BLOND – geil & gleichzeitig unangenehm

Foto-© Hella Wittenberg

Mit Männer haben BLOND einen Song geschrieben, der adäquat zusammenfasst, was die deutsche Musiklandschaft zu oft immer noch ist: Eine Pimmelparty. Ob sich das bald ändert? Wir haben Nina, Lotta und Johann im November vor ihrer Show in Potsdam zum Interview getroffen. Im Gespräch blicken die drei zurück auf ihre erste eigene, fast restlos ausverkaufte Headliner-Tour, erinnern sich an ihre schlimmsten Pandemie-Momente und erklären, warum sie auf Festivals nicht nur vor ihrer eigenen Bubble spielen wollen. Und sie verraten, warum sich die Arbeit an ihrem neuen Album Perlen, das am 21. April erscheint, so ganz anders angefühlt hat als bei ihrem Debüt.

Wie geht’s euch?
Nina: Gut! Heute ist der vorvorletzte Tourtag nach einem Monat, alle hängen schon ein bisschen durch, aber die Laune ist noch top.

Eure Tour 2020 ist Corona-bedingt ausgefallen. Wie ist es, jetzt endlich wieder auf der Bühne zu stehen?
Johann: Wir hätten es uns nicht besser wünschen können. Es war nie leer, was man ja von anderen Künstler:innen ganz anders gehört hat. Es hat wirklich viel Spaß gemacht.
Nina: Es war richtig krass. 24 Konzerte, und wir mussten nichts absagen. Wir haben auf der Bühne auch immer wieder gesagt, dass wir dachten, nach uns spielt noch jemand. (lacht) Wir haben so viel Support gespielt, wir mussten uns erstmal klar machen, dass das jetzt unsere eigene Headliner-Tour ist.

Klingt aufregend! Welche Snacks stehen auf eurem Rider?
Johann: Lokales Bier.
Lotta: Und alles, was es so an veganen Süßigkeiten gibt.

Habt ihr da Favoriten?
Lotta: Ich find’s schön, dass der Trend bei veganen Gummibärchen inzwischen auch mal weg von Saurem geht. Vegane Gummibärchen sind ganz oft sauer und ich freu mich, dass es da inzwischen auch mal in eine klassische Richtung geht.

Can relate! Apropos: Für mich fühlen sich eure Songtexte oft so an wie Gespräche, die ich auch mit Freundinnen am Küchentisch führe. Wie kommen euch die Ideen für eure Texte?
Nina: Generell sind es schon immer Themen, die uns privat beschäftigen – also ja, schon so, wie mit einer Freundin am Küchentisch zu sitzen und sich drüber unterhalten, dass jemand zum Beispiel keinen Therapieplatz findet oder so. Das sind ja ganz klassische Sachen, die uns in unserem Umfeld begegnen.

In eurem Song Männer gibt es die Line „Muss ich sie einschüchtern, muss ich wie ein Mann denken?“ Was, wenn man da nicht mitspielen will? Wie versucht ihr, das vielleicht anders zu machen?
Nina: Wir haben uns inzwischen ein gewisses Standing erarbeitet, sodass wir vieles selber entscheiden können. Wenn’s um Verbands geht schauen wir zum Beispiel selbst, wen wir mitnehmen und unterstützen wollen. Wir haben ein Label selbst gegründet, auf dem unsere Musik erscheint, und da jetzt auch Power Plush aus Chemnitz mit aufgenommen. Das ist natürlich immer schön, wenn man so FLINTA-Personen bewusst unterstützen kann. Wir versuchen unsere Crew divers zu gestalten. Außerdem soll auf unseren Konzerten eine angenehme Atmosphäre für alle Menschen herrschen, nicht nur für irgendwelche Macker im Moshpit, die ihre Shirts ausziehen.

Oft ist das Publikum auf, sagen wir mal, sehr „männlich“ geprägten Festivals ja auch…entsprechend. Wollt ihr da überhaupt hin?
Nina: Das ist so verzwickt!
Johann: Ich will jetzt keine Namen nennen, aber es gibt gewisse Künstler, bei denen ist es dann eben vielleicht auch entsprechend unangenehm im Publikum. Wenn man das Line Up diverser gestalten würde, wäre wohl auch das Publikum diverser und offener.
Lotta: Ja, das ist super schwierig. Man will sich natürlich Raum nehmen, der einem zusteht und es ist Fakt, dass auf Festivals, auf denen 80.000 Menschen sind, auf jeden Fall auch FLINTA-Personen Platz haben sollten. Gleichzeitig weiß man, dass man sich dort vielleicht nicht wohlfühlen wird. Das ist schon öfter so gewesen, gerade bei den größeren Festivals – da wird dann halt Layla gesungen, während wir Soundcheck machen. Andererseits will natürlich trotzdem irgendwie dort stattfinden, weil man die Hoffnung hat…

…dass sich dadurch auch etwas verändert?
Lotta: Genau, denn man möchte ja auch nicht nur vor seiner eigenen Bubble spielen. Das ist ein Zwiespalt, denn gemütlicher ist es natürlich, wenn man nur dort auftritt, wo alle der eigenen Meinung sind. Aber wenn man mal ein Festival irgendwo spielt, wo die Menschen vielleicht noch nicht so viele Berührungspunkte mit feministischen Themen hatten, ist das ja auch cool und wichtig.
Nina: Es ist halt geil und gleichzeitig unangenehm. Dass der Typ, der #FreeLayla auf seiner Wange stehen hat und mit’m Bierhelm rumhängt, dann vor unserer Bühne steht, sich aus Versehen unsere Show anguckt und vielleicht doch noch irgendwie abgeholt wird.

Habt ihr das schon mal erlebt, dass ihr ein Publikum hattet, bei dem ihr gemerkt habt: Okay, die sind jetzt schon ein bisschen schockiert davon, dass auf der Bühne auf einmal offen über Menstruation gesungen wird?
Nina: Manchmal merkt man im Internet ein paar Tage später, dass man mal wieder irgendwo neue Leute erwischt hat, die dann Sachen kommentieren, bei denen man denkt: Wow, das scheint dich ja ganz schön zu stören, was wir da sagen. Und im Sommer hatten wir auch ein Festival, bei dem ich auf jeden Fall Angst hatte, auf die Bühne zu gehen, weil ich dachte: Ich weiß nicht, was jetzt passiert. Weil der Vibe so war, dass ich wusste, okay, das wird jetzt hier absolutes Kontrastprogramm.
Lotta: Das war auf jeden Fall unangenehm. Gerade zu einer Uhrzeit, wenn die Leute schon alkoholisiert sind. Wenn ich am Schlagzeug sitze, kann ich mir immer ganz gut das Publikum angucken und es sind schon oft ein paar ältere Herren dabei, die den Kopf schütteln, wenn wir fragen, wer aus dem Publikum gerade menstruiert. Aber ich muss sagen: Da freue ich mich dann auch einfach drüber. Das gefällt mir sehr. (grinst)

Feminismus, Sexismus, männlich dominierte Festivals – wie ist es eigentlich für euch, dass ihr ständig nach diesen Themen gefragt werdet? Nervt euch das auch manchmal?
Lotta: Ich würde mir wünschen, dass nicht immer nur FLINTA-Personen gefragt werden, die selbst betroffen sind, sondern auch mal die Typen-Bands auf diese Themen angesprochen werden. Manchmal will man auch einfach nur’n lockeres Interview haben, wo man einfach nur so rumspäßelt, aber meistens ist es dann halt mindestens eine schwere, tiefgründige Frage. Früher war das aber auch schon so: Da waren unsere Inhalte noch gar nicht so „feministisch“ oder „politisch“, und trotzdem hat uns niemand zu unserer Musik gefragt, sondern immer: „Wie fühlt es sich an, als Frau auf nem Festival zu spielen?“

Die Frage würde man einem Typen niemals stellen.
Lotta: Genau.
Nina: Das ist ja auch kein Thema, das nur uns etwas angeht, wenn es zum Beispiel um männlich dominierte Line Ups geht. Wir sind ja am Ende alle zusammen auf Festivals und die haben ja sicherlich auch eine Meinung oder ein Gefühl dazu. Ich glaube, dass zum Beispiel Männerbands sich freuen würden, wenn da nicht nur andere Männer um sie rumsitzen, weil es einfach ein geilerer Vibe ist, wenn in nem Raum nicht nur Typen sitzen.

Habt ihr dazu mit Kollegen schon mal Austausch erfahren?
Lotta: Naja, wenn wir zum Beispiel Songs zu solchen Themen releasen, dann bekommen wir schon auch viel Zuspruch von männlichen Kollegen. Aber es hilft ja nichts, wenn man sich nur privat dazu austauscht, das müsste dann eben auch mal öffentlich in einem Interview stattfinden oder so.
Nina: Die können halt Interviews geben, in denen sie die ganze Zeit über ihre Musik reden. Vielleicht kommen wir auch irgendwann an den Punkt, weil es total langweilig ist, zu fragen, wie es als FLINTA-Person auf Festivals ist – weil es einfach normal geworden ist.

Gute Überleitung – lasst uns über euer neues Album Perlen sprechen, das am 21. April erscheint. Wie war der Entstehungsprozess diesmal für euch?
Nina: Wir haben unser erstes Album rausgebracht – und kurz darauf war Lockdown. Wir haben all unsere Kreativität in dieses eine Album reingestopft und wollten live spielen, und dann war auf einmal alles, was uns blieb, Streaming-Kram zu machen. Irgendwann haben wir wieder angefangen, an neuen Sachen zu schreiben, aber wir hatten ganz lange eigentlich keinen Bock drauf, dachten: Wir sind nicht inspiriert, wir erleben nichts, wir hocken nur zuhause. Deswegen hat das relativ träge angefangen, im letzten Sommer dann aber Fahrt aufgenommen. Ich finde, es ist auch richtig gut geworden. Johann hat sich zum Beispiel während Corona selber produzieren beigebracht, somit konnten wir bei ihm in Chemnitz unsere Demos vorproduzieren und schon sehr viel zu dritt an den Songs arbeiten.

Hat das euren kreativen Prozess verändert?
Nina: Es ist ganz anders!
Johann: Ja, man hat ganz andere Möglichkeiten.
Nina: Ich finde, man hört, dass drei Jahre vergangen sind. Ich dachte immer: Boar, in Corona habe ich nichts erlebt, das war kompletter Stillstand. Aber wenn ich überlege ich, was bei uns persönlich in den zwei, drei Jahren passiert ist – man hat sich weiterentwickelt, die Art wie man über Sachen redet, was man erzählt oder wie man Musik macht, das hat sich alles krass verändert.

Wie schön.
Nina: Ja, irgendwie schon. Irgendwie dachte ich, es ist nur Scheiße passiert und man ist auf der Stelle getreten. Deswegen ist das mit der ausverkauften Tour jetzt auch so schön. Man hat schon ein bisschen Schiss gehabt und gedacht: Okay, kennt uns noch jemand? Fühlt das noch jemand?
Johann: Auch der erste richtige Festivalsommer, das war ja vorher nicht möglich. Immer nur diese Corona-Konzerte….

Habt ihr Sitzkonzerte gespielt?
Johann: Alles. Außer Autokinos.
Lotta: Das will ich in meinem Leben NIE wieder machen. Jetzt gerade, wenn ich hier in den Raum reinkomme und diese Stühle sehe, ich krieg richtig Beklemmungen. Es ist ja die eine Sache, wenn das Publikum sitzt und quasi nicht mit dir interagieren. Aber dann auch noch diese Lautstärkenbegrenzungen… man hat sich gefühlt wie ein Clown, der auf einer Bühne tanzt, weil es so leise war, dass die Leute es null gefühlt haben.
Nina: Man stellt halt komplett in Frage, was man macht. Wir gehen gerne ins Studio, wir machen gerne Musik, aber wir lieben es, live zu spielen. Wir lieben Konzerte vor Publikum, im Club, auf Festivals mit Leuten zu interagieren, und dann hast du da auf einmal Liegestuhlkonzerte, wo es sau leise ist, und du fragst dich: Warum macht mir so ein Auftritt keinen Spaß? Ist das jetzt die Zukunft? Ist das jetzt mein Beruf? Da verstehe ich, dass man ins Straucheln gerät – und denkt: Okay, mache ich jetzt überhaupt noch ein Album? Damit ich das dann vor Leuten, die auf Klappstühlen sitzen, spielen kann, als Hintergrundmusik? Zum Glück sind wir ja raus aus dieser Zeit – aber für Leute auf der Bühne war das wirklich Horror.
Lotta: Auch die ganzen Livestream-Konzerte: Du bekommst kein Feedback, hast extremen Aufwand, verdienst dabei kein Geld. Das war schon sehr unangenehm, weil man sich dadurch nicht wirklich wertgeschätzt fühlt.
Nina: Auch etwas, das in den zwei Jahren passiert ist: Dass wir uns Gedanken darüber gemacht haben, wie unser Beruf in der Gesellschaft wahrgenommen wird.
Lotta: Man hat keine Unterstützung bekommen, sollte aber gefühlt alle bespaßen. Alle, die zuhause waren, sollten sich ein cooles Livestream-Konzert anschauen oder lustige Podcasts hören können – aber am besten für umsonst, weil Künstler:innen das ja nur aus Spaß an der Freude machen. Davon kann ich mir aber nichts zu essen kaufen, nur weil Leute mich lustig oder unterhaltsam finden.

Bald kommt ja wieder der Spotify-Jahresrückblick raus. Was glaubt ihr, wie wird der bei euch dieses Jahr aussehen?
Nina: Hmm… wir haben viel Musik im Studio gehört, so 2000er, das, was wir früher gerne auf der Indie-Party gehört haben. Bloc Party, The Whitest Boy Alive, solches Zeug.
Johann: Ich hab The Strokes dieses Jahr für mich entdeckt – Spätzünder. Und The Libertines.
Lotta: Ich hab dieses Jahr viel Lizzo, Beyoncé und diese ganzen Pop-Sachen gepumpt. Das hat mir sehr gut gefallen, ich glaube also, mein Algorithmus ist zur Zeit sehr poppig. Der „Drinnies“-Podcast wird aber auch auftauchen.

Seid ihr vor Konzerten noch aufgeregt?
Johann: Gestern waren wir in Leipzig, da war ganz viel Familie da, das war sehr aufregend.
Lotta: Ich glaube das war so aufregend, dass wir heute bisschen chilliger sein könnten. Generell, diese Städte Leipzig, Berlin, Chemnitz – da kommen einfach alle Freunde, das ist immer am aufregendsten.

Wann seid ihr aufgeregter – wenn ihr als Support für Kummer vor der ausverkauften Wuhlheide spielt, oder bei eurem eigenen Gig?
Nina: Bei kleineren Shows. Wobei in der Wuhlheide natürlich auch alle Freund:innen da waren, von daher…
Lotta: Diese Zahl, 17.000 Leute, das nimmt man gar nicht richtig wahr. Erst später, als ich die Videos gesehen habe, habe ich gedacht: Wow, das waren schon ganz schön viele Leute.
Johann: Es kommt auch immer ein bisschen drauf an, mit welcher Erwartung man an den Auftritt rangeht. Bei der Wuhlheide hat man sich ja irgendwie vorbereitet, dass das groß wird. Beim Hurricane oder Southside zum Beispiel haben wir echt nicht so viel erwartet – und auf einmal war das Zelt so gerammelt voll, dass keiner mehr reinkam. Dann ist man plötzlich doch aufgeregt.
Nina: Hurricane und Southside waren SO schön!
Johann: Ja, das war echt unerwartet.
Lotta: Na, vielleicht hat das Publikum dort also doch Bock auf FLINTA-Bands.

BLOND Tour:
21.04.23 Berlin, Festsaal Kreuzberg – ausverkauft
19.-20.05.23 Konstanz, Campus Festival
28.-29.07.23 Dortmund, Juicy Beats
20.11.23 Dresden, Tante Ju
23.11.23 München, Muffathalle
24.11.23 Stuttgart, Im Wizemann
25.11.23 Freiburg im Breisgau, Jazzhaus
28.11.23 Frankfurt am Main, sankt peter
29.11.23 Köln, Live Music Hall
30.11.23 Hamburg, Uebel & Gefährlich
02.12.23 Berlin, Astra Kulturhaus
03.12.23 Leipzig, Felsenkeller

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Marit Blossey

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