BJÖRK – Fossora

Foto-© Vidar Logi

Are these not just excuses to not connect?
Our differences are irrelevant
To only name the flaws
Are excuses to not connect
If we don’t grow outwards towards love
We’ll implode inwards towards destruction

(Björk – Atopos)

Fünf Jahre sind seit Björks letztem Studioalbum Utopia vergangen. Das dürfte die Vorfreude und die Erwartungshaltung der Fans besonders hoch geschraubt haben, da ihre letzten Alben immer ambitionierte, multimediale und konzeptuell ausgeklügelte Gesamtkunstwerke waren, deren Entwicklung eben viel Zeit erfordert hat.

Am 30. September war es dann endlich soweit und die isländische Songwriterin veröffentlichte ihren zehnten Longplayer mit dem Titel Fossora. Darin verarbeitet sie nicht nur die Erfahrungen der Pandemie-Zeit, sondern auch den Tod ihrer Mutter im Jahr 2018. Diese Themen von Ent- und Verwurzelung, Verletzlichkeit und Isolation, Wachstum und Vergehen bearbeitet sie sinnbildlich über das Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur, in lyrischen Metaphern von Pilz- und Pflanzenwelten: Das unterirdisch wachsende Myzel, die Pilzwurzel, steht dabei als Symbol für die menschliche Suche nach Verbindung, Ausbreitung und Überwindung der Einsamkeit. Musikalisch arbeitet Björk dabei so experimentell wie eh und je und geht wieder ungewöhnliche Kollaborationen ein, um eine einzigartige Stimmung zu erzeugen: Das instrumentale Grundgerüst bilden diesmal Bassklarinetten, und die Beats stammen von dem indonesischen Techno-Duo Gabber Modus Operandi.

Das unterstreicht auch der Titel des Openers und der Single-Veröffentlichung Atopos, der aus dem Griechischen kommt und etwas Unvergleichliches beschreibt – passend zu einem Björk-Album. Ihr erhebender, emotionaler Gesang über das Einswerden und die Überwindung der Isolation mit Lyrics voller Pathos wie “Hope is a muscle / That allows us to connect” wird kontrastiert von dissonanten Klarinetten und einem pulsierenden, hämmernden Industrial-Beat. So entsteht ein überaus eindringlicher Song, der den Ton für das Album vorgibt und perfekt in die fesselnde, fremdartige Welt von Fossora einführt.

Einen thematischen Höhepunkt der Platte bilden Sorrowful Soil und Ancestress, die beide Björks verstorbener Mutter gewidmet sind und ihrer Trauer musikalisch Ausdruck verleihen: Schwelgerische, melancholische Songs, die von der Rolle der Frau in der Natur handeln, von weiblicher Aufopferung und der Mutter-Tochter-Beziehung. Das äußerst düstere und minimalistische Victimhood erzeugt eine extrem eindringliche, dröhnende und finstere Klanglandschaft voller Verzweiflung, mit Bassklarinetten, die so tief spielen, dass sie beinah klingen wie Hörner oder Synthesizer, wie eine Art metallisches, elektronisches Gewitter. Der Text dreht sich um das Gefühl, in einer Opferrolle festzustecken, und diese Beklemmung wird durch die pulsierende, hypnotische EBM-Nummer perfekt eingefangen.

Als emotionaler Kontrapunkt folgen darauf mit Allow und Fungal City sehr beschwingte und verspielte Lieder, deren Leichtigkeit nach der Schwere von Victimhood wie ein Wolkenbruch wirkt. Die Lyrics beschreiben die Magie des Waldes und der Natur aus der Sicht einer Pflanze und strahlen eine anrührende Unschuld aus. Trotzdem beinhalten sie auch typische Björk-Hooks: Hymnische Melodien, kombiniert mit einem Crescendo aus elektronischen Stakkato-Drum-Beats. Geschlossen wird die Platte mit dem elegisch-nachdenklichen Her Mother’s House, das sich mit dem Vermächtnis ihrer Mutter beschäftigt. Ein betörendes und sanftmütiges Lied mit elfenhaften Vocals von Björks eigener Tochter: So schließt sich der Kreis von Wachsen und Vergehen, von familiärer Einheit und Weitergabe, von der Aufrechterhaltung der Naturzyklen.

Björk erfindet sich immer wieder neu und bleibt sich trotzdem treu: Ihr gelingt mit Fossora ein fulminantes Comeback, eine Platte, die die Erwartungen übertrifft, die wieder mal larger-than-life ist, absolut unverwechselbar nach Björk klingt, und trotzdem überraschendende und erfrischende Momente aufbietet. Die Lyrics sind zutiefst philosophisch und persönlich, das Konzept anspruchsvoll, die Musik anrührend, voller Pathos, eindringlich, gleichzeitig bizarr, pulstreibend und hypnotisch. Ein Fest für die Sinne, keinesfalls einfach zu konsumieren und emotional aufreibend, aber absolut lohnenswert, wenn man sich darauf einlässt.

Björk – Fossora
VÖ: 30. September 2022, One Little Independent
www.bjork.com
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Tamara Plempe

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