WILLOW – COPING MECHANISM


Foto-© Universal Music

Fuck a small talk, chatting, sitting down
Shallowness is like a poison crown
I cannot get over all this shit and now
I’m falling endlessly
Look at my face, tell me
Who do you think is more insane?
You or I?

(WILLOW – Falling Endlessly)

Wer mit 21 Jahren bereits das fünfte Album in die Läden stellt, sollte uns eigentlich nicht mehr so überraschen können. Willow Smith schafft das mit Coping Mechanism trotzdem, denn hier gibt es so viel perfekt produzierte Indie-Rock-bis-Pop-Punk-Melange zu hören wie seit 2009 nicht mehr. Was auf dem Vorgängeralbum noch als vielversprechend mit Startschwierigkeiten bewertet wurde, hat keine zwei Jahre später richtig Fahrt aufgenommen.

Das Pop-Punk-Comeback in den USA ist längst Thema zahlloser Essays und Reportagen geworden, die eine einigermaßen überzeugende Linie von einer depressiven und neu politisierten Jugend über die zuverlässigen Wellenbewegungen von Pop- und Modetrends bis hin zu Vermarktungsmöglichkeiten des Rocker-Image in Serien und Merchandise zeichnen. Dass Willow als erfolgreiche Künstlerin aus dem Hause Smith hier aufspringt, wirkt an der Oberfläche erst einmal kalkuliert und wenig überraschend. Coping Mechanism zeigt jedoch Zeile für Zeile, dass hier mit deutlichen Pinselstrichen und voller künstlerischer Integrität an der Übertragung des Pop-Punk-Genres ins Post-Tiktok-Zeitalter gearbeitet wird.

Der erste Song Maybe It’s My Fault macht direkt klar, wo wir uns befinden: Ein Gitarrenintro, das von einem frühen Bloc Party Track stammen könnte, düstere und zerrissene Lyrics und eine gesangliche Top-Performance, die mal in Richtung Hayley Williams (Paramore) und mal unerwartet in Richtung Amber Bain (The Japanese House) ausschlägt. Willow zeigt, welche Bandbreite sie beherrscht, selbst wenn sie ein eher einfaches Thema ohne Umschweifen durchzieht.

Das Tempo ist von Anfang an hoch, der erste change of pace kommt mit Curious/Furious, einem Ohrwurm mit zweifelnden, aber emanzipatorischen Lyrics. Diesen Balanceakt nimmt Willow inhaltlich immer wieder auf dem Album, und in den besten Momenten verschmelzen lesbische Erotik mit Alte-Weiße-Männer-Rock, wie in Hover Like A Goddess. An anderen Stellen trifft Theatralik im Selbsthass zwar genau den richtigen Ton für Teenager-Wut, wirkt aber bei allen anderen Stimmungen etwas zu gewollt ernst, wie im Title Track : „I try to feel something, that’s why I break everything“. Beschweren will man sich jedoch auch hier nicht, denn genau diese Attitüde erwarten wir ja von einer 2000er-Emo-Platte.

Ungefähr im erwähnten Hover Like A Goddess setzt dann aber der Gedanke ein, dass hier mehr geht als Mitschreien, dass wir es mit einer raffinierten, wenn auch noch nicht zu Ende gedachten Weiterentwicklung des Pop-Punk-Genres zu tun haben. Willows Songs sind nicht nur Hommage, das wird zum einen an den reflektierten und feministischen Texten deutlich. Darüber hinaus ist da aber auch die starke, cleane Produktion und ein harmonisches, abwechslungsreiches Set-Up, das Willow erlaubt, ihren Stimmumfang zu zeigen und ihre ehemals charakteristischen R&B-Klänge einzuweben. Am besten gelingt das in No Control, einem inhaltlich simplen Song, der aber im Hintergrund auf etwas abwechslungsreichere Rhythmen setzt und auf dem Willow lässig zwischen Screaming und Hauchen wechselt.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Hier gibt es kein R&B-Schaf im Rock-Wolfspelz, die Künstlerin meint ihren Genre- und Imagewechsel vollkommen ernst und das ist gut so. Sie schafft es auf immer wieder, aus Klischees und Altbekanntem Neues zu machen. Dabei erzählt sie ihre Geschichte ohne Umschweife. Keine Sekunde der 11-Track-Platte wirkt zu lang, wir bekommen pures, überladenes Herzschmerz-Entertainment. Millennials überall auf der Welt können sich heimlich freuen, dass in Kinderzimmern wieder Gitarrenmusik gehört wird. Und dafür müssen wir nicht einmal Machine Gun Kelly ertragen.

WILLOW – Coping Mechanism
VÖ: 7. Oktober 2022, Universal Music
www.facebook.com/WILLOW

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Phillip Kaeding

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