WEYES BLOOD – And In The Darkness, Hearts Aglow


Foto-© Screenshot

Runnin’ from the turning
I swore I could be good enough
It’s a given thing
Sometimes our love is everlasting
It’s a given thing

(Weyes Blood – A Given Thing)

Hellwach liegt Natalie Mering aka Weyes Blood nachts in ihrem Bett, wenn die Gedanken kreisen und der Kopf einfach nicht zur Ruhe kommen will. Es ist dieses unendlich weite und erdrückende Gefühl der Isolation, das ein jeder spürt und das dabei inmitten einer so technologisch fortgeschrittenen Gesellschaft doch ein Paradoxon ist. Zwischen technologischer Hektik, der Schnelllebigkeit der Dinge und der damit einhergehenden Narzissmus-Müdigkeit sehnt sich das menschliche Herz nach Rückhalt und Authentizität. In ihrem neuen Album And In The Darkness, Hearts Aglow wirft die 34-jährige amerikanische Indie-Folkmusikerin Licht auf genau diese Themen.

War der Blick in ihrem von den Kritiker*innen hochgelobten Vorgängeralbum Titanic Rising aus dem Jahr 2019 als Vorahnung des kommenden Untergangs nach außen gerichtet, schauen die insgesamt zehn neuen Stücke tief ins eigene Innere. So eröffnet das Album mit dem wehmütigen It’s Not Just Me, It’s Everybody, das mit einem Intro aus wunderbar ätherischen Streichern beginnt, auf das Harmonien mit sanften Klavier-Akkorden und Merings engelsgleichen Mezzosopran folgen. “Living in the wake of overwhelming changes / We’ve all become strangers / Even to ourselves / We just can’t help”, singt die Musikerin in der zweiten Strophe des Stücks und beklagt den ideologischen Trugschluss, wenn Technik und Algorithmen uns nur scheinbar einander näher bringen und in Wahrheit der Mensch durch seinen Mitmenschen hindruch schaut. “Unsere Kultur verlässt sich immer weniger auf den Menschen”, erklärt Mering. “Irgendetwas stimmt nicht, und auch wenn das Gefühl bei jedem Einzelnen anders aussieht, so ist es doch universell.”

Auch das in den ersten Takten von Akustikgitarren getragene Country-folkige Grapevine stellt die schwindende zwischenmenschliche Verbindung und damit verloren gegangene Empathie in den Mittelpunkt: “If a man can’t see his shadow, oh / He can block your sun all day”. Über knapp fünfeinhalb Minuten bauscht sich der Track mit orchestralen Einschüben, Glockenläuten und 60er-Jahre-Flötensolo zugleich berauschend und merkwürdig beruhigend auf. Das darauffolgende God Turn Me Into a Flower wird von einem federleichten Klangteppich aus E-Orgelsounds und schwebenden Backing-Vocals getragen, während es inhaltlich als Sinnbild des kollektiven Hochmuts dient. Über alle Songs hinweg sind es dabei Merings einzigartige Stimme und Gesang, die trotz trüber Erkenntnis über unsere heutige Gesellschaft und der damit einhergehenden Desillusionierung einen unglaublich wohligen und tröstlichen Charakter haben. Die Kompositionen sind hier tief im Folk-Sound der 60er- und 70er-Jahre verankert, während die Musikerin gerne auch mal Stilelemente wie Fieldrecordings (Hearts Aglow), Drummachine-Sounds und Gesangsamples (Twin Flame) einfließen lässt. Den Schluss macht dann die Klavier-Ballade A Given Thing und gibt die eventuell einfachste und naheliegendste Lösung für all die Unbeständigkeit um uns herum, denn “Sometimes our love is everlasting / It’s a given thing”. Und sollte auch dieser Ratschlag zu unbeständig sein, ist der Grundtenor von And In The Darkness, Hearts Aglow vielleicht, dass wir das innere Gleichgewicht nur in unserem eigenen Herzen finden.

Weyes Blood – And In The Darkness, Hearts Aglow
VÖ: 18. November 2022, Sub Pop
www.weyesblood.com
www.facebook.com/weyesblood

Weyes Blood Tour:
28.01.23 Berlin, Festsaal Kreuzberg
03.02.23 Köln, Kulturkirche

YouTube Video

Robert Heitmann

Mehr erfahren →