Foto-© Atiba Jefferson
“Still in shape, my methods refined”, singt Paul Banks in der gerade veröffentlichten neuen Single Toni – dem ersten Vorboten aus dem neuen Interpol-Album The Other Side of Make-Believe, das am 15. Juli via Matador Records erscheint! Und mit diesem betritt die Band Neuland: Parallel zur Erkundung der düsteren Unterströmungen des Zeitgeists sind die neuen Songs von Interpol von Sehnsucht und Anmut durchzogen. Daniel Kesslers Signature-Gitarren-Sound, Samuel Fogarinos messerscharfe Percussion-Präzision und Paul Banks sonore Stimme strahlen eine Verletzlichkeit aus, die viele langjährige Fans der Band überraschen dürfte. „Es gibt immer ein siebtes Mal für einen ersten Eindruck”, so Banks darüber.
Die Band hatte zu Beginn des Lockdowns eh keinerlei Touren auf dem Plan und nutzte die gewonnene Zeit zuhause um aus der Ferne heraus im Jahr 2020 mit den Arbeiten an neuen Songs zu beginnen. Anfang 2021 trafen sich Interpol erneut, um in einem angemieteten Haus in den Catskills an neuem Material zu feilen, bevor sie es später im selben Jahr in Nordlondon fertigstellten. Dabei arbeiteten sie zum ersten Mal mit der Produzentenlegende Flood (Mark Ellis) zusammen und taten sich anschließend wieder mit dem ehemaligen Co-Produzenten Alan Moulder zusammen. “Wir haben wirklich das Beste aus dieser Situation herausgeholt”, sagt Fogarino. Kessler schließt sich dieser Meinung an: “Allein zu arbeiten war anfangs hart, aber es hat uns ein neues, lebendiges Band-Kapitel eröffnet.”
Als Banks für fast neun Monate in Edinburgh festsaß, machte er es sich in einem Sessel am Fenster gemütlich – mit Stift, Block und einer Bassgitarre. “Normalerweise schreiben wir live, aber zum ersten Mal musste ich nicht über ein Schlagzeug hinweg schreien”, sagt er. “Die Chemie zwischen Daniel und mir ist so gut, dass ich mir vorstellen konnte, wie meine Stimme die ersten Soundskizzen ergänzen würde, die er mir gemailt hat.”
Von einer Band, deren frühes Material von polnischen Messerstechern und inhaftierten Serienmördern geprägt war, könnte man erwarten, dass Interpols Blick auf die Gegenwart eine emotionale Mördergrube sein würde – insbesondere, wenn man mit so überragenden Produzenten wie Flood und Moulder zusammenarbeitet, die schon Alben von Nine Inch Nails, Gary Numan und Depeche Mode mit einen düsteren und schweren Sound-Schleier überzogen haben. Doch Banks hatte da eine andere Idee: “Der Edelmut des menschlichen Geistes besteht darin, sich zu erholen”, sagt er. “Ja, ich könnte mich darauf konzentrieren, wie beschissen alles ist, aber ich fühle, dass jetzt die Zeit ist, in der es notwendig ist, hoffnungsvoll zu sein.” Kessler stimmt ihm zu: “Der Prozess des Schreibens dieser Platte und die Suche nach zarten, resonanten Emotionen hat mich in meine Teenagerzeit zurückversetzt; es war transformativ, fast euphorisch. Ich spürte ein seltenes Gefühl von Zielstrebigkeit.”
Der Titel The Other Side of Make-Believe, das Cover und der lyrische Hang zu Fabeln, Nebelkerzen und der Wandelbarkeit der Wahrheit spiegeln Banks Abscheu vor den Verwerfungen des Informationszeitalters wider. “Ich habe das Gefühl, dass die Schlüpfrigkeit der Realität und die Bereitschaft, aufgrund einer faktischen Unstimmigkeit gewalttätig zu werden, einen sehr anstrengenden Effekt auf die Psyche aller Menschen auf der Welt hat. Obwohl…”, lacht er, “ich habe so oft darüber gesprochen, dass es meine Bandkollegen irgendwie erschreckt hat, also habe ich einen Weg gefunden, meine Bedenken mehr durch die Linse der nicht-rationalen Fähigkeiten der Menschen und weniger durch den Zusammenbruch der Zivilisation auszudrücken.”
Interpol live:
12.06.22 Berlin, Tempelhof Sounds Festival