Foto-© Ben Houdijk
Popmusik weiß seit dem Sendestart von MTV nicht nur, dass Musikvideos das Musikradio auf dem Gewissen hat – Pop selbst hat auch einen treuen Begleiter in der Versenkung verschwinden lassen: das Tanzorchester, beziehungsweise, im Kleinformat, die Tanzkapelle. Dabei ist es längst Zeit, solche nach BRD Noir müffelnden Bezeichnungen abzustauben. Ob Los Bitchos oder L‘éclair, Mildlife oder die Mauskovic Dance Band (die korrekterweise schon den passenden Namen gewählt hat), sprießen überall Bands aus dem Boden, die kleine Clubs mit Sounds zum gesitteten Schwofen versorgen. Ein bisschen jazzy, ein bisschen psychedelisch und – wichtig – mit stets sauber heruntergespielten Instrumental-Songs im Gepäck, sind die Tanzkapellen zurückgekehrt.
Vielleicht liegt es daran, dass Bands heute wegen miesen Streaming-Einnahmen (etwa 0,3 Cent pro Klick beim Branchenführer Spotify) wieder ausdehnende Tourneen unternehmen, um über die Runden zu kommen. Vielleicht ermöglichen eben jene Streaming-Anbieter aber auch immer mehr Künstler*innen, sich von so vielen Stilen und Songs wie nie zuvor inspirieren zu lassen (und sich nicht mehr vor dem Album-Kauf auf Musikreviews verlassen zu müssen – aber das ist eine andere Geschichte).
Ein Glück: Reichte es früher nur für aufgewärmte mitteleuropäische Volkslieder und seichte Hitparaden-Cover, spannen sich musikalische Bezüge ohne Scheu quer über den Globus. Die niederländische Band YĪN YĪN, beheimatet im beschaulichen Maastricht, hat sich ganz dem vom Beat beeinflussten 70er-Jahre-Sound Südostasiens verschrieben, den sie flugs mit wohldosierten Disco-Grooves fusionierte. The Age of Aquarius, bereits das zweite Album der mittlerweile zum Sextett gewachsene Gruppe um Yves Lennertz und Kees Berkers, setzt das bewährte Prinzip nun fort.
Und so gibt es in der halben Stunde – von den ganz auf atmosphärische Ein- und Ausführung setzenden Satya Yuga und Kali Yuga (zwei Weltzeitaltern im Hinduismus) abgesehen – alles zu hören, was eine Tanzkapelle heutzutage draufhaben muss: Poppiger Elektro-Indie mit wobbelnden Synthesizern und fernöstliche Funk-Licks, stampfende Beats und heulende Chiptune-Klänge, gleitende Surfer-Gitarren und unermüdliche Bongos – The Age of Aquarius ist eine unumwundene Aufforderung, das Eckenstehen zu beenden und die Nacht zu beginnen.
Das fällt im Albumformat bekanntermaßen etwas schwerer als live, weswegen die eklektischen, aber bald vorhersehbaren Songs wenig Aufregendes zu bieten haben. Sich selbst nehmen YĪN YĪN allerdings auch nicht allzu ernst und beklatschen sich, wie am Ende von Declined by Universe zu hören, notfalls einfach selbst. Aber selbst wenn die acht Songs von The Age Aquarius nur die zweitheißesten Anwärter auf die „Tanzplatte des Jahres“ 2022 sein sollten – entschieden wird auf der Tanzfläche.
YĪN YĪN – The Age of Aquarius
VÖ: 11. März 2022, Glitterbeat Records
https://yinyin.bandcamp.com
www.facebook.com/yinyinband