Foto-© Warner Music
Don’t be sad for me
I’m a cartoon G
And my intent is to breathe
In a new world, don’t be sad for me
(Gorillaz – Skinny Ape)
In einer Szene des Musikvideos zu Silent Running (auch unten zu sehen), das erst Anfang Februar erschienen ist, sieht 2-D seinem sicheren Tod entgegen – er wird einer Art Dämon geopfert – und schaut mit leeren Augen noch einmal nach oben. Während eine Hand nach ihm greift, fließt ihm eine einzelne Träne aus dem Auge, in seinem Gesicht stehen Enttäuschung und Sehnsucht. Dieses Bild einer Cartoon-Figur, Leader einer virtuellen Band, in einem Film, den ohne Kontext kaum jemand versteht, fängt eine ganze Palette an zeitgemäßen Gefühlslagen ein, oder kurz gesagt: It’s a vibe. Ein ganz schön absurder Vibe, so absurd wie die Welt von Cracker Island, auf die uns Gorillaz entführen, so absurd wie die echte Welt.
Im Angesicht der Tatsache, dass das Gorillaz-Projekt 2012 an seinem Ende zu sein schien, sind die vergangenen sechs Jahre schon ein kleines Wunder. Vier Studioalben haben die Gorillaz seit 2017 veröffentlicht, vier Welt-Tourneen gespielt. Die produktivste Phase im 22-jährigen Bestehen der erfolgreichsten virtuellen Band der Welt ist in vollem Gange. Cracker Island ist der endgültige Beweis dafür und das beste Album der Band seit Plastic Beach. Zehn knackige Songs, weltklasse produziert, mit gerade genug Narrativ für das Label „Konzeptalbum“ und gerade genügend diversen Genre-Infusionen, dass es sich um einen Gorillaz-Klassiker handelt. Synth-Pop, New Wave, Funk, Reggaeton und mehr in unter 40 Minuten. Man muss Cracker Island schon allein deshalb mehrmals anhören, um alles von dem mitzubekommen, das Damon Albarn und seine Gäste in die Inseltour gepackt haben. Dabei ist wenig ganz Neues, sondern die musikalische Mission lautete eindeutig Perfektion der Gegenwart. Schließlich ist es zu einem Trademark von Damon Albarn geworden, mit Gorillaz eine Chronik der merkwürdigen Zeiten zu erstellen, in denen wir leben. Das gelang nicht zuletzt dank des konstanten Outputs seit 2016, der so überraschend kam.
Humanz nahm Trumps Präsidentschaft und das Gefühlt des kollektiven Absturzes bei gleichzeitigem Hedonismus vorweg. The Now Now war eine einsame Introspektion, wie sie zwei Jahre später durch Corona Realität wurde. Und die erste Ausgabe des Song Machine – Projekts war sowohl ein neuer Spin auf das Serien-Bonanza der Streaming-Ära, als auch eine Liste von Einzelabrechnungen mit Gegenwartsphänomenen, so wahllos und gleichzeitig vernetzt wie Twitter-Bubble-Konflikte.
Cracker Island führt all diese Gedanken fort, und bringt sie an einen metaphorischen Ort. Fans wie ich wünschen sich seit Ewigkeiten eine Art Plastic Beach 2, eine unfaire und unzeitgemäße Erwartung, ist doch gerade die Wandelhaftigkeit und stetige Bewegung das Markenzeichen von Gorillaz. Und doch kommt Cracker Island diesem Wunsch sehr nahe, auch wenn es diesmal nicht so sehr die materielle Dystopie um uns herum, sondern die soziale Dystopie in uns selbst ist, die mit dem Ort symbolisiert wird.
Der Title-Track und Opener, Cracker Island, ist die perfekte Immersion für diese Fantasiereise mit 2-D, Noodle, Murdoc und Hobbs. Diese Reise führt in eine Welt, in der okkulte Sekten in künstlicher Feindschaft leben und moderner Götzendienst regiert. Wie abwegig. Die Musik dazu ist energetisch, funky und großartig arrangiert. Bassist und Gastmusiker Thundercat fügt sich perfekt ein.
An hochrangigen Gästen mangelt es auch in der Folge nicht, aber sie lenken weder vom Kern des Albums ab (wie auf Humanz), noch machen sie es zu einer Compilation (wie im Song Machine Projekt). Das zeigt sich am Beispiel von Oil, in dem völlig überraschend und doch wie gerufen plötzlich Stevie Nicks auf den Plan tritt. Die hypnotisierende Synth-Melodie und die treibenden Kicks bestimmen den Song und bleiben im Kopf. Doch das Duett mit der 74 Jahre alten Fleetwood Mac Sängerin ist unsterblich.
“Then I put my codes, In the machine, But the world I found, Was made of faulty dreams.”
Schon die Eröffnung 2-D‘s macht klar, dass nicht nur in der Fiktion des Albums Erwartungen an eine neue Welt enttäuscht werden. Etwas schade, dass die Metapher von Cracker Island nur einen Song durchgehalten hat. In Oil geht es bereits explizit um das digitale Zeitalter und unseren Selbstverlust in der virtuellen Realität. The Tired Influencer macht diesen Bezug noch einmal expliziter, und auch ansonsten ist dies der geradlinigste, daher aber auch langweiligste Song des Albums. Die quasi als Meme eingebauten Hawaii-Sounds, die eine Pedal-Steel-Gitarre imitieren, sind nett, mehr aber auch nicht.
Die Müdigkeit verfliegt schnell im bereits eingangs erwähnten Silent Running. Ein zartes Lied, ergänzt durch die unauffällige, sich perfekt einfügende Stimme von Adeleye Omotayo. Introspektiv, hypnotisierend. Eine der wenigen gepfiffenen Melodien seit Pumped up Kicks, bei denen man nicht aus dem Fenster springen will. Harmonisch simpel und überzeugend, ist es eine Meisterleistung, dass Silent Running sowohl innerhalb der „Lore“ funktioniert und die Geschichte von 2-D und seiner verhängnisvollen Liebe zu einer Anhängerin eines rivalisierten Kults erzählt, aber gleichzeitig auch auf der Metaebene berührt und die Zerrissenheit ergründet, die Sucht und Sehnsucht in uns auslösen.
Spätestens dann sollte das Album die Fans endgültig gepackt haben. Da kommt der Vorab-Hit New Gold mit Tame Impala und Bootie Brown gerade richtig. Bootie Brown’s Strophen sind zwar eher oberflächlich und langweilig, die inhaltliche Aufarbeitung von Internet-Fame und sozialer Währung als Themen bleibt ebenfalls flach, das geht mit mehr Witz, wie alt-J 2021 mit Hard Drive Gold gezeigt haben. Doch Kevin Parkers Refrain allein macht New Gold („But in the magic cove, there’s a pretty one, I ask her where it goes ’cause I really want, I wonder if she knows that we’re underwater, that’s the way it goes in this city wonder”) zu einem Ohrwurm.
Baby Queen fällt aus der Erzählweise des Albums heraus. Damon Albarn verarbeitet hier relativ direkt einen Traum, den er in jüngerer Vergangenheit hatte und der an seine Begegnung mit der Prinzessin von Thailand im Jahr 1997 anknüpft. Der Sound wiederum wirkt immersiv und katapultiert einen zurück nach Plastic Beach. In diesen Momenten ist die Kontinuität im Schaffen der Gorillaz greifbar.
Das Album verlässt sich aber nicht allein auf Erfolgreiches der Vergangenheit, sondern spielt Facetten seines zentralen Themas Sucht, digitale Verlorenheit und sozialer Niedergang ab. Auf Tarantula ist es das Betörtsein, die giftige Wirkung von Abhängigkeiten in einer unverbindlichen Welt. Das melodische Thema reicht schon aus, um den Song zu einem wichtigen Stein im Mosaik von Cracker Island zu machen. Und auch Tormenta taucht in einen Einzelaspekt der Reise ab: Die Insel-Vibes. Zugegeben, Gorillaz mit Reggaeton-Beat klingen mehr nach Reggaeton als nach Gorillaz, doch das liegt auch daran, dass Gast Bad Bunny fast den gesamten Song singt. Er bringt die zwielichtige Stimmung des zynischen Sommersongs auf den Punkt. Dabei hälter auch einen intimen Moment fest, der in der überreizten Welt von Cracker Island keinen Platz hat. „pero en tus brazos me voy a a esconder, pa’ que no te encuentren, to’ el mundo siempre está pendiente, pero no saben lo que se siente, cruza conmigo antes que se rompa el puente“
Auf den starken Mittelteil folgt ein fulminanter Abschluss. Skinny Ape, das im besten Sinne Assoziationen zur frühen Musik von MGMT hervorruft, ist ein grandioser Zweiteiler. Er startet kontemplativ, dann schlägt er um. Der New-Wave-Electro-Part wirkt beim ersten Hören vielleicht noch befremdlich, doch passt er perfekt: Es ist ein Cartoon-Song, voller Plastik und bunter Musik, voller Effekte und Fantasie, und damit so herrlich nah an der Realität. Wieder geht es um eine Welt im Untergang und den Umgang mit dieser. Die Message, die das Narrativ des Albums vorsichtig weiterspinnt, ist eine von Empowerment und der Zuversicht trotz der eigenen Unzulänglichkeit.
Diese versöhnlichen Töne nimmt Possession Island auf und Albarn gelingt ein Kunststück, eine Gorillaz-Ballade. Dabei wird er von Beck unterstützt, der bereits auf Song Machine einen Gastauftritt hatte. Hinter der wunderschönen Klaviermelodie liegen verzerrte Synthesizer – der Schmerz hält an, aber die Entschlossenheit siegt. Der Refrain „We’re all in this together ’till the end“ richtet sich von den Gorillaz an die Gorillaz. Schizophren, aber was ist nicht schizophren in der Welt von Cracker Island, in unserer Welt?
Trotz der widersprüchlichen Gefühle, der diversen Einflüsse und diesen gegenüber teilweise etwas simplen Strukturen und Harmonien, ist Cracker Island ein Album aus einem Guss, wie ein verstörend perfekter Trip. So viele Synthesizer-Melodien, Riffs und Basslinien, so viel Hall und Verve bleiben im Kopf. Die begleitende Visualisierung von Jamie Hewlett trifft genau den gleichen Ton. Die Gorillaz scheinen auf einer Wellenlänge mit sich selbst zu sein, nicht immer in der Story, aber in der Realität, in der dies ein voll und ganz zufriedenstellendes Ergebnis zur Folge hat.
Gorillaz – Cracker Island
VÖ: 24. Februar 2023, Parlophone Records
www.gorillaz.com
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