Foto-© Pierre-Ange Carlotti
I’m looking for love in a meaningful way so I never let go
Ce monde est si cruel mets ta main dans la mienne, mets tes lèvres sur mes lèvres
(This world is so cruel put your hand in mine, put your lips on my lips)
(Christine and the Queens – Looking for love)
Christine and the Queens ist zurück, mit neuem Album und mit einem neuen Namen: Redcar. Da würde man nun einen großen Knall erwarten. Tatsächlich wurden sowohl das Album als auch die dazu angekündigte Tour im Geiste der großen Rock-Oper in einem monatelangem Prozess erarbeitet und mit dem US-amerikanischen Hip-Hop-Produzenten Mike Dean aufgenommen, der schon mit Beyoncé, Lana Del Rey, Kanye West und Jay-Z zusammenarbeitete.
Der Sound des Albums schwebt irgendwo zwischen Bowie, Björk und Kate Bush: Mal ausschweifender Elektro-Pop, dann wieder ganz zurückgenommen. Dann erinnert man sich an das Erbe des französischen Chansons, das unter der artsy-Decke immer wieder durchscheint, in Songs wie La chanson du chevalier, La clairefontaine, Combien de temps oder Mémoire des ailes.
Auf Redcar les adorables étoiles mischen sich wie gewohnt englische Zeilen zwischen die französischen Lyrics; softe, minimalistische Synthesizer wechseln sich ab mit energiegeladenen Drums. Trotzdem kommt Redcar les adorables étoiles emotionaler, verletzlicher daher als seine Vorgänger. Zum Beispiel in Songs wie dem 80er-Disco-Vibe-inspirierten Looking for Love, das davon handelt, wie sich die Verbindungen zu den Menschen, die wir lieben oder einmal geliebt haben, in unserem Leben manifestieren. Oder in Les étoi-les, in dem Redcar vor sphärischer Soundkulisse auf berührende Weise die Sehnsucht nach seiner Mutter besingt.
“Prends moi dans tes bras
J’ai encore froid
Je ne comprends pas
Pourquoi j’ai autant besoin de toi
Reste là”
(Nimm mich in deine Arme
Mir ist immer noch kalt
Ich verstehe nicht
Warum ich dich so sehr brauche
Bleib da)
Identifizierte Christine and the Queens sich bei der Veröffentlichung des letzten Albums, Chris, noch als nonbinär, nutzt er nun männliche Pronomen. In einem Video auf TikTok berichtete er seinen Fans von der Veränderung. „Meine Weiblichkeit war eigentlich Drag“, erklärte er einmal in einem Interview; das „and the Queens“ in seinem Namen erinnert noch immer an die Drag Queens in dem Londoner Nachtclub, in dem er vor vielen Jahren zum ersten Mal den Mut fand, zu sich selbst zu stehen.
Auch in Rien dire schlägt Christine and the Queens ruhigere, emotionale Töne an: Der Song handelt von einer Liebe, die fortbesteht, obwohl die Personen ihr Leben nicht mehr miteinander teilen und (rien dire) nie miteinander sprechen. Durchzogen von zwei minimalen Synthies, baut sich der Song zum Ende immer weiter auf, was den Textzeilen noch mehr Tragkraft verleiht: Sie wiederholen sich wieder und wieder, prägen sich ein wie eine Meditation.
Même si je ne suis pas toujours dans tes bras
Il me semble que tu marches à côté de moi
Et mes gestes ont pris la couleur de tes mouvements
Et j’y pense tout le temps, malgré moi
Oh on s’apprend
Oh on s’attend
Oh on se rend et sans jamais rien dire
– Rien dire
Ganz im Sinne der Rock-Oper erzählt dieses Album eine Geschichte, und obwohl der Bass auch diejenigen mitträgt, die kein Wort Französisch verstehen, lohnt es sich, genau hinzuhören. Ob nun Christine and the Queens, Chris oder Redcar: Auf Redcar Les Adorables Étoiles beweist der Künstler wieder den außeror-dentlichen Facettenreichtum, für den bereits das Debüt 2014 gefeiert wurde und macht sich nebenbei wei-ter an die Zerstörung des Systems, das Geschlechtsidentitäten als etwas Fixes begreift. Der Zusatz „pro-logue“ im Titel legt nahe, dass er damit noch lange nicht fertig ist.
Christine and the Queens – Redcar les adorables étoiles (prologue)
VÖ: 11. November 2022, Virgin Music
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