Foto-© Chantal Anderson
This is a photograph, a window to the past
Of your father on the front lawn, with no shirt on
Ready to take the world on, beneath the West Texas sun
The year that you were born, the year that you are now
His wife behind the camera, his daughter and his baby boy
Got a glimmer in his eye, seems to say, this is what i’ll miss after I die
and this is what i’ll miss about being alive. My body, my girls, my boy, the sun
Now time’s the undefeated, the heavyweight champ
Laughing in his face, as it dance like Sugar Ray
Used to be “c’mon c’mon” but now “no mas, no mas”
And this is a photograph, a window to the past
of your mother in a skirt, in the cool Kentucky dirt
Laughing in the garden (haha!) back where it all started
with a smile on her face, everything in its place
Got a glimmer in her eyes seems to say: this is what I’ll miss about being alive
and this is what i’ll miss after I die
(Kevin Morby – This Is A Photograph)
Im Grunde ist eine Tonaufzeichnung ja auch sowas wie ein Foto – ein akustischer Schnappschuss, wenn man so will. Es wird ein Moment festgehalten und (zumindest wenn die Aufnahme geglückt ist) verwahrt, damit man sich später daran zurückerinnern kann. Es geht letztendlich darum, dass irgendwas Denkwürdiges nicht verloren gehen soll.
Kevin Morby hat das verstanden und sein siebtes Album This Is A Photograph genannt. Auf die selbst gestellte Frage, wie man einen Lebensabschnitt haltbar machen kann, antwortet er im Song Five Easy Pieces (benannt nach einem Filmklassiker aus der New-Hollywood-Ära): “Get a camera, put it in a photograph!” Die Zeit ist unbesiegbar, das stellt Morby immer wieder fest, doch ein Foto kann immerhin ein “window to the past” sein, wie er im Titeltrack der ambitionierten Platte den Hörer wissen lässt.
Auslöser für diese Gedanken war ein spezifisches Foto, das Morby im Elternhaus seiner Eltern gefunden hat, nachdem sein Vater kurz davor vor seinen Augen zusammengebrochen ist und ins Krankenhaus gebracht werden musste. Zusehen war darauf eine jüngere Version seines Vaters, oberkörperfrei und selbstbewusst. Also fing Morby an nachzudenken, über Sterblichkeit, die Vergangenheit und das Älterwerden – Dinge, die mit dem zentnerschweren Begriff Zeit zusammenhängen. Das Ergebnis seines Grübelns sind wundervolle Songs.
Man nehme zum Beispiel Bittersweet, TN, ein Duett mit der Sängerin Erin Rae: “The living took forever, but the dying went quick”, singt Morby darin und wird von einem klimpernden Banjo begleitet, das glücklicherweise mehr nach Sufjan Stevens als nach Mumford & Sons klingt. “There was no time, suddenly”, heißt es weiterhin. Das Ticken der Uhren kann ziemlich hinterhältig sein. Am Ende des
Songs hört es sich dann aber doch so an, als würden sie ihre Gläser erheben und auf die Zeit anstoßen. Denn hinterhältig ist sie, ja, aber auch unvermeidbar.
Mit wem Kevin Morby am liebsten seine Zeit verbringt, wird deutlich in Stop Before I Cry, einer Liebeserklärung an seine Freundin Katie Crutchfield (bekannt als Waxahatchee). Aus kompositorischer Perspektive ist dieser Song – wie eigentlich alle Songs auf This Is A Photograph – kein Hexenwerk, doch man spürt so viel Bedeutung in den simplen Akkordfolgen, dass auch die leicht repetitiven Gesangsmelodien niemals langweilig werden. Was dabei ebenfalls hilfreich ist: Morbys charmante Stimme klingt wie eine Mischung aus Leonard Cohen (mit etwas mehr Optimismus) und Bob Dylan (vor allem als er Ende der 60er für kurze Zeit nicht geraucht hat).
Während der US-Amerikaner auf vorherigen Werken stets seine Plattensammlung im Hinterkopf hatte, baut This Is A Photograph nun weniger offensichtlich auf amerikanischen Musiktraditionen auf. Unter anderem mit Harfe, Saxophon und epischen Streichern bricht Morby häufiger aus seiner altbekannten Soundpalette aus, scheint sich bei den farbvollen Arrangements mehr Gedanken gemacht zu haben und will mit emotionalen Songs wie Random Act of Kindness unbedingt Gänsehaut erzeugen. Tatsächlich ist er dabei fast immer erfolgreich.
Was sich allerdings nicht verändert hat, ist Morbys konzeptionelle Fokussierung auf eine ausgewählte Stadt in den USA. Dieses Mal wird nicht New York oder Kansas City, sondern die Atmosphäre der Musikmetropole Memphis eingefangen (zum Glück nicht so plakativ wie in dem weltbekannten Evergreen Walking in Memphis): Der Sohn des legendären Produzenten Sam Phillips ist in Forever Inside A Picture zu hören, und das ganze Album ist voll mit Feldaufnahmen, die Morby aus der Stadt und ihrer direkten Umgebung gesammelt hat. Plus: Während der Mississippi und Jeff Buckley, der in diesem Fluss sein Ende fand, direkt benannt werden, gibt es mit dem dröhnenden Garage-Rock-Banger Rock Bottom
eine gelungene Hommage an die verstorbene Memphis-Ikone Jay Reatard – beides Musiker, deren Zeit zu schnell vorüber war. “Sometimes the good die young, sometimes the good survive”, singt Morby und hat recht.
Jeder muss sterben, das ist ein Fakt. Und vielleicht neigen sich die schönen Zeiten wirklich dem Ende zu, wie Kevin Morby im Schlusslied Goodbye To Good Times behauptet. Wir können nur hoffen, dass irgendjemand uns fotografiert hat.
Kevin Morby – This Is A Photograph
VÖ: 13. Mai 2022, Dead Oceans
www.kevinmorby.com
www.facebook.com/kevinrobertmorby
Kevin Morby Tour:
25.05.22 Köln, Kulturkirche
30.05.22 Hamburg, Uebel & Gefährlich
31.05.22 Berlin, Metropol
01.06.22 Schorndorf, Manufaktur
09.07.22 Zittau, Lonesome Lake Festival
12.07.22 München, Ampere
21.08.22 Erlangen, E-Werk
22.08.22 Hannover, Cafe Glocksee
28.08.22 Darmstadt, Golden Leaves Festival