Foto-© DCM / Wilson Webb
Doktor: „Ich bin mit den Daten solcher Fälle vertraut. Eine normale Schwangerschaftsdauer produziert ein gesundes Baby. Deshalb stimme ich der Abtreibung nicht zu. Die Herren?“
Joy: „Ein gesundes Baby, das ist alles? Keine Sorge um die Mutter?“
Doktor: „Nein.“
Als Call Jane im Januar beim Sundance Film Festival Premiere feierte, schien es wie eine Mahnung vor dem heraufziehenden Sturm: Amerika in den 1960er Jahren, eine Frau braucht eine Abtreibung, und sie wird ihr verwehrt. Der Film bringt uns zurück in die Zeit vor dem berühmten Fall Roe vs. Wade, in dem die US-Richter urteilten, dass es das verfassungsmäßige Recht jeder Frau sei, über einen Schwangerschaftsabbrüche selbst zu entscheiden – das Urteil also, dass der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 gekippt hat.
Gutverdienender Ehemann, Tochter, schönes Haus, nette Nachbarschaft: Joy (Elizabeth Banks) lebt den Traum der amerikanischen Vorstadthausfrau. Bis sie plötzlich ungeplant schwanger wird und es Komplikationen gibt: die Schwangerschaft wird für sie lebensbedrohlich, der einzige Ausweg ist ein Abbruch. Den zu bekommen, erweist sich jedoch zu dieser Zeit als unmöglich – zumindest auf legalem Wege. Hier entfaltet sich gleich zu Beginn eine der stärksten Szenen des Films: Wir sehen einen Tisch voller Männer, die darüber diskutieren, ob eine Abtreibung infrage kommen würde, um Joy das Leben zu retten, so als wäre sie selbst dabei nicht einmal anwesend. Wer jetzt denkt, dass das aus heutiger Sicht unvorstellbar ist: Seit der Aufhebung von Roe vs. Wade gibt es auch heute wieder US-Bundesstaaten, in denen die Abtreibungsgesetze die Gesundheit der schwangeren Personen aufs Spiel setzen. Ganz zu schweigen davon, dass diese in ihrer Not oft viel gefährlichere Maßnahmen ergreifen, um die Schwangerschaft auf eigene Faust zu beenden – auch dieses Thema wird in Call Jane aufgegriffen, als eine junge Frau Joy verschwörerisch den Rat gibt, sich einfach die nächste Treppe hinunterzustürzen, das habe „für sie auch super funktioniert.“
Joy sucht verzweifelt nach einem anderen Weg und findet schließlich zu den „Janes“, einer Gruppe, die im Untergrund Abtreibungen für andere Frauen ermöglicht. Erleichtert hofft Joy, nun mit ihrem sorglosen Leben in der Vorstadtidylle weitermachen zu können, doch kurz darauf wird sie von den Janes kontaktiert, um bei der nächsten Abtreibung Beihilfe zu leisten. Nach anfänglicher Skepsis beginnt sie, immer weiter in ihre Unternehmungen mit einzusteigen. So entspinnt sich die Geschichte einer Frau, die nie geplant hatte, politisch oder aktivistisch zu handeln – bis sie auf einmal mittendrin steckt.
Auf der einen Seite ist es ein bisschen schade, dass bei der Protagonistin in Call Jane wieder die Wahl auf eine weiße Frau aus der oberen Mittelschicht fiel, noch dazu eine mit einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft – wer hat für diese Situation schon kein Verständnis? Dass die Mehrheit der Personen, die Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen brauchen, Minderheiten angehören und sozial schwächer gestellt sind, bildet der Film nur teilweise ab. Auch ansonsten bleibt die Storyline recht arm an Überraschungen.
Dennoch: Trotz gewisser Vorhersehbarkeit ist Call Jane immer wieder fesselnd, was unter anderem an der schauspielerischen Leistung von Sigourney Weaver liegt, die eine mitreißende Anführerin der Janes abgibt. Spannend ist auch, dass Joys eigene Abtreibungsgeschichte nach der ersten Filmhälfte abgeschlossen ist; von da an geht es um die Geschichten anderer Frauen und Joys Kampf dafür, ihnen den Zugang zu Abbrüchen zu ermöglichen. In den USA schloss sich der Film mit Planned Parenthood zusammen und wurde in zahlreichen Abtreibungskliniken gezeigt, um Aufmerksamkeit für die Folgen des Gerichtsurteils zu schaffen. Zurecht, denn auch wenn das hübsche, leicht verqualmte 1960er-Setting so anmuten mag: Call Jane ist leider alles, aber kein Historiendrama.
Call Jane (USA 2022)
Regie: Phyllis Nagy
Besetzung: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Kate Mara, Chris Messina
Kinostart: 01. Dezember 2022, DCM