Foto-© Ascot Elite Entertainment
I’m not hiding.
(Neil Bennett – Sundown)
Die vierköpfige, dysfunktionale Familie um Neil Bennett (Tim Roth) bricht aufgrund eines familiären Unglücks Hals über Kopf ihren Urlaub in Acapulco ab. Bis auf Neil, der unter dem Vorwand seinen Reisepass im Hotel vergessen zu haben, machen sich alle umgehend auf den Rückflug nach England. Zurück in der Stadt macht Neil keinerlei Anstalten seiner Familie nachzureisen. Überhaupt scheinen seine Ambitionen nicht über lethargisch Bier trinken und am Strand sitzen hinauszureichen. Sucht er anfänglich noch nach Ausreden, weshalb er nicht nach England zurückkehren kann, gibt er sich stattdessen zusehends einer Affäre mit der jüngeren Berenice (Iazua Larios) hin. Doch ewig kann er sich nicht vor seinem Leben verstecken und so holen ihn mit der Zeit sowohl seine Familie als auch der Grund für seine Apathie ein.
Regisseur Michel Franco (der ebenso das Drehbuch schrieb und produziert hat) erklärt Nichts und spielt dabei gekonnt mit Vorurteilen und Erwartungshaltungen. Sowohl die Beziehungen innerhalb der Familie Bennett als auch die Affäre mit Berenice sind dabei weit weg von gängigen Klischees und gerade deshalb erfrischend authentisch. Authentizität und Vertrauen in das Interesse und ein Stück weit dem Intellekt des Publikums sind dann auch die Werte, durch die es Sundown schafft den Zuschauer bei der Stange zu halten. Denn auf dem Papier kann das Konzept eigentlich nicht funktionieren. Es gibt keinen Soundtrack, keine Action und über weite Strecken auch kaum einen nennenswerten Plot. Wir sind allein mit Tim Roths „Neil Bennett“ und er ist alleine mit seinem Schmerz. Wir wissen nicht wo dieser herkommt und auch nicht, ob er es weiß, aber wir hoffen, es gemeinsam mit ihm herauszufinden. Dabei gibt es einige wenige leicht komödiantische Szenen, die sich primär aus seinem Alkoholkonsum ergeben. Wenn man jedoch emotionale Peaks messen will, dann sind dies doch eher die Szenen, in denen der Film zeigt, wie gefährlich die dunkle Seite Acapulcos und somit Neils sorgloses Verhalten ist. Denn er scheint nur darauf zu warten und wirklich absolut reif dafür zu sein, überfallen zu werden. Das Spiel von Tim Roth ist dabei über jeden Zweifel erhaben und der Schauspieler perfekt besetzt. Denn so wortkarg und nihilistisch er sich auch gibt, der unterschwellige Intellekt, Charme und die Weltgewandtheit, die er ausstrahlt, schimmert doch immer wieder durch. Je weniger man zu Iazua Larios „Berenice“ sagt desto besser. Auch diese Schauspielerin holt aus einem zunächst eindimensional erscheinen Charakter wirklich alles raus.
Sicher kommt dem Film auch zugute, dass er nach nur 82 Minuten vorbei ist, bevor er sich lang anfühlen kann. Jedoch haben sich auch schon kürzere Filme mit mehr Action trotzdem gezogen wie Kaugummi und wenn der Abspann des Filmes dann läuft, bleibt man ein wenig fassungslos zurück. Sichtlich bewusst wird auch im Abspann auf Musik verzichtet, da man diese Zeit und Ruhe braucht, um die nun endlich vorhandenen letzten Puzzleteile zu platzieren und das Gesamtkunstwerk noch ein wenig auf sich wirken zu lassen. Auch wenn dies sicher nicht die Metapher ist, die Regisseur Michel Franco vorschwebte, lohnt es sich hier sehr, ganz genau hinzuschauen. Denn auch wenn man ihn jeden Tag sehen kann, ist der Film, wie auch der Sonnenuntergang, wunderschön und viel zu schnell und plötzlich vorbei. Wobei dies dem Film nicht ganz gerecht wird, denn zu schnell ist er eigentlich nicht. Aber, so wie man manchmal den Sonnenuntergang beobachtet und sich vielleicht der Schönheit in dem Moment nicht bewusst ist, realisiert man dies zumindest, in dem Moment in dem er vorbei ist.
Sundown (FR SE MX 2021)
Regie: Michel Franco
Besetzung: Tim Roth, Charlotte Gainsbourg, Iazua Larios, Henry Goodman, Samuel Bottomley, Albertine Kotting McMillan
Kinostart: 9. Juni 2022, Ascot Elite Entertainment