POWER PLUSH – Coping Fantasies


Foto-© Janine Kuehn

Nothing that we do
Justifies your gaze
You’re the ones to blame
We’re not thе toys in your horrible game

(Power Plush – Leave Me Alone)

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Die rationale Problemlösung hat ausgedient, der Fortschrittsgedanke wackelt. Kein Wunder also, dass Power Plush sich gar nicht erst mit eckigen Bewältigungsmechanismen abgeben, sondern es direkt mit Bewältigungsfantasien versuchen: Coping Fantasies. Auf ihrem Debütalbum fragt sich die Chemnitzer DIY-Band wieder und wieder, wie man die ganze Scheiße bloß aushalten soll. Die Antwort scheint zu sein: Manchmal mit viel Plüsch, manchmal aber auch gar nicht.

Die Songs auf diesem ersten Album kommen aus einem Guss, auch wenn Maria, Svenja, Anja und Nino nach eigener Aussage keinen fixen Songwriting-Prozess haben. Alle Mitglieder tragen Texte bei, und alle drei Frauen Gesang. Der ist manchmal etwas zu dünn, sitzt noch nicht ganz gerade und variiert vor allem stark von Track zu Track. Das ist der experimentelle Charakter, auf Coping Fantasies, das ansonsten sehr erwachsen daherkommt für ein Debütalbum. Das liegt nicht zuletzt an den starken Texten, die zeitgemäß zwischen Melancholie und Trotz schwanken.

Nach dem etwas flachen (aber stark gesungenen) Butterfly starten die Vier mit ein paar Hits. Heavenly ist Radiomucke von der besseren Sorte, die Riffs sitzen, die Wort-Ton-Schere macht sich warm, sie hat viel zu tun in den nächsten 40 Minuten. Denn vor einer catchy Melodie geht es vor allem um Depressionen in der Quarter Life Crisis: “I got the whole world in front of me, She’s pressing her weight all over me, Life’s not supposed to be easy, But I didn’t ask for that”

Leave Me Alone ist der beste Track des Albums, in den Harmonien und dem Songverlauf hört man ein wenig Leoniden, das ist alles nichts Neues, aber dennoch etwas Eigenes – und vor allem merkt man gegen Ende, dass hier noch richtig was geht bei Power Plush. Mehr als ein bisschen 2010er Indie, vielleicht sogar ein bisschen Punk. Das spiegelt sich auf der Textseite, auf der sich die Chemnitzerinnen entschieden und ohne Verhandlungen gegen männliche Übergriffigkeit wehren. Gesellschaftliche „Gepflogenheiten“, die selbst dann noch für Frauen gelten sollten, wenn offensichtliche Grenzüberscheitungen stattfinden, werden abgeworfen. “Don’t want to speak with you, Look at you, Stand with you, Be nice to you, Anymore.”

Auf den Song folgt das Lagerfeuer-Kapitel des Albums, das vor allem viele gut eingewebte Anleihen enthält. Ein wenig Boy Pablo auf Nothing Left To Lose, ist das etwa Coldplay auf All I See? Auch Ähnlichkeiten zu Blond, auf deren Label Beton Klunker Tonträger Power Plush ihren Erstling veröffentlichen, gibt es viele. Musikalisch wird der Fokus mit Verlauf des Albums also etwas weiter, verliert sich vielleicht sogar ein wenig. Inhaltlich aber werden die Motive von Verlorenheit und Unsicherheit schön ausformuliert. So bringt She Changed den Album-definierenden Balanceakt zwischen „Es geht nicht mehr“ und „Es wird schon wieder“ auf den Punkt.

Zwei Perlen auf der Tracklist verstecken sich direkt nach dem austauschbaren Pop-Hit Emergency // Freeze, der wieder etwas unter dem zu dünnen Gesang leidet. Bei Girl, He Toxic ist das alles nämlich völlig egal. Die direkten Texte sind einfach erfrischend und machen so viel Spaß, dass man sich beim Mitsingen von „His Toxic Ass“ erwischt und es sich nicht einmal komisch anfühlt. Mit Songs wie diesem können sich die Newcomer eine Marke bauen, genauso wie mit Make Me Happy, das wieder mit starkem Gesang punkten kann. Außerdem liefert der Text hier das ambivalente Gegenstück zur feministischen Hymne Girl, He Toxic. „Now you love me, And I’m screaming for your help“. Das Abarbeiten an bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen, und sich gleichzeitig nicht ganz von ihnen lösen können – Nuancen wie diese zeigen das Potenzial der Band.

Andere Entscheidungen könnten gut und gerne zurückgenommen werden, zum Beispiel auf Song Nummer 11 (Goodbye) plötzlich Akustik-Gitarren und Rasseln auszupacken. Die Ballade hält aber auch eine weitere, positivere, Entscheidung parat: Nämlich die Kombination von allen drei Stimmen der Sängerinnen (und Gitaristinnen, und Bassistinnen). Es gehört zum Konzept der Band, dass sie ganz stilecht basisdemokratisch und Leader-los daherkommt, und hier funktioniert das besonders gut.

Mit ihren Ideen und ihrer Power ist noch vieles offen für Anja, Maria, Nino und Svenja. Mehr Pop für die große Bühne? 15-Uhr-Festival-Vibes perfektionieren? Eine Alternative Supergroup mit den Österreichern von Sharktank bilden und Geheimtipp in Brooklyn werden? Alles denkbar. In jedem Fall sollte die Band musikalisch ihrer Kreativität freien Lauf lassen und natürlich weiter ihren Namen zum Programm machen, denn wer so kraftvolle Gedanken in so viel Plüsch packen kann, hat seinen USP schon gefunden. Bisher ist die Kehrseite, dass Power Plush sich meist in sehr gewohnten Song-Strukturen bewegen. Man will ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich diesen Käfig bauen. Aber ein Vorschlaghammer aus Plüsch wäre wohl die konsequente Fortführung dessen, was die Band eigentlich ausmacht.

Power Plush – Coping Fantasies
VÖ: 10. Februar 2023, Beton Klunker Tonträger
www.powerplush.rocks
www.facebook.com/powerplushband

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Phillip Kaeding

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