die knapp 1700 Seiten „Das Prinzip Hoffnung“ gelesen habe. Es ist aber zunächst bemerkenswert, dass der marxistische Jude Ernst Bloch das Mammutwerk im Exil, unter dem direkten Eindruck des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust geschrieben hat. Aber selbst ohne den geschichtlichen Hintergrund, wäre er als Zeitgenosse der Existentialisten und der Frankfurter Schule mit einer Abhandlung über Hoffnung ein absoluter Einzelgänger gewesen. Hoffnung ist zutiefst unseriös! Sie gehört nicht in die Geisteswissenschaft. Sie ist späkulativ, spirituell oder schlimmstenfalls religiös. Es geht also um die „Rationalisierung“ der Hoffnung.„Utopie“ soll kein Schimpfwort mehr sein.
 Hoffnung ist „Handeln, das in das Gelingen verliebt ist“. D.h. eigentlich auch jegliche kreative Tätigkeit, ist ohne Hoffnung nicht möglich. Kreativität (in welchem Sinne auch immer) heißt, Pessimismus zumindest kurzfristig zu überwinden.

Noch ein schönes Zitat (aus dem „Tod in Venedig“): „…dass alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Körperschwäche, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens…“ 
Vor diesem Hintergrund soll der Song so ein bisschen „bipolar“ sein. Die Strophe klein und bodenständig, der Refrain überlebensgroß bombastisch.

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6. One For Your Workout



Ist Hoffnung auf eine besseres Leben das gleiche wie „Selbst-Optimierung“? Das beste aus sich selbst zu machen, ist ja die Grundidee des Coachings. „It’s not how good you are, it’s how good you want to be“ ist ein Ratgeber-Klassiker für Karriere, speziell in der Werbung von Paul Arden. Es versammelt ziemlich viele Klischee-Motivations-Sprüche. Wie der Titel schon sagt, geht es aber vor allem darum ein ideales Bild von sich selbst zu erfinden. Da heutzutage ja mehr denn je, jeder sein Idealbild erfinden kann und muss, kann man dem schön sein Leben lang hinterher laufen. Darum geht es in dem Song. Von der Sysiphos-Arbeit seiner Vorstellung von sich selbst entsprechen zu wollen.

Musikalisch hat mich das assoziativ in das „golden age of Aerobic und Bodybuilding“ geführt. 80s, baby!

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7. Mantra



Apropos Sport. Das Mantra das ich mir gegeben habe, bezieht sich auf das ewige Thema, die Energie für all die Projekte die man sich vornimmt auch aufzubringen umzusetzen. Die alte Geschichte vom schwachen Fleisch und dem Schweinehund. Einfach mal anfangen!

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8. Chant En Disenchant



„Achtsamkeit“ ist ja DIE Zauberformel für das glückliche Leben. Aber ich kann mir nicht helfen…ich kann damit nichts anfangen. Nicht an gestern, nicht an morgen denken, alle Menschen so akzeptieren wie sie sind, sich nur auf sich selbst konzentrieren und den Moment. Das klingt erst mal nicht schlecht. Es klingt für mich aber nicht nach dem Wort Achtsamkeit, sondern eher nach dem Gegenteil, nach „Gleichgültigkeit“. Es klingt als könne man damit alles rechtfertigen und das wird es ja auch. Achtsamkeit kann einfach alles: ruhiger durch Achtsamkeit, aktiver durch Achtsamkeit, glücklicher durch Achtsamkeit, erfolgreicher durch Achtsamkeit, weniger Karriere durch Achtsamkeit, mehr Karriere durch Achtsamkeit. Das Ziel, alles „ausblenden“ zu können, Vergangenheit und Zukunft, andere Meinungen, die „traurige Realität“ scheint mir aber so gar nicht erstrebenswert. Das klingt egositisch, zumindest aber völlig unpolitisch. Ich persönlich scheitere aber eh daran „loszulassen“, meine Meditations-Versuche ergaben nichts, außer dass ich im Kopf schon einen Einkaufszettel verfasst hatte oder Ähnliches. Aber jeder wie er will. Ob sich mit „chanting“ aus der Welt rausnehmen, oder mit der „Entzauberung“ derselben leben. Das soll zumindest der Titel bedeuten.

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9. Richard, Jeff And Elon

Eine besonders exklusive Form der Utopie leisten sich derweil die Tech-Milliardäre. Über die Motive ihrer Weltraummissionen lässt sich natürlich wunderbar spekulieren. Und Songs schreiben. Ist das Konkurrenzdenken, wie in Entenhausen? Haben sie einfach die Hoffnung für den Planeten Erde aufgegeben? Ist es die Verwirklichung pubertärer Science-Fiction Träume von Nerds? Sind es Kolonialisierungspläne für Übermenschen-Siedlungen wie bei einem Bond-Bösewicht? Mit Sicherheit ist es aber die Exzentrik, die unbegrenzte finanzielle Mittel mit sich bringt.
Und man weiß ja jetzt mehr denn je, das sind Tech-Milliardäre versuchen humanitäre Hilfe zu leisten, werden sie erst recht angefeindet. Da werden Ihnen genauso dystopische Weltmachtsfantasien angedichtet. Dann können Sie auch gleich Raketen bauen.

Klingen soll das Ganze wie ein Winken aus dem Raumschiff. Viel Krach, aber trotzdem eine „schöne, andere, neue Welt“.

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10. Us vs Evil

Apropos Weltmachts-Fantasien. Ein in der Coronakrise fast schon zu Tode diskutiertes Thema ist das der Verschwörungstheorien. Aber da mich das Thema schon immer fasziniert hat, konnte ich mir nicht helfen und muss auch noch was dazu sagen.

Neu ist ja, dass in der Pandemie das Thema in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist und wieder wurde wie unter dem Brennglas die Dynamik eines solchen gesellschaftlichen Phänomens präsentiert. Es ist schon faszinierend, was denkende Menschen bereit sind zu glauben, wenn eine Erklärung nur spektakulär genug ist und es einen bösen Drahtzieher im Hintergrund gibt. Warum das Thema aber für lange Zeit Familien und Freundschaften zerstört hat und zerstören wird, scheint mir ganz einfach: Es ist für den Menschen das absolut Größte, mehr zu wissen als „die Anderen“, ein (geheimes) Wissen zu haben, das nicht alle haben. So kann sich jede Partei überlegen fühlen: die mit dem Geheimwissen und die mit dem „Mainstream-Wissen“, indem sie die jeweils anderen für verrückt erklären. Es gilt immer: Wir gegen „die Anderen“, Wir gegen „das Böse“. Und weil die Einsicht, sich geirrt zu haben, dann im Umkehrschluss der größten denkbaren Demütigung gleichkommt, verhärten sich die Fronten immer weiter. Leider liegt wenig Hoffnung darin, dass dem Wort „Fakt“ seine Bedeutung entzogen wird. Musikalisch habe ich versucht, den Song ein bisschen „street“ klingen zu lassen.

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11. Golden Days

Ich habe mich gefragt, welche Altersgruppe leidet wohl am meisten unter einem Lockdown? Teenager? Sicher! Senioren? Auch! Kinder? Unbedingt! Wer wird also durch diesen Virus seiner „goldenen Tage“ beraubt?
Wahrscheinlich fühlt es sich für jeden so an. 
Leider konnte die Pandemie auch keine Brücke zwischen den Generationen bauen. Wäre ja möglich gewesen. Die Jungen stecken für die Alten zurück. Nach richtiger Dankbarkeit hat sich das dann in der Gegenrichtung auch nicht angefühlt. Unterm Strich bleibt die erschreckende Erkenntis: Alle im nicht wahlfähigen Alter waren und sind komplett egal. Dabei sollten doch die unter 20jährigen unsere große  Hoffnung sein. Für mich ist es so und ich schäme mich ein bisschen für meine Generation die immer „no future“ lamentiert hat, während die „Kids“ jetzt „for future“ auf die Straße geht. 
Klingen soll der Song irgendwie altmodisch. Vll auch ein bisschen nach Chris Isaak. Zitat aus dem Text: „What used to be better? The music – that’s all!“

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12. Accept Cookies

To end on a lighter note: Es ist manchmal auch schön zu sehen, wie einfach man gestrickt ist. Manchmal reicht dann doch wirklich wenig für einen guten Moment. Vielleicht ist der Kalenderspruch für ein bisschen Hoffnung auch nicht verachten.

Aus diesem Grund habe ich – in familiärer Unterstützung – einige Dutzend chinesischer Glückskekse vertilgt und den Inhalt zu diesem Text verarbeitet. Tatsächlich sind Glückskekse weit besser als ihr Ruf. Man muss sie nur akzeptieren! Dieser Song ist eine Dusche der Hoffnung.

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Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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