Foto-© Lucia Berlanga
So eine lange Pause wie die zwischen Fake und dem neuen Album gab es in der Bandgeschichte von Die Nerven noch nie, – doch das Warten hat sich gelohnt, die Band ist endlich mit ihrem selbstbetitelten schwarzen Album zurück. Schon bei der ersten Single war klar, dass dieses Album so aktuell sein wird, dass es wehtut! Es legt den Finger förmlich in die Wunde…aber stimmt das überhaupt? Eigentlich ist diese Platte nämlich bereits vor den großen Krisen der vergangenen Jahre entstanden, umso beeindruckender ist es, wie die Band um Kevin Kuhn, Julian Knoth und Max Rieger ein Album erschafft hat, das scheinbar niemals an Aktualität verliert. In unserem Interview haben wir mit Julian (Gesang, Bass) über die veränderte Arbeitsweise bei der Produktion, Konkurrenzen innerhalb der Band und ein neues Kapitel für Die Nerven geredet.
Hey Julian, wie geht’s dir heute?
Hi, mir geht’s gut soweit!
Lass uns mal als Erstes einen kleinen Blick zurück auf eure Bandgeschichte werfen, – mittlerweile ist eure Gründung schon zwölf Jahre her, kannst du dich erinnern, was ihr am Anfang für Ziele hattet?
Eigentlich gab es nicht so wirklich Ziele, außer das Ziel, dass wir die lauteste und nervigste Band sein wollten (lacht). Vor die Nerven hatte ich schon immer das Ziel, dass ich Konzerte spielen wollte und auf Tour gehen wollte und habe von dem „Rockstar“ Leben geträumt. Die Nerven waren am Anfang eigentlich eher das Gegenteil davon, wir haben einfach nur gemacht und deshalb ist es sehr paradox, dass es dann ausgerechnet mit die Nerven funktioniert hat, quasi mit dem Projekt, was am Anfang nur als Provokation gedacht war. Und das, obwohl ich dabei weniger ehrgeizig war als ein paar Jahre davor, als ich viel mehr versucht habe, meine Ziele zu verfolgen. Irgendwie hat es ganz gut getan, nicht irgendjemandem gefallen zu wollen.
Mit dem Album Fake habt ihr dann das Ziel vieler Künstler*innen erreicht und seid auf Platz 13 der Charts gelandet. Hat sich das auch für euch wie einer der größten Meilensteine angefühlt, oder gab es andere Punkte, die für euch in eurer Laufbahn mehr Bedeutung hatten?
Das ist schwer zu sagen. Es ist, glaube ich, schon ein Meilenstein gewesen, aber es gab eben auch andere und es gibt auch welche, die vielleicht noch gar nicht wahr geworden sind. Das ist einer von den Träumen gewesen, die man mit 16 hatte, auch wenn es eigentlich bei unserer Art von Musik gar nicht darum geht zu Charten, aber es ist ja doch irgendwie ein Zeichen dafür, dass da Leute sind, die die Musik kaufen und feiern. Es war eher ein Meilenstein in dem Sinne, dass er ein kleines „Fuck You“ an die Leute war, die uns in unseren Anfangstagen belächelt haben (lacht). Das war schon eine kleine Genugtuung für mich, auch wenn man irgendwann erwachsen wird und es eigentlich gar nicht nötig hat, weil der Erfolg ja schon da ist.
Du hast auch Mal gesagt, dass du nach dem Erfolg von Out das Gefühl hattest, dass du jetzt nicht mehr auf die Straße gehen kannst, weil dich alle erkennen würden. Das ist dann doch nicht so gekommen und alles ist recht entspannt geblieben, ist das immer noch so oder werdet ihr mittlerweile öfter erkannt?
Ich habe das glaube ich gesagt, als Fun rauskam, weil das unser erster wirklicher Durchbruch war, der auch vom Spiegel und vielen anderen gehyped wurde. Da hatte ich wirklich das Gefühl, dass ich sofort erkannt werde, wenn ich raus gehe, aber das ist nicht eingetreten. Heutzutage würde ich sagen, dass das schon manchmal vorkommt, aber es spielt immer noch keine Rolle in meinem Alltag. Ich werde bestimmt manchmal erkannt und nicht angesprochen, das ist immer ein komisches Gefühl, aber sonst ist alles entspannt.
Zwischen Fake und eurem neuen Album ist der größte zeitliche Abstand zwischen zwei eurer Alben in eurer Bandgeschichte – liegt das zum Teil auch an der Erwartungshaltung, die die Leute nach dem letzten Album an euch hatten?
Das ist eigentlich nur pandemiebedingt, der Abstand der Studiozeiten zwischen Out und Fake war genauso lang wie der Abstand zwischen Fake und dem schwarzen Album. Es hat nicht so viel mit dem Druck zu tun, wir haben nach dem letzten Album relativ schnell angefangen, an dem neuen Album zu arbeiten, das war Ende 2018, nachdem wir auf Tour waren. Ich würde fast sagen, dass die Lücke noch mal kürzer war, weil wir direkt angefangen zu arbeiten, wir haben uns bloß mehr Zeit gelassen. Wir haben viel geschrieben, viele Skizzen, viele Songs, auch viel wieder verworfen und noch mal überarbeitet. Dann sind wir mit 16 Songs ins Studio und jetzt haben es zehn aufs Album geschafft, also haben wir uns mehr Zeit gelassen, um aussortieren und alles nochmal verdichten zu können. Sicherlich spielt Druck auch immer eine gewisse Rolle, aber irgendwie war es für uns dieses Mal sehr einfach, uns auf die Arbeit zu konzentrieren. Wir wussten auch, dass wir das noch besser machen können, nicht in dem Sinne, dass es schlecht war, sondern in dem Sinne, dass wir noch eine bessere Art zu arbeiten finden können, konzentrierter und gewissenhafter.
Die drei Alben Fun, Out und Fake werden ja oft als Trilogie wahrgenommen – bedeutet das auch, dass das neue Album jetzt eine Art neues Kapitel ist?
Interessant! Ja, man kann es schon als Trilogie betrachten, weil wir die drei Alben mit Ralv Milberg zusammen gemacht haben, Fluidum haben wir ja selbst aufgenommen und das neue Album haben wir nicht mit Ralv aufgenommen, auch wenn er am Ende im Mastering noch beteiligt war. Ich glaube dadurch, dass es ja auch selbstbetitelt ist und unser schwarzes Album finde ich „neues Kapitel“ schon einen ganz guten Ausdruck. Wir haben jetzt ja schon öfter darüber gesprochen und viele haben gefragt, ob es eine Neuerfindung ist, aber ich finde nicht, dass wir uns neu erfunden haben. Es ist schon auch eine Weiterentwicklung und ein neues Kapitel auf jeden Fall! Im Prinzip hat sich aber gar nicht so viel von dem geändert, wie wir Musik mache, klar sind Streicher dazu gekommen, aber das hat eigentlich nichts mit dem Songwriting zu tun, es hat echt eher was damit zu tun, wie wir das Album geschrieben und aufgenommen haben.
Vielleicht ist die Frage da auch etwas trivial, aber wie kommt es, dass das selbstbetitelte Album jetzt erst kommt? Bei vielen Artists ist das ja das Debütalbum.
Das stimmt, dass es oft das erste Album ist, aber es ist ja nicht nur selbstbetitelt, sondern für uns ist es auch das schwarze Album und das ist wie bei Metallica, deren fünftes Album ja auch das schwarze Album war. Ich habe das nie gehört, ich glaube, ich kenne nur die Hits davon (lacht), aber es war ja für die Band glaube ich, auch eine musikalische Weiterentwicklung und in der Tradition steht es jetzt eher, als dass einem kein besserer Titel für das Debütalbum einfällt. (lacht) Es ist eher wie ein neues Kapitel, vielleicht trifft es das tatsächlich ganz gut.
Du hast es gerade schon ein bisschen angerissen, – ihr habt die Arbeitsweise bei dem neuen Album verändert, zum ersten Mal gab es einen Raum, in dem ihr euch regelmäßig getroffen habt, um an den Songs zu arbeiten, woher kam diese Umstellung?
In unseren ersten Jahren waren wir alle noch in Stuttgart, da hatten wir nie wirklich einen Raum, sondern haben uns immer bei anderen Bands eingezeckt und da innerhalb von kurzer Zeit viel gemacht, dadurch konnten wir aber nie intensiv an der Musik arbeiten. Und auch Fake ist ein Album, das zwischen drei verschiedenen Städten entstanden ist, viel von dem, was wir jetzt besser hinbekommen haben, haben wir auch damals versucht, aber es war immer schwierig, einen Weg zu finden, wie wir über mehrere Städte verteilt miteinander arbeiten wollen. Mittlerweile leben aber außer mir alle in Berlin und dadurch wurde es dann plötzlich wieder sehr viel einfacher und mit dem Raum, den wir dann hatten, war es noch mal einfacher. Eigentlich hat das gar nicht so viele Hintergründe, außer dass es etwas gedauert hat, bis man sich da neu gefunden hat und neu organisiert hat. Jetzt ist es aber sehr einfach, wenn wir was machen, dann fahre ich nach Berlin und wir machen zwei Wochen was, dadurch ist alles sehr viel konzentrierter.
Würdest du sagen, dass das auch was an dem Sound vom Album geändert hat?
Ich glaube schon, weil es das erste Album ist, bei dem ich zu jeder Zeit wusste, was ich tue (lacht). Das liegt daran, dass wir sehr früh angefangen haben, eine sehr gute Vorproduktion zu machen, wir haben das Album sozusagen schon selbst aufgenommen, bevor wir damit ins Studio gegangen sind. Die Anekdote dazu ist, dass Kevin, nachdem wir Fake aufgenommen haben, gesagt hat, dass er möchte, dass das beim nächsten Mal die Vorproduktion ist und so haben wir dann auch daran gearbeitet. Ich glaube, das hat schon einen Einfluss auf den Sound, weil wir alle immer wussten, was wir tun, als wir mit dem Album im Studio waren. Dadurch hat sich für mich noch mal eine andere Wucht entwickelt. Außerdem gibt es soundtechnisch natürlich noch den marginalen Unterschied, dass wir am Anfang entschieden haben, dass wir so viel wie möglich selbst machen wollen und uns nur für die Prozesse, bei denen wir jemanden brauchen, die richtigen Leute dazu holen. Deswegen sind wir dann ins Candy Bomber Studio zu Ingo Kraus gegangen, der das Ganze dann enginiert hat und wir haben Moses Schneider dazu geholt, der die Take-Auswahl gemacht hat, weil wir das immer zu dritt in einem Raum einspielen und es jemanden gebraucht hat, der entscheidet, ob wir noch etwas brauchen oder ob es gut klingt. Max wollte das Album eigentlich nicht selbst mischen, hat es dann aber doch gemacht, weil durch die Lockdowns plötzlich so viel Zeit war, das hat sicherlich auch was mit dem Sound gemacht.
Im Pressetext steht, dass es zwischen euch als Bandmitgliedern zum ersten Mal keine Konkurrenz gibt. Wie hat sich das früher geäußert?
Ich weiß nicht, ob es immer Konkurrenz war, es waren auch viele unausgesprochene Sachen und wir dachten immer, dass sich unsere vielen unterschiedlichen Projekte nicht miteinander vermischen dürfen. Wir haben irgendwann gemerkt, dass das Qutasch ist, weil wir dann am stärksten sind, wenn alle alles in die Band einbringen können und es da keine Hemmungen gibt. Wir sind dann am besten, wenn wir nur der Musik dienen. Das hat auch wieder was mit Songwriting und Sound zu tun, weil es dadurch eine andere Wucht entwickelt, dabei geht es gar nicht immer um diese Aggressivität oder um die musikalische Wucht, sondern auch um das Gegenteil, also um die Stellen, die ruhiger sind.
Du hast eben schon mal angerissen, dass Max jetzt auch das Album gemischt hat. Im Pressetext steht, dass das unter anderem daher kam, dass er es niemand anderem mehr zumuten konnte – wann wurde dieser Punkt erreicht?
Das kann ich nicht so genau beantworten. Ich denke mal wirklich daher, dass sich im zweiten, dritten, vierten Lockdown eine andere Zeit aufgetan hat. Ich glaube, ab dem Moment, wo er angefangen hat, sich damit zu beschäftigen, war es wahrscheinlich schon zu spät.
Dann geht es jetzt noch einmal zurück in die Vergangenheit – eure Bandgeschichte hat ja, wie du gerade schon meintest, in Stuttgart gestartet, was glaubst du, was das für euch als Band bedeutet hat und was wäre vielleicht anders gewesen, wenn ihr zum Beispiel aus Berlin gekommen wärt?
Wenn wir mal sagen würden, wir wären in einer anderen Stadt groß geworden wie Berlin oder Hamburg, dann hätten wir wahrscheinlich nicht die Langeweile gehabt, die unser Antrieb war (lacht) und wir hätten nicht die Zeit gehabt, die wir gebraucht haben, um uns zu entwickeln. Wir hatten eine gewisse Narrenfreiheit und Zeit, um erst mal zu einem gewissen Punkt zu kommen, und es gab einen Freiraum, um Dinge einfach zu tun, ohne dass eine Szene da war, die uns was vorgeschrieben hat, wir waren sowieso erstmal dagegen (lacht). Aber es gab auch nicht so viele von den richtig coolen Bands, die einem reinreden konnten oder irgendwelche Hardcore Indie-Typen, die sagen „Das geht so nicht“ oder „Erklär mal, was du mit deinem Text meinst“. Ich glaube, in anderen Städten, vor allem Hamburg, kannst du nicht einfach mal anfangen, auf deutsch Musik zu machen, ohne dass Leute den Text erklärt haben wollen oder sagen, dass es das doch so schon mal gab, so stelle ich mir das zumindest vor (lacht).
Also bist du froh, dass es mit eurer Heimatstadt so gekommen ist und das es nicht Berlin oder Hamburg war?
Ja, ich find schon! Ich weiß auch nicht, ob es in einer kleineren Stadt funktioniert hätte, vielleicht wäre man dann zu alleine gewesen damit und so hatten wir schon noch viele Leute um uns herum.
Was sind denn eure Pläne, wenn das Album releast ist? Gibt’s schon Pläne oder sogar schon neue Musik?
Also wir wollen natürlich in erster Linie auf Tour gehen, aber wir haben, glaube ich, auch alle Lust, bald an neuem Material zu arbeiten. Wir reden manchmal darüber, wie wir uns das vorstellen, wie unsere Arbeitsweise sein wird, aber wir haben noch nicht konkret angefangen. Aber wir schauen erst mal, was auf Tour passiert, ich glaube unser Notfallplan, falls doch noch viel abgesagt wird oder nicht möglich ist, ist auf jeden Fall dann neue Songs zu machen. Es ist ja tatsächlich auch schon sehr lange her, dass wir neue Sachen gemacht haben, das Album ist seit Oktober 2020 fertig, also seit zwei Jahren und seitdem haben wir nichts Neues gemacht, da hat man schon Bock!
Die Nerven Tour:
13.10.22 Jena, Kassablanca
14.10.22 Bielefeld, Forum
15.10.22 Köln, Gebäude9
19.10.22 Rostock, MAU Club
20.10.22 Magdeburg, Moritzhof
21.10.22 Berlin, Huxleys
23.10.22 Dresden, Groovestation
26.10.22 Bremen, Tower
27.10.22 Hannover, Bei Chez Heinz
28.10.22 Flensburg, Volksbad
02.11.22 Augsburg, Kantine
03.11.22 Erlangen, E-Werk
04.11.22 Chemnitz, Atomino
05.11.22 Leipzig, Conne Island
09.11.22 Marburg, KFZ
10.11.22 Mannheim, Forum
13.11.22 Freiburg, Waldsee
14.11.22 Wiesbaden, Schlachthof
15.11.22 Stuttgart, LKA
16.11.22 Ulm, Roxy
17.11.22 München, Backstage
22.11.22 Regensburg, Alte Mälzerei
26.11.22 Koblenz, Circus Maximus
29.11.22 Hamburg, Uebel & Gefährlich
30.11.22 Münster, Gleis22