BALLADE VON DER WEISSEN KUH – Filmkritik


Foto-© Amin Jafari

Es muss Gottes Wille gewesen sein.

(Jeder Regierungsbeamte in Teheran – Ballade von der weissen Kuh)

Maryam Moghadam und Behtash Sanaeehas dritter gemeinsamer Film eröffnet mit einem Zitat aus der zweiten Sure des Qurans. Darin geht es um die Sturheit der Israeliten im Gegensatz zur Authorität Allahs, der durch Mose spricht. Allah befiehlt, um einen Mord aufzuklären, eine Kuh zu opfern. Da diese Methode nicht ernst genommen wird, macht es Allah sehr umständlich, spezifisch und teuer, obwohl jede beliebige Kuh genauso gut funktioniert hätte. Kurzum: man berührt mit einem Teil der geopferten Kuh den Körper des Ermordeten. Dieser erwacht zum Leben, identifiziert seinen Mörder unter seinen Erben, und stirbt wieder. Der Mörder wird aus der Erbengemeinschaft ausgeschlossen.

Nun liegt es nahe, den Film sowohl unter diesem Gesichtspunkt anzuschauen als auch dem der Struktur einer Ballade. Tatsächlich sieht man gleich in der ersten Szene Mina (Maryam Moghadam), wie sie ein letztes Mal ihren zu Unrecht wegen Mordes zum Tode verurteilten Mann Bakak besucht. Das Motiv einer weißen Kuh im Hof eines Gefängnisses, dessen Mauern auf der linken Seite mit silhouettierten Männern und auf der Rechten mit Frauen gesäumt sind, kehrt immer wieder, wie der Refrain einer Ballade. Trauernd, versucht Mina als alleinerziehende Mutter in Iran zurecht zu kommen. Sie bringt es nicht übers Herz, ihrer Tochter Bita (Avin Poor Raoufi) die Wahrheit über ihren Vater zu erzählen. Sie arbeitet als Qualitätskontrolleurin in einer Milchabfüllfabrik. Sie muss ihr Selbstbestimmungsrecht und Sorgerecht gegen die Familie ihres Mannes und der Gesellschaft durchsetzen. Nachdem der tatsächliche Mörder gesteht und das Gericht auf kaltschnäuzigste Art und Weise Justizirrtum einräumt, versucht sie, ein Schuldgeständnis der Richter für ihr Fehlurteil oder irgend eine Art Gerechtigkeit oder Entschuldigung zu bekommen. Die Position der Frau im Iran ist allerdings so schwach und Abhängig von Männern, dass Mina an jedem Punkt kläglich scheitert. Sogar als ein mysteriöser alter Freund ihres Mannes Babak, Reza (Alireza Sani Far), auftaucht und ihr hilft, weil er Schulden bei Babak hatte, bessert sich ihre Situation nur bedingt, da es skandalös ist als Witwe bzw. Single mit einem fremden Mann zu assoziieren. Der iranische Staat nimmt Mina also ihren Mann und bestraft sie dann auf Schritt und Tritt für die Dreistigkeit, ohne Mann zu existieren.

Iran richtet bei weitem die meisten Menschen pro Einwohner hin. Man könnte meinen, dass in einem Land, in dem laut Quran jedes einzelne menschliche Leben so viel Wert ist wie die ganze Menschheit zusammengenommen, Todesurteile wesentlich bedachter verhängt werden. Jedenfalls ist es sehr mutig einen so offen kritisches Werk zu drehen. Iranische Kinos dürfen diesen Film nicht zeigen. Dieses eine Schicksal einer Witwe im zynischen Iran, so perfekt austariert dargestellt von Maryam Moqhadam, steht stellvertretend für so viel Ungerechtigkeit auf der Welt, dass es kaum zu ertragen ist. Ein wichtiger Film, der in seiner formalen Struktur und subtilen Schlichtheit eine tragische Schönheit entfaltet.

Ghasideyeh gave sefid قصیده گاو سفید (IR FR 2020)
Regie: Maryam Moqaddam, Behtash Sanaeeha
Cast: Maryam Moqaddam, Alireza Sani Far, Avin Poor Raoufi, Pouria Rahimi Sam
Heimkino Release: 10. Juni 2022, Weltkino

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