Es sind weiterhin schwierige Zeiten für Filmfestivals. Wegen der immer konstant wechselnden Pandemie-Lage, sowie der damit einhergehenden Maßnahmen sind die Releasedaten für Filme in einem noch nie dagewesenen Fluss. In Folge davon ist es, neben der grundlegenden Schwierigkeit ein physisch stattfindendes Festival zu planen, schwieriger denn je feste Zusagen für sein Programm zu sichern. Ob dies der Grund ist, dass die Fantasy Filmfest Nights in 2022 internationaler denn je waren, da man weiter als gewohnt über den Tellerrand schauen musste, um das Programm zu füllen oder ob es, unabhängig davon, das Konzept war sich breiter aufzustellen, können wir nicht abschließend beantworten. Der Grund ist irgendwie aber auch egal, wenn als Ergebnis ein so unglaublich rundes und abwechslungsreiches Programm dabei heraus kommt. Noch einmal kurz zum Einordnen: zwischen dem 31.03. und 10.04. tourte das FFF durch sieben deutsche Städte. An je vier Tagen liefen insgesamt 17 Genre-Filme, mit einem Fokus auf Horror, Sci-Fi und Thriller. Die Nights sind dabei eine von drei jährlichen Veranstaltungen, bestehend aus den kurzen Wochenend-Festivals White Nights und Nights und dem langen 7-tägigen Fantasy Filmfest. Auch wenn das Fantasy Filmfest, mit viel Mühen und Flexibilität auch während der Pandemie relativ konstant weiterlief, waren die letzten White Nights ausgefallen. Mit dem Ergebnis, dass die Nights auf vier Tage verlängert wurden und nun nicht nur besonders abwechslungsreich, sondern auch noch generell verlängert daher kamen. Wir waren wie immer im Frankfurter Arthouse Kino Harmonie an allen Tagen dabei und stellen euch im Folgenden eine kleine Auswahl unserer Highlights vor.
Der Eröffnungsfilm stimmte, in Form des kompromisslosen und ultrabrutalen Slashers X, dann auch gleich perfekt auf das Festival ein. Eine Gruppe Überlebenskünstler machen sich auf, einen Pornofilm auf Spielfilmniveau im texanischen Hinterland der 80er Jahre zu drehen. Dass sie dies im Gästehaus eines erzkonservativem, gefühlt über 100jährigen Ehepaar tun wollen, könnte sich dabei als fataler, ja lebensbedrohlicher Fehler herausstellen. Die Story könnte abgedroschener und klischeebeladener kaum sein. Was den Film von Horror-Regie-Veteran Ti West (unter anderem bekannt für VHS und The House of the Devil) so besonders macht, sind die Charaktere. Und dieser Fokus alleine ist ein absolutes Novum im Slasher Genre. Vom schwarzen Vietnam-Veteran (Kid Cudi) über den Filmfan (Owen Campbell), bis hin zu Frauen in den Varianten offenen sexy (Mia Goth) und konservativ sexy (Jenna Ortega) sind alle Stereotypen vertreten. Diese werden jedoch im Laufe des Films so liebevoll ausgearbeitet und facettenreich dargestellt, dass es tatsächlich Sinn ergibt, dass der Film von dem Arthouse-Label A24 vertrieben wird. Sogar das ältere Ehepaar kriegt einige Charakterzüge verpasst, die man im Genre so gar nicht vermutet und andere wiederum, die wesentlich konsequenter als erwartet umgesetzt werden. Konsequenz ist dann auch die zweite große Stärke des Films. In Szene eins wird bereits das Ergebnis all des Grauens präsentiert, so dass man weiß, welches Schicksal diesen Haufen Chaoten erwartet, die man im Laufe des Films immer mehr und mehr in sein Herz schließt. Damit jedoch lässt sich der Film so viel Zeit, dass man sich irgendwann fragt und ob der Figuren hofft, dass vielleicht doch nichts passiert. Wenn es dann aber losgeht, wird der Blood & Gore Regler direkt auf 13 gedreht und alles, aber auch alles, was an Horrorszenarien angedeutet wurde, trifft ein oder wird übertroffen. Empfehlenswert für alle, die schon alles im Slasher Genre gesehen haben und jene, die alles sehen wollen.
Tag zwei begann für uns mit Inexorable vom Belgier Fabrice du Welz: die düstere und bedrohliche Atmosphäre verdichtet sich zusehends, bis die mysteriöse junge Frau, die die reiche Familie einer Verlegerin und ihrem Mann unterwandert, endlich ihre Karten zeigt. Einerseits könnte für manche das Szenario zu Telenovela-artig sein, andererseits sind die Schauspieler grandios trocken und naturalistisch.
Danach versucht Regisseur Dario Argento, die Ikone des italienischen Giallo Kinos, an frühere Erfolge anzuknüpfen. Er hielt dabei in Dark Glasses, seinem ersten Film seit zehn Jahren, das Niveau, was blutige Gewalt und nackte Haut angeht. Das entspricht zwar Argentos Stil bzw. Konventionen des Giallo Genres, dennoch kommt nur bedingt Freude auf. Das Budget wird nicht groß gewesen sein (dafür sprechen die Effekte), das Drehbuch liegt seit zehn Jahren auf Eis und ist nicht besser geworden, die Schauspieler machen kaum mehr als vorzulesen und die Filmmusik wird schnell repetitiv. Umso schöner, dass sich danach aus Südkorea eine Evolution von Transporter, Baby Driver und Gunpowder Milkshake in unsere Herzen driftete: Special Delivery. Regisseur Park Dae-Min mischt im seinem dritten Film gekonnt zwei Genres. Park So-dam (im Westen bekannt aus Parasite) verliert in der Hauptrolle zwar ob ihrer Zierlichkeit Glaubwürdigkeitspunkte, wenn sie sich im Nahkampf gegen größere und schwerere Männer durchsetzt, jedoch wird das in der Choreographie durchaus berücksichtigt und die rauen Stunts unterhalten ungemein. In so guter Laune gehalten verzeihen wir sogar das kitschige Ende.
Highlight an Tag drei war für uns neben some like it rare, einer rabenschwarzen französischen Komödie um ein Veganer jagendes Metzgerpaar, der Überraschungserfolg aus Senegal: Saloum. Überraschend, nicht nur weil es noch nie einen Film aus dem Senegal auf dem FFF gab. Saloum kommt als abstraktes Kunstwerk über Rache daher: Unendlich cool inszeniert und voller Details, die man zumindest genau so noch nie gesehen hat. Dem Film geht bei den Actionsequenzen budgetär und kreativ zwar ein wenig die Luft aus, dennoch wird er euch so schnell nicht loslassen. In jeder Hinsicht wirkt er frisch und unverbraucht, regt zum Nachdenken an und macht Lust auf mehr von Jean Luc Herbulot.
Am vierten und letzten Tag sichteten wir dann noch den neuen Film von Quentin Dupieux. Der französische Regisseur (Deerskin & Rubber) bleibt seinem Hang zum absurden Humor und aberwitzigen Situationen mit Incredible but True treu. Nach der Enthüllung des Pudels Kerns passiert allerdings nichts wirklich Lustiges oder Unerwartetes. Was bleibt sind müde Klischees und ein paar Gags auf Sketch-Show-Niveau. Aber auf dieser weniger überzeugenden Note wollten wir das Festival nicht verlassen. Denn für alle Disney+ Abonnenten haben wir noch eine ganz große Empfehlung. Denn der Abschlussfilm Fresh mit Sebastian Stan, bekannt als Marvels Winter Soldier, ist bereits ab dem 15. April auf Disney+ zu streamen. Der Film ist bereits jetzt ein Kritikerliebling und wurde auf dem Sundance Filmfestival (und natürlich dem Fantasy Filmfestival) von den Zuschauern gefeiert. Ein Film, der nicht nur Fresh heißt, sondern sich auch sehr erfrischend anfühlt, von dem man am besten so wenig wie möglich weiß, außer vielleicht, dass es ein bisschen um die Abgründe der modernen Dating-Szene geht und der Soundtrack so richtig schön ins Ohr geht. Wer also jetzt ein bisschen Fantasy Filmfest Vibes hat, sollte sich den 15. April vormerken, ansonsten sehen wir uns hoffentlich im September zum nächsten großen Fantasy Filmfest.