THE PASSENGER – Filmkritik


Foto-© Pierrot Le Fou

Ich möchte was trinken und weil ich Blasco bin, werde ich was trinken.

(Blasco – The Passenger)

Macho und Ex-Matador Blasco (Ramiro Blas) nimmt auf dem Weg in sein Heimatdorf per Internetportal organisiert die streng gläubige Mariela (Cecilia Suárez) sowie Marta (Paula Gallego) und ihre hübsche Tochter Lidia (Cristina Alcázar) in seinem, liebevoll Vanny genannten, Lieferwagen mit. Während die üblichen Konflikte unter zufällig zusammengewürfelten Mitfahrgelegenheiten zu eskalieren drohen, fahren sie eine auf der Straße ziellos umherirrende Passantin an. Auf dem Weg ins nächstliegende Krankenhaus steht zusehends die Frage im Raum, ob die Passantin eventuell eine größere Gefahr für die Insassen darstellt als es der Kontakt mit Vanny für sie.

Wer schon einmal über ein Portal eine Mitfahrgelegenheit gebucht hat, dem wird das Szenario herrlich bekannt vorkommen. Genau von ebenso einer Mitfahrgelegenheit stammt auch die Inspiration hinter The Passenger, dem neuen Projekt des spanischen Regieduos Raúl Cerezo und Fernando Gonzáles Gómez. Das erste Drittel des Films ist eine gut geschriebene und charmant umgesetzte Kammerspiel-Komödie an Bord von Vanny im spanischen Hinterland. Wobei zwar keiner der vier als besonders freundlich und mitfühlend, aber alle irgendwie sympathisch und obgleich etwas stereotypisch, dennoch mehrdimensional rüberkommen. Blasco ist zwar Macho durch und durch, hat aber das Herz am rechten Fleck, die rebellische Tochter Lidia hat überraschend gute Gründe für ihre oberflächliche Abneigung, Mariela ist nicht ohne Grund auf ihrer Pilgerfahrt und durchaus auch kritisch gegenüber ihrer Religion und so weiter. Das angenehm chaotische Hin und Her zwischen den Passagieren tritt zunächst in den Hintergrund, wenn ab dem zweiten Drittel dann der 80er-Jahre B-Movie Horror voll durchstartet. Auch dieser beginnt stark, zieht sich dann aber leider ein wenig, wie das mit langen Autofahrten eben nun einmal so ist. Zum Ende hin schafft der Film dann jedoch beide Elemente gekonnt zu einem mehr als befriedigenden letzten Drittel zu verknüpfen. Dabei hilft zunächst die initial gar an Edgar Wright oder Sam Raimi erinnernde Kreativität der Kamerabewegung und des Schnitts. Dies rettet den Film vor der drohenden Eintönigkeit. Es gab sicher eine natürliche Grenze wieviel Dynamik an Kameraarbeit man aus Szenen in einem Van herausholen kann, diese ist nach The Passenger nun durchbrochen oder zumindest verschoben. Die Inszenierung ist dabei auch eines der Elemente, die gekonnt den 80er Jahre Charme mit modernem Flair vermischen. Ebenso der Soundtrack: auf der einen Seite läuft im Radio von Vanny konstant Paso Doble (klassische spanische Musik) auf einer eingeklemmten Kassette, auf der anderen gibt es einen treibenden Horrorsoundtrack. Die Effekte verbinden ebenfalls alt und neu, wobei hier jedoch, wie so oft, die digitalen Effekte nicht an die praktischen heranreichen. Ein riesiger, digitaler Vollmond gegen Ende des Films ist dabei ebenso mutig und herrlich künstlich wie einst der Pappmond in Evil Dead. Nicht nur inhaltlich werden also alte und neue Elemente gekonnt verbunden, sondern auch bei den Effekten.

Auch wenn gerade seine Fugur sehr klischeebehaftet ist, muss die schauspielerische Leistung von Ramiro Blas als Blasco noch einmal besonders gelobt werden. Macho können die Spanier einfach. Er würde zwar nicht funktionieren ohne die geschockten und erzürnten Reaktionen der Darstellerinnen über seine Dialoge und vor allem seine Monologe aber es genügt eben das sie reagieren, getragen werden die Dialoge und somit zu großen Teilen auch der Filme von ihm. Ebenso wie sich die Kassette in Vanny irgendwann löst, schafft es auch Blasco aus seiner verklemmten Sichtweise auszubrechen und eine echte Charakterentwicklung zu durchlaufen. Bis auf den schwachen Mittelteil und die bei Indiefilmen üblichen Abstriche bei der technischen Perfektion der Effekte, überzeugt der passionierte und ambitionierte Film ebenso wie die fantastische Aufmachung des MediaBooks des Pierrot Le Fou DVD-Labels. Neben überraschend gutem Bild und Ton, einem Booklet und einem Miniposter lohnen sich vor allem die zwei Kurzfilme der beiden Regisseure, die sich unter den Extras befinden. Da diese Version auf 2.500 Stück limitiert ist, solltet ihr nicht zu lange überlegen und euch einen Platz in Blascos Vanny sichern, ihr werdet es nicht bereuen.

The Passenger (ES 2021)
Regie: Raúl Cerezo, Fernando Gonzáles Gómez
Besetzung: Ramiro Blas, Cecilia Suárez, Paula Gallego, Cristina Alcázar
Heimkino VÖ: 30. September 2022, Pierrot Le Fou

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Malte Triesch

Malte wuchs im idyllischen Lilienthal, direkt an der Grenze zu Bremen, der schönsten Stadt im Norden Deutschlands, auf. Seine frühesten Film-Erinnerungen ist, auf dem Schulhof in der neusten TV Movie alles anzustreichen was gesehen und aufgenommen werden muss. Da die Auswahl an Horrorfilmen hier doch recht be- oder zumindest stark geschnitten war entdeckte er Videotheken für sich bzw. seine Mutter, da man diese ja erst ab 18 betreten durfte. Wenn er nicht gerade Filmreviews schreibt ist er wahrscheinlich im (Heim-)Kino oder vor dem Mikrophon für den OV Sneak Podcasts, SneakyMonday.

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