Foto-© 2022 SPF (Crimes) Productions Inc. & Argonauts Crimes Productions S.A., Photo Credit Nikos Nikolopoulos
Surgery is the new sex.
(Crimes of the Future – Timlin)
In einer dystopischen Welt, in der Menschen keinen physischen Schmerz mehr spüren, ist das Verlangen nach neuen Reizen groß. Mehr noch als die Veränderung des eigenen Körpers durch Operationen, sind es die Operationen selbst, die zunehmend den Reiz der Künstler, aber auch der breiten Masse auf sich ziehen. Die Stars dieser Szene sind Saul Tenser (Viggo Mortensen) und Caprice (Léa Seydoux), seine Assistentin am morbid anmutenden biotechnologischen Operationstisch. Sauls besondere Gabe ist, dass sein Körper kontinuierlich neuartige Organe mit unbekannter Funktion produziert, welche dann in publikumswirksamen Live-Operationen entnommen werden. Doch sind diese Organe zufällige, tumorartige Mutationen, bewusst gesteuerte Kunstgegenstände oder gar der Weg auf eine neue evolutionäre Ebene?
David Cronenberg, der Vater des Bodyhorrors, meldet sich nach acht Jahren zurück. Waren seine Fans zwischenzeitlich davon ausgegangen, dass er den Staffelstab mittlerweile an seinen Sohn Branden (Possessor, 2020) weitergegeben hat, können diese nun bedrückt und angewidert aufatmen. Denn Crimes of the Future liefert, wenn auch nicht auf höchstem Niveau, alles, was den Regisseur auszeichnet. Eine kreative Story, verkopfte Dialoge, ein paar Twists, eine klare Botschaft und natürlich eine gute Portion Bodyhorror. An was es dem Film besonders mangelt, ist das Erschaffen einer großen, glaubwürdigen Welt. Gedreht in nur einer Lagerhalle und mit einem moderaten Budget von 35 Million USD ist verständlich, dass die ganz großen Schauwerte fehlen. Tatsächlich wurde mit dem sehr guten Cast von Viggo Mortensen über Léa Seydoux bis hin zu Kristin Stewart und Scott Speedman sowie den reichlichen Effekten einiges aus dem Budget herausgeholt. Ein paar mehr Schauplätze, ein bisschen Variation zu den ewig metallisch rostigen Gebäuden und vor allem aber etwas mehr Informationen zu der Gesellschaft als Ganzem, über ihre Faszination für Körperveränderung hinaus, hätten hier Wunder gewirkt. Dass Viggo Mortensen wegen eines Pferdeunfalls nicht so mobil und sicher unter Schmerz war, half hingegen seiner Performance sehr. Ebenso war es schön Kristin Stewart hier sexuell völlig befreit und voller Emotionen zu sehen. Wobei irgendwann irritiert, dass ihre Emotion primär extreme Erregung, ob der Operationen ist. Generell irritierte etwas, dass neben dem gepeinigten älteren Herren, fast ausschließlich sehr attraktive, junge Frauen in das Spiel mit den alienartigen Skalpell-Maschinen involviert sind. Da zeigt sich einerseits vielleicht, dass Herr Cronenberg ein Old School-Regisseur des Genres ist aber sicher auch, dass er eben gerne mit Viggo Mortensen zusammenarbeitet. Was ja bereits bei A History of Violence (2005) oder zuletzt bei Eastern Promises (2007) sehr gut funktioniert hat.
So ist Crimes of the Future im Vergleich mit seinen anderen Werken routiniert, fast ein bisschen zahm auf der Ebene des Bodyhorrors. Sehr klar in seiner Botschaft und Gesellschaftskritik, aber leider dafür recht zäh und eintönig in Ablauf und Präsentation. Fans und Interessierte sollten dennoch einen Blick riskieren. Auch wenn moderne Klassiker wie Possessor oder zum Beispiel Titane (2021) von Julia Ducournau frischer und schockierender sind, leiden und dabei noch etwas lernen kann man auch auf dem angestaubten Operationstisch vom Großmeister des Genres.
Crimes of the Future (CA GR UK 2022)
Regie: David Cronenberg
Besetzung: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristin Stewart, Scott Speedman, Lihi Kornowski, Don McKeller, Nadia Litz, Tanaya Beatty, Tassos Karahalios
Kinostart: 03. November 2022, Weltkino