NIELS FREVERT – Pseudopoesie


Foto-© Dennis Dirksen

Es war ein trockener Sommer
dicht stand der Mais
ein Okapi graste
am Rande des Weges.

War mal ‘ne weite Landschaft
bevor du sie runtergebrannt hast
war mal ‘ne weite Landschaft
bevor Du ‘n Hochhaus drauf gebaut hast.

(Niels Frevert – Weite Landschaft)

In die deutsche Stadionrock-Liga der Maffays, Westernhagens, Grönemeyers oder Niedeckens ist er nie aufgestiegen, auch bei Tocotronic, Blumfeld oder Die Nerven verortet er sich selbst wohl nicht. Denn Niels Frevert hat einerseits nichts Volkstümliches an sich, ein knackige T-Shirt-Slogans generierender Diskurspop-Intellektueller ist er aber ebenso wenig. Niels Frevert ist seit rund 30 Jahren – zunächst mit der sträflich unterbewerteten Deutschpop-Band Nationalgalerie, seit 1997 dann als Solo-Künstler mit durchweg hervorragenden Alben – einfach Niels Frevert. Ein intelligenter, dabei gänzlich uneitler Frontmann, Liedermacher, Singer-Songwriter, und nicht zuletzt ein toller Live-Musiker.

Seine neue Platte Pseudopoesie bekräftigt diesen Status, mit dem er sich in der Gesellschaft von Gisbert zu Knyphausen, Tristan Brusch, Thees Uhlmann oder Sven Regener (Element Of Crime) vermutlich am ehesten zuhause fühlt. Auf dem nach eigener Zählung zwölften Studioalbum seiner langen Karriere findet der Hamburger und “Teilzeit-Berliner” (für die Studiosessions) wieder mal Textzeilen zum Staunen und Bewundern.

Schon der Albumtitel verblüfft mit einer Ansammlung von sehr ähnlichen Buchstaben, die auf dem dunklen Cover eine fast halluzinogene Wirkung haben. Obwohl doch gerade Frevert nun wirklich kein “Pseudopoet” ist. “Die Plattenfirma meinte: Ja, Du kannst Dir so einen Titel erlauben. Andere Kollegen würden sich damit vielleicht ein Bein stellen”, sagt der 55-Jährige im Zoom-Gespräch und lacht. Nicht zuletzt sei Pseudopoesie doch auch “ein wirklich schön anzuschauendes Wort”.

Frevert erweist sich mit den zehn neuen Liedern erneut als einer der wenigen Texter in Deutschland, die ohne Parolen oder Kitsch auskommen und stattdessen treffliche Alltagsbeobachtungen und melancholische Gedanken zu einer ambitionierten, gleichwohl nahbaren Sprache formen. Textlich-thematisch ist Pseudopoesie ähnlich brillant wie der Vorgänger Putzlicht, den viele Popkritiker auf ihren Jahresbestenlisten für 2019 platzierten. Musikalisch findet die Platte eine gute Mischung aus mitsing- und tanzbaren Songs (Fremd in der Welt, Kristallpalast), Midtempo-Stücken (Träume hören nicht auf bei Tagesanbruch, Waschbeckenrand) und versonnenen Balladen (Klappern von Geschirr, Ende 17). Ganz prächtig klingt auch der entspannte Gitarrenpop von Tamburin.

Es ist mit 33 Minuten Laufzeit ein kompaktes Album, das dem Hörer aber nicht kurz vorkommt. Weil es so randvoll ist mit Klugheit und Schönheit – angefangen beim kraftvollen, gegen Ende streichersatten Opener Weite Landschaft bis hin zum autobiografischen, sehr ehrlichen Abschluss-Track. Aus dem von Tim Tautorat abwechslungsreich und zugleich kohärent produzierten Songreigen ragt etwa Rachmaninow heraus. Ein schwermütiges Lied, in dem Frevert seine Verehrung für den Spätromantik-Komponisten schildert, freilich mit aktuell erweiterter Bedeutungsebene: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine schwingt hier mit.

“Es geht da tatsächlich um ein Gefühl von Zerrissenheit”, erklärt Frevert. “Weil mir dieser Krieg auch deswegen so unter die Haut und an die Nieren geht, weil ich eben mit der russischen Kultur so sympathisiere. Weil ich russische Schriftsteller bewundere, weil ich russische Komponistinnen und Komponisten bewundere, weil mein Lieblingsautor Joseph Roth ukrainischer Herkunft ist. Weil ich dabei so viel fühle.”

Besonders gelungen ist auch Ende 17, ein Stück über die eigenen Anfänge. “Das ist tatsächlich meine Geschichte zu der Zeit, also etwa 1985. Ich war damals zu früh dran, habe mich eigentlich überfordert, weil ich ein Spätentwickler war”, erzählt Frevert. “Ich stand also mit 17 spät nachts in irgendwelchen Musikertreffpunkten herum und wusste gar nicht, wie mir geschah, ich hatte nichts zu melden.” Zu melden hat Niels Frevert längst eine Menge in der deutschen Songschreiber- und Pop-Szene. Mit Pseudopoesie kommt in seiner mehr als respektablen Diskografie nun ein weiteres Schmuckstück hinzu.

Niels Frevert – Pseudopoesie
VÖ: 24. März 2023, Grönland Records/Rough Trade
www.nielsfrevert.net
www.facebook.com/nielsfrevert

Niels Frevert Tour:
19.04.23 Bremen, Lagerhaus
20.04.23 Hannover, Pavillon
21.04.23 Hamburg, Markthalle
22.04.23 Berlin, Lido
23.04.23 Leipzig, Moritzbastei
26.04.23 Köln, Gloria
27.04.23 Mainz, KUZ
28.04.23 Schorndorf, Manufaktur
29.04.23 München, Strom
30.04.23 Mannheim, Alte Feuerwache
09.05.23 Erfurt, Zentralheize
11.05.23 Freiburg, Waldsee
12.05.23 Ulm, Roxy
13.05.23 Dortmund, FZW
18.05.23 Dresden, Scheune
19.05.23 Magdeburg, Moritzhof
20.05.23 Rostock, Peter Weiss Haus

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Werner Herpell

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