PROVINZ – Interview

Foto-© Stephan Strache

Wir treffen Provinz auf einem abgeernteten Getreidefeld hinter dem Appletree Garden Festival-Gelände. Zwischen dem Zirpen von Grillen und dem Gesang der Vögel wabert im Hintergrund der Bass aus dem tiefen Holz. Es scheint die Sonne. Wir haben den lauschigsten Ort in der niedersächsichen Provinz für unser Interview gefunden.

Erst einmal Danke, dass Ihr Euch Zeit für Fotos und Interview genommen habt! Der Ort hier passt perfekt zu eurem Bandnamen und Eurer Herkunft. Wir sind auch beide Dorfkinder – allerdings waren wir ziemlich froh, als wir in die Stadt ziehen konnten, um die gefühlte Langeweile hinter uns zu lassen. Habt Ihr auch diese Momente?
Vincent: Da sind wir gerade alle an diesem Punkt. Aktuell ist es für uns ein sehr schönes Zwischenspiel. Wir sind sehr viel unterwegs und haben viel Trubel. Da ist es auch immer schön nach Hause zu kommen, wo es ruhig ist. Aber wir planen gerade alle umzuziehen. Wir haben alle Bock auf die Stadt, auf den Trubel. Zumindest um es einmal gemacht zu haben. Nur um es zu wissen. Einfach um einmal mehr Sachen auszuprobieren – egal was es ist. Nicht unbedingt Drogen. Man hat einfach viel mehr Möglichkeiten sich zu entfalten und auszuprobieren.

Habt Ihr eine Sehnsuchtsstadt?
Vincent: In Deutschland ist es eher Hamburg. Wir kommen aus Ravensburg und da gibt es Stuttgart oder München in der Nähe. Aber die süddeutschen Städte wirken manchmal ein bisschen weniger kulturell hochwertig als Hamburg oder Berlin. Dort gibt es die besseren Szenen, da entstehen mehr Sachen. Deswegen ist es eher eine norddeutsche Stadt. Ansonsten bin ich auch gerne in Florenz oder Wien.

Stimmt, Wien ist großartig. Da geht gerade musikalisch extrem viel. Aber wo Du Süddeutschland erwähnst: wir leben in Köln. Für uns als NRWler wirkt Süddeutschland immer so sauber, aufgeräumt und ordentlich.
Robin: Das kann mega schön sein – aber leider auch saulangweilig.

Wenn Eure Musik ein Ort wäre, welcher wäre es?
Vincent: Ich meine, wir heißen Provinz. Das ist schon die Provinz. Wobei die Provinz natürlich immer unterschiedlich ist. Nicht flach, auf jeden Fall eher Hügel.
Robin: Es wäre ein etwas progressiveres – vor allem im Gedankengut weiterentwickeltes – Dorf als unser Heimatdorf.

Auch wenn ihr das wahrscheinlich oft hört: Wir kennen kaum eine andere deutsch-sprachige Band, die auf solch intensive Art und Weise so viele Emotionen mit ihren Liedern weckt. Kompliment dazu! Wir fragen uns, lebt man auf dem Dorf Emotionen intensiver aus?
Vincent: Erst einmal Danke für das Kompliment. Wenn man so aufwächst wie wir, was in vielen Aspekten auch voll schön ist, ist vieles beschränkt. So auch der Freundeskreis. Der ist automatisch kleiner, da es viel weniger Menschen gibt. Wir haben einen kleinen aber sehr engen Freundeskreis, man macht alles zusammen durch. Durch diese Langeweile, die man erlebt, erlebt man Kleinigkeiten intensiver. Man freut sich mehr, teilweise auch länger oder ist trauriger. Alles ist langsamer und ruhiger. Es passiert weniger als in der Großstadt. Manchmal ist man deshalb in der Stadt aber auch schneller überfordert. Da sehnt man sich dann schon schnell wieder in dieses Ruhige zurück.
Robin: Es ist voll geil in die Stadt zu kommen und die Provinz zu verlassen, aber umgekehrt ist es auch voll geil, wieder zurückzukommen und diese Stadt wieder zu verlassen. Dieses Wechselspiel ist voll schön und für uns auch sehr wichtig. Diese Abwechslung mögen wir gerne.
Vincent: Aber ob das jetzt damit zusammenhängt, dass unsere Musik emotionaler ist, glaube ich nicht. Wenn ich jetzt in einer Großstadt groß geworden wäre, wäre die auch emotional. Es ist eher eine Typsache, glaube ich.

Drei von euch sind ja Cousins. Könnt Ihr Euch deshalb untereinander besser die Meinung sagen? Und wie ist das für Dich, Leon, als Nicht Cousin?
Leon: Das stellen sich immer alle extremer vor, als es ist. Wenn man zusammen Musik macht, dann ist das eh eine sehr krasse Verbundenheit: man ist Freund, irgendwie auch Geschäftspartner, Kollege und Familie. Irgendwie alles zusammen. Bei Euch vielleicht noch krasser (zu den Anderen). Ich habe aber selten das Gefühl nicht dazuzugehören oder anders zu sein.
Wir merken aber schon, wenn wir auf andere Bands treffen, dass der Umgang bei uns ein anderer ist, diesen familiären Touch hat. Wir streiten bestimmt anders. Wir wissen anders miteinander umzugehen. Es bleiben Dinge nicht so lange hängen, nichts bleibt unausgesprochen. Vielleicht auch, weil wir miteinander aufgewachsen sind.
Vincent: Du bist reingekommen als Freund und irgendwann musstest Du mit uns noch wärmer werden und jetzt bist Du wie Verwandtschaft.
Unser Umgang ist sehr, sehr ehrlich. Es ist manchmal verstritten, aber auch total liebevoll und sehr emotional. Vielleicht wie unsere Musik. Es brauchte am Anfang auch seine Zeit, bis man seine Rollen gefunden hat, als Musiker und als Mensch. Aber jetzt ist es sehr stabil.

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Und wie ist das, wenn Ihr Musik macht?
Robin: Das hat sich auch so mit der Zeit entwickelt. Es ist auch so, dass jetzt jeder mehr seine Rolle findet. Vincent ist schon der Hauptsongwriter von uns. Leon probiert sich nun immer mehr am Producen aus und bringt so eine anderen Touch rein. Das hat sich auch mit der Zeit ganz natürlich gefunden.
Vincent: Und wir haben auch einfach total viel gemacht. Nach dem Abitur war Musik unsere Erlösung. Wir haben uns vorgenommen, jeden Tag im Proberaum was zu machen. Es hat uns Spaß gemacht – macht immer noch Spaß. Durch die Arbeit und das Machen entwickelt man so seine Präferenzen und Begabungen und die hat jeder nun gefunden.

Habt Ihr eine bestimmte Art, wie Ihr Songs entwickelt. Ein Schema? Was habt Ihr zuerst: Musik oder Lyrik?
Vincent: Meistens ist es so, dass es eine Idee, eine Skizze gibt. Auch Lyrics. Dann komme ich in den Proberaum und spiele es erst einmal vor auf Klavier oder Gitarre. Und dann hören wir erst einmal Mucke, die in diesen Vibe passt. Was könnten Referenzen sein. Damit versuchen wir uns dann heranzutasten, was wollen wir daraus machen und wie können wir alle ins Boot holen?

Passiert es dann auch schon einmal, dass einer was vorschlägt und die anderen sagen: Nein sorry, das geht nicht.
Vincent: Ja (alle lachen). Wenn nur einer den Song gar nicht fühlen würde, kann man ihn nur schlecht live spielen. Es ist aber schon so, dass wir vier uns schnell sehr einig sind, was Tiefe hat und uns berührt. Wenn etwas uns vorgespielt wird, merken wir schnell, oft auch nonverbal, ob es passt, ob da was mit uns passiert. Wenn jeder bereits eine Idee hat, vielleicht sogar einsteigt, passt das.
Leon: Wenn es aber ewig lange Diskussionen gibt, wird es oft nichts. Wenn wir länger als eine halbe Stunde brauchen, wird es nichts. Wir machen aber oft noch drei Tage weiter. Aber dann lernen wir meistens zumindest noch etwas für andere Songs. Und ein, zwei Mal hat es sich sogar gelohnt. Manchmal ist ein Song auch harte Überzeugungsarbeit.
Vincent: Manchmal muss ich auch sagen: Leute, glaubt mir! (alle lachen)

Habt ihr unterschiedliche Lieblingssongs von Eurer Musik?
Vincent: Wahrscheinlich schon, aber gar nicht so extrem. Dadurch das wir alle – zumindest so ein bisschen in den letzten Schritten im Studio – gemeinsam Arbeit reinstecken, sind wir mit allen Songs cool. Es gibt Songs, die gehen uns schnell und flüssig von der Hand und welche, in die wir echt viel Arbeit hineinstecken mussten. Und wenn die dann irgendwann funktionieren, dann spielen wir sie dann schon extrem gerne, dann werden es auch Lieblingssongs.
Wir merken das auch immer, wenn wir fürs Livespielen die Setlist erstellen. Jetzt haben wir uns zum Beispiel Gedanken gemacht, was wir auf der Tour spielen wollen, die ansteht. Und ich war überrascht, wie einig wir waren, welche Songs wir eher aussortieren können und welche wir unbedingt spielen wollen. Es gab nur ein, zwei Songs, bei denen sich das unterscheidet, weil wir unterschiedliche Geschmäcker haben. Aber im Grunde ging das schon gut und wir hatten schnell Einigkeit in der Setlist.

Apropos Tour: ihr habt ja einige Venues, die ihr mehrmals bespielt, weil sie so schnell ausverkauft waren. War es Euer Wunsch, da zu bleiben anstatt eine Nummer größer zu spielen?
Moritz: Wir wollten einfach immer ausverkaufen. Wir wollten lieber die kleinere Venue und dafür voll. (Gelächter)
Vincent: In Berlin war es auf jeden Fall so, wir haben die Columbiahalle ausverkauft und es gab die Gelegenheit das Konzert hochzuverlegen. Aber wir haben gesagt, dann spielen wir lieber nochmals Columbiahalle. Die wollen wir nicht überspringen. Wir wollen unbedingt mal in der Columbiahalle gespielt haben. Dafür kann man nicht zu groß als Band sein. Oder das Palladium in Köln. Dort spielen wir zwei Mal. Es gibt so Venues, da wollen wir einfach einmal gespielt haben.

Diesen Sommer seid Ihr das erste Mal gefühlt so richtig live unterwegs. Wie fühlt sich der Festivalsommer für Euch an?
Vincent: Wir holen jetzt nach, worauf wir uns zwei Jahre lang gefreut haben, worauf wir zwei Jahre lang hingearbeitet haben. Und das ist schon sehr gut, macht sehr, sehr viel Spaß.
Aber es ist schon viel Fahrerei. Es ist anstrengend auf jeden Fall. Wir wussten, dass es anstrengend wird, aber es wurde sogar anstrengender, als wir dachten.
Das Problem ist eher, dass noch so viel Parallel läuft: wir machen noch das Album und dazu die ganze Album-Promo. Es gibt immer noch so Themen dazwischen, zusätzlich. Da mussten wir uns manchmal etwas bremsen. Damit der Spaß dabei nicht auf der Strecke bleibt, das ist schon das Wichtigste irgendwie.
Deswegen sind wir auch vom Sprinter auf einen Nightliner umgestiegen. Diese Fahrerei ist einfach so stressig.
Robin: Kennt ihr so Väter, die sich treffen und dann über Autobahnen sprechen?
So A7 raus und so? So Autobahnschnacks hatten wir schon. Und Raststätten-Ratings. Im Vergleich zum Sprinter ist Nightliner schon ein Fortschritt. Das ist schon sehr viel komfortabler und hilft uns viel, weil die Strecken mittlerweile einfach auch viel länger sind.

Das klingt total nachvollziehbar. Ich springe aber nochmals zurück zu eurer neuen Platte: ihr habt da einige Features. Wie kommt es dazu? Habt ihr Wunschkünstler? Oder eine Songidee, bei der ihr denkt, dazu könnte die- oder derjenige passen? Oder entwickelt ihr Features sogar gemeinsam?
Vincent: Das ist oftmals einfach so entstanden. Irgendwann meldet sich mal ein Künstler. Nina zum Beispiel hat uns auf Instagram angeschrieben, dass ihr unsere Musik gefällt. Und dann habe ich mich so richtig mit ihren Sachen beschäftigt. Das war unheimlich gut und ich habe sie dann gefragt, ob sie denn nicht einmal mit uns ins Studio gehen will. Manchmal entsteht dann so ganz natürlich eine Interaktion. So war es dann auch mit Casper. Ich habe ihn einfach angeschrieben und er hat sich dann darauf gemeldet. Er hat sich nicht getraut, würde es aber total gerne machen. Irgendwer muss irgendwann den ersten Schritt machen und dann entsteht es einfach. Das hat mich auch überrascht, dass es sich so relativ natürlich entwickelt.
Beim dritten Feature bei Danger Dan war es so, dass der Song von uns geschrieben war. Es gab die erste Strophe und die Hook und wir dachten, das passt voll zu Danger Dan. Und dann war der Song da.
Im Sommer davor haben wir Danger Dan auf einem Festival getroffen und wir sind alle Riesenfans von Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt und Danger Dan meinte, er ist Fan von uns. Total krass. Dass so jemand dann sagt, dass er uns mag.
Dass so jemand dann sagt: Das ist voll gut.
Ich saß mal neben Marteria im Backstage und war total geflasht. Oder das Album von Casper XOXO, das hat uns alle sehr geprägt. Und jetzt war er mit uns im Studio. Das sind so Momente, wo man denkt: Krass, wir haben es schon ein Stück weit geschafft.

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Wenn Ihr ein eigenes Festival kuratieren könntet, wer müsste alles spielen?
Robin: Jeremias. Wir sind dicke Buddies mit denen.
Leon: Aber wir dürfen ja auch international denken. Kayne West.
Vincent: Sam Fender, Harry Styles, Nina Chuba.
Moritz: Wir würden Oasis wiedervereinen, würden es zumindest versuchen.
Vincent: Paul McCartney würd’ ich einladen.

Und wo würde es steigen?
Vincent: Es gibt so einen Kiesbaggersee bei uns um die Ecke. Da würden wir es machen. Vielleicht müssten wir ihn noch etwas weiter ausbaggern.
Leon: Aber schon eher klein und nachhaltig. So wie hier ist es auch super schön.

Wie schaut Eure Bedroomdisco aus?
Robin: Es wäre so ein bisschen Indiedisco-mäßig. Wir waren neulich auf einem Festival, auf dem am Ende Indie aufgelegt wurde.
Leon: Es gäbe verschiedene Phasen: Es gäbe eine Indiephase, aber auch eine Elektrophase. Und Hip-Hop wahrscheinlich auch.
Vincent: Ich bin gerade übelst in einer Angus und Julia Stone Phase, weil mich die Musik sehr runterfährt. Ich stehe oft sehr unter Strom und höre dann gar nicht so viel Musik. Wenn, dann oft beruhigende Musik. Klar, dann zum Pushen hören wir andere Musik, eher so Hits.
Aber Angus und Julia Stone – die wären auf meiner Bedroomdisco.

Vielen Dank für Eure Zeit und die interessanten Einblicke.

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Maike Mösta

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