Foto-© Paige Sara
I’m shedding my velvet
Can’t you see
This is the real me?
I’m not as bad as I was
But I’m not as good as I can be
As I can be
(Jack White – Shedding My Velvet)
Über zwanzig Jahre nachdem er sich unter dem etwas schiefen Banner der Authentizität mit seiner vermeintlichen Schwester Meg White auf dem selbstbetitelten Debüt als White Stripes anschickte, den satten und selbstgefälligen Blues Rock einer Fastenkur zu unterziehen, sprengt die Aufzählung der diversen Projekte des als John Anthony Gillis 1975 in Detroit geborenen Jack White jedes Intro. Für alle, die 2011 mit dem Ende der Whites Stripes ausgestiegen sind, hier ein Update ohne Anspruch auf Vollständigkeit: als Gründer und Betreiber eines schokoladenfabrikartigen Plattenlabels samt Studio sendet White Video-Botschaften an Amazon-Overlord Jeff Bezos, befüllt als gelernter Polsterer einen Instagram-Account(!) mit Möbel-Restaurationen, spielt Vinyl-Platten in der Stratosphäre ab und macht ganz nebenher und in wechselnden Konstellationen mehr Musik als je zuvor. (Ob er seine online dokumentierte Fähigkeit, jeden Beatles-Song nach spätestens fünf Sekunden zu erkennen, ebenfalls im letzten Jahrzehnt perfektioniert hat, ist nicht überliefert.)
Nach der nur durch Overdubbing zu entfliehenen Strenge der alten Gitarre-Drums-Konstellation durfte sich der Tausendsassa nun also richtig austoben. Wie sehr ihn seine Solo-Alben – beginnend 2012 mit Blunderbuss – auf stilistische Wanderschaft geführt haben, zeigte erst das vor vier Jahren veröffentlichte Boarding House Reach so richtig: statt sich allein auf das gediegene Metier der Background-Chöre und Honky-Tonk-Pianos zu konzentrieren, überwand White sogar das Jugendtrauma, im Detroit der frühen 90er nicht zur Boombox genickt zu haben und fand auf der Single Ice Station Zebra spät zu einer Art Rap-Gesang. An sich kein Problem – wäre das restliche Album nicht in alle Richtungen losgesprintet, so hörbar überbordend Whites Tatendrang.
Dementsprechend spannend blieb es vor dem vierten Solo-Anlauf Fear Of The Dawn: Kommt die fanfreundliche Rückbesinnung (und wenn ja, wohin)? Versöhnt White sich jetzt auch mit Detroit Techno und serviert einen gepfefferten Vierviertler? Gelingt ihm die wahnsinnige Synthese aus allen Versatzstücken oder gefällt er sich zu sehr in lyncheskem Referenzgeraune?
Die Antworten lauten: jein, nein und vielleicht später, auf Album Nr. 5. Der Opener Taking Me Back ist das obligatorische Overdrive-Brett (samt ebenso zur Whiteschen Signatur gewordenen lyrischen Verarbeitung von Beziehungsleid), dem sich mit dem Titeltrack Fear Of The Dawn direkt das nächste anschließt. Für das seit Icky Thump (2008) wuchtigste Album aus seinen Fingern hat White Akustik-Gitarren, Fiedeln und beinahe jede Atempause auf ein auf Sommer diesen Jahres terminiertes Zwillings-Album verbannt. Zurückgeblieben sind die Markenzeichen des Greatest Guitarist of all Time (Platz 70, Rolling Stone): bellender Gesang, Drums wie ein rollender Güterzug (teils von White selbst eingespielt) und das Gefühl, unter einer jederzeit einstürzenden Hochspannungsleitung zu wandern.
Auch wenn das ein oder andere Echo früherer Tage durch die brummenden und kreischenden Songs weht – gepimpte Kick-Drums von Get Behind Me Satan auf The White Raven, Dub-Anleihen und mahlende Orgeln wie mit The Dead Weather auf Eosophobia – versucht sich White an keiner krampfhaften Rückkehr in die 00er Jahre, die ihn direkt ins Line-Up des nächsten Berliner Nostalgie-Festspiels führen würde. Stattdessen setzt Hi-De-Ho nicht nur die Hip-Hop-Therapie des Vorgängers fort, sondern den ersten Albumminuten die Krone auf: über einer Mischung aus Lektionen in Whitescher Exzentrik und flirrenden Synthesizern rappt niemand geringeres als Q-Tip (A Tribe Called Quest) über Plattenlabel und Mariah Carey. So experimentell wird es später nur noch nochmal auf Into The Twilight, einer textlich einfallslosen („Here in the Night / Everything’s right“), aber eingängigen Collage aus A-Capella-Stakkatos und William S. Burroughs-Sprachfetzen – ein Rückzug ins Country-Altersheim klingt jedenfalls anders.
Aber ob White nun versucht, dem langjährigen Image des zornigen Blues-Puristen zu entfliehen, der sich vehement gegen Smartphones auf seinen Konzerten einsetzte oder sich bemüht, von der entwaffnenden White-Stripes-Reduktion des Blues-Rock zu seiner Neuerfindung zu hasten, lässt auch Fear Of The Dawn titelgerecht im Zwielicht. Deutlicher schält sich heraus, was nicht gelingt: That Was Then, This is Now beruft sich auf ein simples wie totgehörtes Grundgerüst, das zwischendrin zum Punk-Pop übergeht, während der eigentlich erfrischend ruhige Schlusspunkt Shedding My Velvet popkonform dahinplätschert, ohne von den wuchtigen Drums und wütend dahingegniedelten Licks lassen zu können.
Dass man in der Rolle des mittelalten, exzentrischen Innovators oft glänzt, weil man mit seinen laut angekündigten Projekten in Fettnäpfchen springt, führt Whites Entrepreneur-Kollege und Frisurendouble Elon Musk aktuell schon zu genüge vor. Für die Heldenrolle in diesem postmodernen Comic-Universum hätte White zweifellos das Zeug, wie er auch auf Fear Of The Dawn immer wieder beweist. Ob er seine überschäumende Energie wieder in eine weniger überproduzierte Form lenken kann, ist die andere Frage. Wer mit dem Ende der White Stripes ausgestiegen ist, kann also unbesorgt weiterschlummern (oder sollte mindestens mal wieder eins von Whites fulminanten Konzerten besuchen). Alle anderen müssen sich wohl noch auf eine Antwort gedulden.
Jack White – Fear Of The Dawn
VÖ: 8. April 2022, Third Man Records
www.jackwhiteiii.com
www.facebook.com/jackwhite
Jack White Tour:
30.06.22 Köln, Palladium
02.07.22 Leipzig, Haus Auensee
04.07.22 Berlin, Verti Music Hall
15.07.22 Frankfurt, Jahrhunderthalle