What’s coming through the day?
I want to peaceful affection
And I have hidden dreams
So deep you can’t understand them
(Agar Agar – Trouble)
Es ist 2017, die Anlage wummert, die Balkontür ist trotzdem offen, damit geraucht werden kann. Daft Punks letztes Album ist vier Jahre her. Irgendwann bekommt jemand mit Geschmack Kontrolle über die Playlist, und die Basedrum legt zielstrebig los. „It was dark and the moon was out“, singt Clara Cappagli und es passt einfach perfekt. Die Gelöstheit dieser Musik, ihre gleichzeitige Melancholie und natürlich das Absurde präsent im Text, in der Aufmachung, überall. Agar Agar sind da.
Sechs Jahre sind diese Erinnerungen alt, die Veröffentlichung der Single Prettiest Virgin ist sogar schon sieben Jahre her. Agar Agar – das sind Cappagli und der Produzent und Multiinstrumentalist Armand Bultheel – waren damals der heiße Scheiß. Sind sie sieben Jahre später immer noch Avantgarde? Nichts anderes kann der Anspruch sein für das Duo. Kennengelernt an der Kunsthochschule, Sozialisation über Videospiele, Promo im Internet – Agar Agar hat die Gen-Z-Karriereschule durchlaufen. Dabei sind die beiden schon 30. Mon dieu!
Player Non Player heißt die neue Platte passenderweise. Sie fügt sich nahtlos an den 2018er-Vorgänger The Dog & The Future sowie das kleine Corona-Projekt der Band an (auf diesem fand sich der wohl beste und passendste Songtitel des Jahres 2020: Aaaaah). Die Synthesizer sind wieder aufgedreht, die Song-Strukturen etwas durcheinander und der unkonventionelle Gesang Cappaglis stellt sich gern mal quer gegen alles, was im Hintergrund so passiert.
So ist Grass, der erste Track, direkt ein Tone-Setter, Synth-Pop mit dunkler Note, eine Mischung aus Minecraft-Mucke und Berliner Hinterhofparty. Die Beats sind geradeaus, die Gesangs- und Spoken-Word-Einlagen kontrastreich, die Band startet mit Tempo und dem titelgebenden Thema, Gaming und virtuelle Welten. The Visit setzt diesen Auftakt stoisch fort, und das Eintauchen in die Spielwelt geht mit sozialem Abkapseln einher: „I don’t want them, them to pet me, nor judge me, or care, them to feel me, nor lust me, or care or whatsoever.”
Ein Highlight ist die zweite Vorab-Single Trouble, die sich beim ersten Anhören abhebt. Armand Bultheel mixt hier ein klein wenig Depeche Mode, ein klein wenig Dubstep und ein halbes Dutzend Keyboard-Einstellungen zusammen, und das Ergebnis sind die tanzbarsten und besten vier Minuten Agar Agar seit vielen Jahren.
Der Spannungsbogen der Platte nimmt anschließend eine unerwartete Wendung. Auf meiner Wunschliste vor dem Album hätten atmosphärische Instrumentals weit oben gestanden, und auf Odile gibt es ein fantastisches Beispiel davon. Und die Harmonien des Songs werden auf dem Interlude Dragon und dem nächsten Hauptstück Dragonlie wieder aufgenommen. Hier beginnt ein Kapitel des Albums, das sich gehässig wohl mit Stoner-Musik betiteln ließe. Etwas weniger Variation, etwas weniger Tempo. Das bietet Platz für noch mehr Atmosphäre. Und unter dieser Oberfläche verbergen sich weitere pointierte Erzählungen zur Zerrissenheit zwischen der echten und der Bildschirm-Welt. „Still will I trust your fake names, tho will I fall for your stupid games“, singt Cappagli auf Fake Names. Ruhigere Rhythmen, viel Hall und verzerrte Synths prägen diesen Mittelteil.
Zu düster? Es gibt eine weitere Wendung, ein weiteres kleines Kapitel auf Player Non Player, die absurde Klimax natürlich. Mit Dude On A Horse (dem das Pferd abhandengekommen ist) kommt plötzlich ein japanisch-englisches Duett um die Ecke, das die träumerische Grundstimmung wieder mit einem ironischen Sternchen versieht. Auch hier funktioniert die Mischung aus betörendem Gesang und Gesprochenem perfekt.
Die beiden letzten Songs sind dann so etwas wie eine sehr langsame Schwarzblende, ein passender, aber zu einfallsloser Abschluss für das Album. It’s Over. Ein wenig ratlos lässt einen die Entscheidung des französischen Duos zurück, die meisten ihrer neuen Ideen in die ersten zehn Minuten zu packen (bis auf dem Typen und sein Pferd), um danach zu viel Altbekanntem zurückzukehren. Dass das Altbekannte auch auf einem – man kann es wahrscheinlich sagen – Konzeptalbum funktioniert, ist erfreulich. Doch von der Avantgarde hätte man noch etwas mehr erwartet. Die erste Hälfte von Player Non Player ist aufregend und nuanciert, die zweite Hälfte im Vergleich etwas flach. Um im Konzept zu sprechen: Die Spielmechanik wurde nur dezent weiterentwickelt. Es gibt ein paar neue Level, klar, aber im Grunde ist der Modus derselbe. Gut, dass dieser Modus so viel hergibt.
Agar Agar – Player Non Player
VÖ: 20. Januar 2023, Grönland Records
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