Foto-© capelight pictures / Mer Film
Soll ich dir was zeigen?
(Ben – The Innocents)
Idas Familie, bestehend aus Ida selbst (Rakel Lenora Flottum), ihrer autistischen älteren Schwester Anna (Alva Brynsmo Ramstad) und ihren Eltern (Ellen Dorit Petersen und Morten Svartveit), zieht in einen Vorort Oslos. Eine Siedlung, die mit ihren riesigen, kalten Plattenbauten im starken Kontrast zu einem idyllischen Wald, großen Spielplätzen und einem einladenden See steht. Dort angekommen schließen die beiden Mädchen im Laufe des Sommers schnell Freundschaften, Ida mit dem Schlitzohrigen Ben (Sam Ashraf) und Anna mit der einfühlsamen Aisha (Mina Yasmin Bremseth Asheim). Gemeinsam entdecken die Vier, dass sie fantastische Kräfte haben. Kräfte, die der Schlüssel zu dem Autismus von Anna in sich zu bergen scheinen, aber auch eine unberechenbare Bedrohung darstellen.
Sein volles Potential würde The Innocents wohl entfalten, wenn man ihn einem kleinen Kind zeigen würde. Denn so einfühlsam wurde die Welt der Jüngsten selten eingefangen. Was hier jedoch eingefangen wurde, ist zwar zu einem gewissen Grad die unschuldige Freude der Kindheit und der Zauber Neues zu entdecken, primär jedoch wie machtlos, verloren und missverstanden Kinder oft den Erwachsenen gegenüberstehen. Doch genau wie die Kräfte der Kinder sollte der Film für das Gute eingesetzt werden und das ist nicht Kinder zu traumatisieren, denn das würde eine Sichtung des Filmes in jungen Jahren sicher tun, sondern Erwachsene, besonders Eltern, mit nervenaufreibendem Psycho-Horror an die Grenze der Belastbarkeit treiben. Was man nicht erwarten sollte, ist eine Art New Mutants, denn die Kräfte der Kinder werden sehr subtil dargestellt und bleiben zu großen Teilen verschlossen. Dies schafft, zusammen mit dem sehr naturalistischen Spiel der jungen Darsteller, einen unglaublichen Realismus, den man ob der Prämisse kaum erwarten würde. Auch sind sie nun einmal gerade dabei Ihre Kräfte zu entdecken und wissen selbst nicht was denn passiert. Ein Stadium, das sich, ebenso wie das fragwürdige soziale Umfeld, für tiefergehende Analysen anbietet, welche einem der Film aber nicht aufdrängt. Wenn dann im Laufe der Handlung die Kräfte und der Horror etwas mehr in das Zentrum der Handlung rücken, wirken sie umso mehr. Doch bräuchte der Film gar keine übernatürlichen Elemente um zu schockieren. Ein zunächst unschuldiges Spiel der Kinder mit einem Kater zum Beispiel, nimmt ein so grausames Ende, dass bei weitem mehr nachwirkt als die klassischeren Horrorszenen. Trotz der übernatürlichen Elemente und dem Sozialkommentar, bleibt noch viel Platz für eine enorme Charakterentwicklung der vier Kinder im Kern der Geschichte. Wobei besonders mit Hinblick auf Ida geschickt mit den Erwartungen des Publikums gespielt wird. In den leichteren Szenen kommen dabei wohlige Erinnerungen an Stand By Me auf, schnell wird es jedoch wesentlich düsterer.
Man kann weder die Performance der Darsteller:innen, noch den langsamen, unbehaglichen Aufbau der Story genug loben. Regisseur Eskil Vogt hat wirklich gerade einen Lauf, nicht nur hat er mit Der Schlimmste Mensch der Welt eine der besten Dramödien geschrieben, sondern liefert mit The Innocents einen der besten Horrorfilme der letzten Jahre ab.
The Innocents (SE 2021)
Regie: Eskil Vogt
Besetzung: Rakel Lenora Flottum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf, Mina Yasmin Bremsheth Asheim, Ellen Dorit Petersen, Morten Svartveit
Heimkino-Start: 29. Juli 2022, Capelight Pictures