SPECIAL INTEREST – Endure


Foto-© Alexis Gross

One for the money and two for the show
Society of spectacle
The theory fucking blows
Repulsed by the system
That sleeps in wake
Enjoying disdain
As my conscious aches.

(Special Interest – Concerning Peace)

Zuerst das, was man einen Kavalierstart nennt. Unter der Haube von Cherry Blue Intention zuckt ein Breakbeat, der Bass hat ordentlich PS, hinter dem Steuer wird lautstark Liebe gemacht: „Whippin‘ around in a beat up pickup truck, however my desire burns deeply for your touch.“ Alli Logout heißt die nicht in sich gekehrte Sängerin von Special Interest. Man kann sie als nächstes Glied einer Entwicklungskette sehen, die sich über Nona Hendryx, Riot Grrrl und Beth Ditto ersteckt. Unerschrocken, nicht festgelegt, feministisch.

Alli kommt aus Texas, dort schrieb sie mit Gitarristin Maria Elena die ersten Songs. Im Lone Star State konnte man damit nichts anfangen, also zogen die beiden weiter nach New Orleans, wo Feiermentalität eine breitere Basis hat. Bassist Nathan Cassiani und Keyboarder Ruth Mascelli komplettierten 2016 das Line-Up von Special Interest. Endure ist ihr drittes Album, das erste für Rough Trade Records. Liebend gern wird für sie der Genrebegriff Dance-Punk ins Spiel gebracht. Feuriger Vortrag, Tempo und nagelnde Gitarren sprechen dafür. Und dann wären da die Texte.

2020 war für afroamerikanische Bürger der Albtraum. Eine Reaktion darauf findet man in (Herman‘s) House. Der 4/4-Beat könnte von Frankie Knuckles sein. House music all night long. Wichtig ist der Bezug zu einem Gebäude, das auf einer Beschreibung von Herman Wallace beruht. Der Black-Panther-Aktivist befand sich ab 1972 in Einzelhaft – wegen eines Mordurteils, das er Zeit seines Lebens abgestritten hat. Der Künstlerin Jackie Sumell erklärte er in Ferngesprächen, wie er sich sein Traumhaus vorstellt. Daraus entstand ein Dokumentarfilm, auf ihn nimmt Alli Bezug: „May the fires in the streets light the way, I dream in wake and I question my own delusion…building beyond this illusion, build it out like Herman‘s House.“ Ein Fanal für eine bessere Welt.

In Foul herrscht wildes Durcheinander, die Call-and-Response-Interaktion erinnert an die frühen B-52‘s. Interessant der (nicht nur an dieser Stelle eingeflochtene) Hinweis auf gewisse Genussmittel: „God I need a cigarette, been down so long, but knowing it‘s against the law, woo wooo woo.“ Was die Benimmpolizei denkt, tangiert Alli nicht. Sie gibt Gegengas. „Is love like Arab oil? Do we die for someone else‘s scheme?“, fragt sie in Kurdish Radio. People of Colour sind schön und gut, wenn sie fürs Vaterland sterben. Nicht, wenn sie die Straße überqueren. So die Ironie. Um ein anderes, auch dringendes Thema geht es in My Displeasure. Sirenen! Wirbelsturm! Hitzewelle! Katastrophen! Wenn man spürt, wie das Klima während der Jahreszeiten an einem Ort gleicher wird, ist man beunruhigt. Auch und gerade in New Orleans. Losgelöst geht es in Impulse Control und Concerning Peace zu. „Violence in its complexity is the only tool against indignity, no one will ever rest in peace when their value is less than property.“ Hier erfahren wir, wie man in den USA unter Spannung steht, wie dünn der Geduldsfaden ist. Am Ende etwas unerwartet ein zartes Zeichen für Versöhnlichkeit. „The end of the world is just a destination, I had to grow to love, yes and now I know I‘m not unworthy of love“, stellt Alli in LA Blues fest. Ein Song, der acht Minuten dauert und vom Feeling in Los…nein, Louisiana!…handelt.

Es ist so eine Sache mit Politik im Pop. Soll man oder soll man nicht? Grundsätzlich tritt Alli nicht wie beim Parteitag auf. Man hört, was sie sagt, aber sie tut es nicht so präzise wie, sagen wir, Billy Bragg. Nicht wie eine Person, die jeden Buchstaben betont. Und es gibt Drucknachlass. Midnight Legend etwa funktioniert unkompliziert wie in der Disco. Und man muss sich eben immer vorstellen, wie es für viele in den Staaten ist. Nicht so angenehm. Hinzu kommen die Probleme unserer Zeit. Da darf es schon mal gestattet sein, eine Meinung zu äußern.

Special Interest. Eine Band, die Alarm macht, Botschaften hat, Zug in die Sache bringt, Aufregung garantiert. So lässt es sich ertragen.

Special Interest – Endure
VÖ: 4. November 2022, Rough Trade Records
www.specialinterest.band
https://specialinterestno.bandcamp.com

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