Foto-© Louise Amelie
Schon bei ihrem 2020er Debütalbum Made By Desire war klar – die Musik des Duos ÄTNA ist alles andere als leichte Genre-Schubladenkost oder bundesdeutscher Normpop. Vielmehr bringen die beiden avantgardistischen Soundkünstler alle möglichen Klänge in treibenden Rhythmen und eingängigen Hooks zusammen, dass einem die Songstrukturen nur so um die Ohren fliegen, während es einem die Beine vom Boden holt. Dem steht auch das Anfang April erschienene Zweitwerk Push Life in Nichts nach – ÄTNA bleibt auch in 2022 exzentrisch und erhaben. Und die beiden lösen sich von jeglichen Konventionen, egal ob stilistisch, Gender-, Rollen-, Genre-Vorstellungen – Inéz und Demian sind am Puls der Zeit (ihm vielleicht sogar voraus) und machen genau das, was sie wollen. Zum Glück wollten sie letztens auch mit uns sprechen – unser Interview mit ÄTNA!
Hey! Wie geht’s euch heute?
Inéz: Hi! Super, richtig gut! Ich schlafe im Auto immer ganz viel und Demian und unsere Tourmanagerin Julia fahren immer abwechselnd.
Demian: Ja, wir haben uns gut unterhalten, das Wetter ist gut, die Vorfreude ist groß!
War gestern eure erste Show von der Tour?
Inéz: Ne, wir haben am Mittwoch angefangen, da waren wir in Wiesbaden, dann in Osnabrück, gestern in Jena und heute Berlin!
Demian: Und in der Woche vorher waren wir vier Wochen in der Schweiz und in Stuttgart!
Euer zweites Album ist vor einer Woche erschienen, was waren eure Erwartungen vor dem Release und wurden die erfüllt?
Inéz: Also die Erwartung war, dass das Album rauskommt und die wurde komplett erfüllt (lacht).
Damian: Ist ja auch gerade nicht selbstverständlich, viele Künstler:innen mussten ihre Alben ja auch verschieben. Und dadurch, dass es am 1. April auch Gefahr läuft ein Aprilscherz zu sein, wusste auch keiner, ob es wirklich ein Album gibt, oder ob das nur eine Behauptung ist (lacht). Insofern ist das an so einem Tag gar nicht so selbstverständlich! Ansonsten trudeln die ganze Zeit Rückmeldungen von Leuten ein, die sich darüber freuen und die uns erzählen, welche Songs ihnen am besten gefallen, oder für welche Lebenslage ihnen welcher Song was bedeutet. Das ist natürlich eine der schönsten Zeiten, neben dem Live spielen!
Das überschneidet sich wahrscheinlich jetzt auch ganz gut, oder? Also, dass Leute auch auf Konzerten zu euch kommen und euch Feedback geben.
Inéz: Ja, total!
Gab es auch negative Rückmeldungen?
Demian: Das wird immer nicht so an uns herangetragen (lacht).
Inéz: Eine Sache, die schon manchmal kommt, ist es, dass es manchen zu divers ist. Die hohe Bandbreite auf dem Album überfordert manche, glaube ich. Aber uns wird schnell langweilig und deshalb machen wir einfach das, worauf wir Bock haben (lacht).
Für euch hat die Pandemie auch bedeutet, dass ihr überhaupt angefangen habt an dem zweiten Album zu schreiben – hat die Situation auch den Sound vom Album beeinflusst?
Inéz: Ne, nur insofern, dass wir viel mehr Zeit hatten, dass der Sound noch viel feiner wird! Wir hatten auch mehr Zeit mit Moses, der hatte mehr Freiraum als sonst und wir konnten uns viel öfter treffen. Das war super intensiv und das hätten wir ohne diese Pandemie gar nicht so intensiv machen können, weil wir dann viel mehr gespielt hätten.
Demian: Mir hat, mehr denn je, obwohl ich früher gar nicht so viel feiern gegangen bin, das Tanzen und das in Clubs sein total gefehlt. Auch wenn ich gar nicht so der Wochenend-Partygänger bin. Deswegen ist glaube ich auch einiges von den Grooves und den Stimmungen auf dem Album tanzbarer und komprimierter.
Hat sich eure Art zu arbeiten auch verändert, im Gegensatz zum ersten Album?
Inéz: Ja, wir sind so rangegangen, dass Demian zuerst mit Entwürfen kam, vorher haben wir immer alles zusammen gemacht. Dadurch haben wir beide mehr für uns allein gearbeitet und danach erst angefangen zusammen zu jammen und zu improvisieren. Dieses Mal habe ich beim Texten für drei Songs mit einem Native Speaker zusammengearbeitet, das war auch cool, weil ich da einen Austausch hatte. Texte sind für mich immer sehr persönlich und die Zusammenarbeit war da total bereichernd. Ich habe mit Demian aber auch viel mehr über die Texte gesprochen als bei dem letzten Album, das war cool!
Demian: Dadurch, dass der Zeitdruck raus war, musste nicht alles was wir gemacht haben super effektiv sein und dadurch konnten wir uns an vielen Stellen mehr Austausch gönnen. Das hat echt einen Unterschied gemacht.
Glaubt ihr, es hätte länger gebraucht das Album rauszubringen, wenn die Pandemie nicht gewesen wäre?
Demian: Definitiv! Es war so viel touren geplant, dass wir das zwischen Tür und Angel, glaube ich nicht gepackt hätten.
Inéz: Ja, mal gucken, wie es dieses Jahr wird mit dem neuen Album (lacht). Im September sind wir für zehn Tage im Studio verabredet und das ist auch zwischen den Tourblöcken, aber das wird schon!
Ihr solltet ja auch eigentlich eine Tour spielen, als Corona los ging, wirkt sich das irgendwie auf die Setlist der aktuellen Tour aus?
Demian: Das ist schwer zu sagen, weil wir ja noch nicht so viel Erfahrung haben mit alten Songs. Es ist schon davon auszugehen, dass ungefähr die Hälfte der Leute ihre Tickets schon seit eineinhalb Jahren haben und man will deshalb natürlich beiden Alben gerecht werden. Deshalb haben wir sehr viel von beiden Sachen auf der Setlist kombiniert und ich glaube das ist uns so gelungen, dass alle genug Überraschungen erfahren können.
Ihr habt euch durchs Studium in Dresden kennengelernt, beeinflusst der Ort eure Musik ein Stück weit?
Inéz: Es ist halt unser Zuhause, wir sind aber auch oft in Berlin zum Arbeiten und deshalb ist es die Welt aus beiden, die uns beeinflusst. Texte sind immer Einfluss von alltäglichem und dem, womit ich mich beschäftige, ob es jetzt Nachrichten sind oder Freunde oder Social Media oder da, wo ich lebe, deshalb spielt das auf jeden Fall eine Rolle.
Demian: Dresden ist auch oft ein Ruhepol, also Dinge in der Musik, die nicht so hyper sind, die kommen eher aus der Dresdener Umgebung. Viele von den Songs sind aber auch sehr zugepackt mit allen möglichen Klängen und sehr schnellen Veränderungen innerhalb des Songs, die Entsprechen dann eher dem Wahnsinn der Hauptstadt (lacht).
Ihr habt eben schon erwähnt, dass ihr für das Album jetzt auch wieder mit Moses Schneider zusammengearbeitet habt – was für einen Einfluss hat der auf eure Musik?
Demian: Wir sind ja zu zweit und haben oft sehr unterschiedliche Empfindungen. Viele Dinge gefallen uns beiden gut und da sind wir uns sehr einig, aber in vielen Sachen sind wir uns auch uneinig, weil wir unterschiedliche Attribute dazu bringen. Da ist es sehr gut, dass wir mit Moses inzwischen eine große Vertrauensbasis haben. Wenn wir ihn um Rat fragen oder ihm zwei Unterschiedliche Ideen präsentieren und er sich dann für eine entscheidet oder eine ganz andere auf den Tisch bringt, dann können wir das inzwischen gut akzeptieren. Da sind inzwischen schon so viele gute Entscheidungen getroffen worden, bei denen man am Anfang nicht gedacht hätte, dass sie klappen.
Es ist wahrscheinlich auch generell viel Wert, wenn man mit jemandem über mehrere Alben hinweg arbeitet, weil diese Vertrauensbasis sonst gar nicht entstehen würde, oder?
Demian: Ja, genau! Wir haben die ersten beiden EP’s und die ersten beiden Alben mit ihm gemacht. Also seit wir angefangen haben an Aufnahmen zu arbeiten, war er immer dabei.
Ich glaube, wenn man oft wechselt und viele unterschiedliche Sachen ausprobiert, hat man die Chance guten Input zu bekommen, aber man hat dann nicht die Möglichkeit länger und kontinuierlich an einer Sache zu arbeiten. Das wir das können, tut unserer Musik sehr gut.
Wie ist eure Zusammenarbeit eigentlich entstanden?
Inéz: Wir haben ja beide in Dresden studiert, bei meinem Abschlusskonzert haben Demian und ich ein paar Songs zu zweit gespielt. Dort hat uns ein Gitarrenprofessor gesehen und der fand es cool was wir gemacht haben und wollte uns Geld für ein Album geben. Dann haben wir einen Freund von den Krauts, die Peter Fox und Marteria machen gefragt, ob er das für uns aufnehmen würde, der fand unsere Musik total cool, aber hatte nicht so viel Ahnung von Live Band Recording. Allerdings hatte er noch einen Gefallen bei Moses Schneider gut und hat uns dann an ihn vermittelt. Wir waren uns erst gar nicht sicher, weil Moses vor allem Beatsteakes und Tocotronic gemacht hat, die Musik mögen wir zwar, aber es ist was ganz anderes, als das was wir machen. Dann haben wir uns aber mit ihm getroffen und er war auch bereit diesen Gefallen einzulösen, darüber haben wir uns natürlich total gefreut! Als wir angefangen haben zusammen zu arbeiten hat er dann gemerkt, dass wir gar nicht so ein Jazz Duo sind, dem er halt einen Gefallen tut, sondern, dass er unsere Musik wirklich cool findet und selbst total Bock hat, mit uns zu arbeiten. Das war natürlich superschön und tatsächlich Liebe auf den zweiten Blick (lacht). Bei der ersten EP haben wir dann ein Video gemacht, bei dem wir live die Musik aufgenommen haben, wir haben am Ende also nicht das genommen, was im Studio aufgenommen wurde, sondern das, was wir beim Dreh gespielt haben. Dadurch entstand die Idee eine EP zu machen, auf der wir nur die Tonaufnahmen aus den Musikvideodrehs genommen haben. Moses hat dann immer die Spuren bekommen und alles Mögliche an Effekten darauf gehauen, das war eigentlich immer eine coole Arbeitsweise. Irgendwann haben wir aber genug One Shot Videos gemacht und hatten Bock unser erstes Album aufzunehmen, das haben wir im Hansastudio gemacht, danach sind wir unverhofft in der Pandemie gelandet und haben dann einfach direkt das zweite Album gemacht. Durch die Pandemie gab es einige Förderungen, auf die man sich als Musiker:in bewerben konnte, das haben wir einfach gemacht und das hat dann auch tatsächlich funktioniert.
Richtig gut! Was für „Auflagen“ musste man erfüllen, um für die Förderung in Frage zu kommen?
Inéz: Für ein neues Album kaufe ich mir immer einen neuen Synthesizer, deshalb habe ich einfach geschrieben, dass ich mich mit verschiedenen Synthesizern auseinandersetzen will und den Sound weiterentwickeln möchte.
Demian: Ich habe so eine Art Klangforschungsstipendium beantragt. Ich habe in der Zeit Verbindungen aus elektronischen Elementen, herkömmlichen Schlagzeugelementen und Schrottelementen, also Metallteile vom Schrottplatz, die ich ins Schlagzeug integriert habe verstärkt zusammengeführt. Da habe ich auch einen Zuschlag bekommen und das hat auf jeden Fall auch ein Stück weit den Druck aus der Sache genommen, weil man dadurch auch wirklich vertieft an Sachen arbeiten konnte.
Inéz, du hast es eben schon gesagt, für das Album hast du mit einem Native Speaker an den Texten gearbeitet – was hat das für dich an deinem Songwriting verändert?
Inéz: Ich glaube, dass es das einfach beschleunigt hat (lacht). Ich habe gemerkt, dass ich mir nicht gerne da reinreden lasse. Ich höre mir das zwar an, aber das ist schon echt ein empfindsamer Bereich für mich. Ich bin die härteste Kritikerin meiner selbst und deshalb habe ich irgendwann beschlossen, dass mir da niemand mehr reinreden darf, wenn ich es cool finde, dann ist es cool. Wenn dann jemand kommt, wenn ich den Song schon fertig habe und mir sagt, dass ich das so nicht schreiben kann, kann ich damit nicht gut umgehen. Mit ihm habe ich aber direkt von Anfang an zusammen geschrieben, bevor ich überhaupt wusste, worum es in den Songs gehen soll. Wenn wir Musik schreiben, stehen die Melodie und die Akkorde, bevor ich anfange Texte zu schreiben. Da sind dann zwar schon Wortfetzen drin und ich habe eine ungefähre Ahnung, wo das ganze hingehen soll, aber es ist immer ein Prozess das herauszufinden. Das hat dann im Endeffekt viel mit spazieren gehen und Dinge mit mir selbst ausmachen zu tun. Das mit jemandem zu teilen, war eine Herausforderung, er hat auch viele Vorschläge gemacht, die ich nicht gut fand, aber auch viele Ideen reingegeben die echt was gebracht haben. Ich bin mir auch manchmal nicht sicher, ob man die Sachen so schreiben kann, wie ich sie texte und ob ein Native Speaker das so sagen würde. Ich habe ihm dann immer Phrasen geschickt und ihn gefragt, ob das so geht und er hat sich das dann immer sofort angeschaut. Es war gut mit jemandem zu arbeiten, der sich auch mit dem Texten auseinandersetzt und Ahnung davon hat, dadurch, dass er Rapper ist, hat er immer super viel Wörter und Synonyme bereit.
Im Milch und Kultur Podcast habt ihr angesprochen, dass Inéz super perfektionistisch ist und Demian Zufälle liebt. Wie bringt ihr das zusammen?
Inéz: Durch viel Kommunikation, Akzeptanz, manchmal Streitereien, manchmal auch Uneinigkeiten, da ist es immer cool, wenn Moses dabei ist (lacht).
Demian: Aber auch die Erkenntnis, dass die eigene Musik niemals so stark sein könnte, wie der Teil, den die andere Person mitbringt. Als ich das erkannt habe, war mir klar, dass es sich lohnt sich immer wieder zu streiten und daran zu arbeiten, weil dann etwas entstehen kann, was man allein nicht schafft.
Inéz: Oft müssen wir auch viel Rumprobieren und über Dinge reden, um eine Lösung zu finden.
Demian: Oder der Idee des anderen eine Chance geben, auch wenn man weiß, dass es nichts ist, aber wir probieren es dann trotzdem aus.
Habt ihr dadurch, dass ihr ein Duo seid und auch als solches auf der Bühne steht schon mal das Gefühl gehabt überfordert mit dem Workload zu sein? Wünscht ihr euch manchmal sowas wie eine Live-Band?
Demian: Also eine Live-Band auf keinen Fall, weil wir dann ja mit noch mehr Menschen kommunizieren müssten (lacht). Aber so viel gleichzeitig zu machen, ist zwar anstrengend, aber dadurch wird es auch nicht langweilig.
Inéz: Ja genau! Also vor den Proben dachte ich natürlich, dass wir das niemals schaffen können, aber wir haben viel geübt und jetzt fühlt es sich voll frei an! Am Anfang standen wir uns immer Gegenüber und waren nur an unseren Instrumenten, aber jetzt laufen wir auch voll viel rum.
Was steht für euch in der nächsten Zeit noch an?
Inéz: Ich habe heute in meinen Kalender geguckt und wir sind ja echt fast jede Woche am Touren (lacht).
Demian: Ja genau, viele Festivals auch!
Welche Festivals spielt ihr?
Demian: Zum Beispiel Rocken am Brocken, Watt En Schlick, Dockville, das Puls Open Air, echt viele Sachen! Viele davon haben wir auch schon mal auf den kleineren Bühnen erlebt und da ist es besonders schön, dann zurückzukommen! Dann kommt noch die ein oder andere Kollaboration, da dürfen wir aber noch nichts drüber sagen (lacht). Und es kommen noch einige Remixe, die andere Leute für uns gemacht haben, da bin ich auch schon ganz schön aufgeregt, weil da so tolle Dinge entstanden sind! Und wir spielen auch noch zwei Konzerte mit der NDR Big Band, mit denen haben wir ja letztes Jahr schon mal was gemacht und daher ist es sehr schön, dass sich das fortsetzt. Also wir sind echt total beschenkt dieses Jahr!
Inéz: Ja und dann sind wir im September nochmal im Studio und machen neue Sachen!
ÄTNA live:
20.04.2022 München, Ampere
28.04.2022 Hamburg, Mojo Club
29.04.2022 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
30.04.2022 Münster, Gleis 22