Foto-© Heavenly Recordings
You reep for pity
As you sing your ditty’s
Your breath distracts me
But your corpse is pretty
I’ll burn your virtual raincoat
And your token gestures
Your brains a minefield
Full of missing letters
(Working Men’s Club – Fear Fear)
19, der erste Song aus dem neuen Album Fear Fear von Working Men’s Club, braucht zwar etwas, bis er in Fahrt kommt, aber nach spätestens 2 Minuten, wenn die verschiedenen Synth-Spuren sich überlagern, fühlt man sich wie durch eine Zeitmaschine in die späten 80er oder frühen 90er Jahre versetzt. Teils anklagend, teils hämmernd, teils schräg und finster mit einem Augenzwinkern, manische Beats und tanzbare Melodien – die Einflüsse von Industrial und EDM sind nicht zu überhören. Die Band aus Nordengland um den Sänger und Songwriter Syd Minsky-Sargeant beschwört Erinnerungen an The Prodigy, Aphex Twin oder Members of Mayday herauf; und durch den kühlen, präzise intonierten und gewollt monotonen Gesang blitzen auch der Gothic Rock der 80er Jahre, Bauhaus oder Camouflage durch.
Intensiv geht es aber trotzdem zu: Der Titel-Track z.B. führt die Hörer*innen in einen Dschungel aus sirenenartigen, dissonanten, wild durcheinander wütenden Synth-Klängen und Breakbeats und emuliert so erfolgreich eine musikalische Panik-Attacke. Widow beeindruckt mit seinen Keyboard-Melodien, die durch ihre emotionale Power und Melancholie nach Depeche Mode klingen; Ploys dagegen nimmt sich mit seiner grellen Auffälligkeit fast schon aus wie eine Vaporwave-Parodie oder ein billiger Videospiel-Soundtrack, aber das ist auch so beabsichtigt. Die großspurige Inszenierung wird mit nihilistischen Lyrics kontrastiert und so zu einem kakophonischen Gesamtkunstwerk gemacht: “Being sad makes me happy / The truth is nothing.” Minsky-Sargeant und seine Bandkollegen verweben Widersprüche und eklektische Einflüsse gekonnt zu einem stimmigen Ganzen: Manie, Dissonanz, Aggression, Eleganz und Spielfreude fügen sich in einem Schmelztiegel zusammen, der hochvertraut und trotzdem frisch klingt. Bei Cut schimmert die Energie und Leidenschaft des Britpop durch, eiskalte New Wave-Hits wie Circumference könnten dagegen auch in einem verrauchten Goth-Club der späten 80er Jahre laufen. Heart Attack erinnert mit seinen zarten Synth-Melodien und Funk-Einschlägen sogar an die Pet Shop Boys.
Auf Fear Fear kommen tanzbare EDM, sphärischer Industrial, schnodderiger Indie-Rock, aggressiver Punk und kühl-majestätische New Wave-Klänge zusammen, kombiniert mit sardonisch-bissigen Lyrics. Benannt hat sich die Band aus Yorkshire nach den britischen Working Men’s Clubs, die nach dem Vorbild der Gentleman’s Clubs ins Leben gerufen wurden, um den Mitgliedern der Arbeiterklasse bessere Freizeitbeschäftigungen zu bieten als Alkoholkonsum und Glücksspiel. Hier lässt sich auch der große Einfluss von New Order und dem Genre Madchester erkennen, dem nordenglischen Post Punk mit Indie- und Electro-Einflüssen, der die prekären gesellschaftlichen Verhältnisse der Industrie- und Arbeiterstädte in den 80ern und 90ern spiegelte. In der Musik äußerten sich dementsprechend Hoffnungslosigkeit und Zorn, aber auch unbändige Energie und eine Lust an der Zerstörung, die sich daraus nährte, dass daraus am Ende etwas Neues, Besseres entstehen könnte. Aufrüttelnd und gleichzeitig tanzbar: So wie New Order oder The Prodigy in ihrer Blütezeit bieten auch Working Men’s Club mit Fear Fear eine Mischung aus Club-Tauglichkeit, Wave-Ästhetik und Explosivität.
Working Men’s Club – Fear Fear
VÖ: 15. Juli 2022, Heavenly Recordings
www.workingmensclub.net
www.facebook.com/WorkingMensClub
Working Men’s Club Tour:
05.09.22 Berlin, Privatclub
06.09.22 Leipzig, Felsenkeller/Das Naumanns
07.09.22 Hamburg, Molotow
08.09.22 Köln, Jaki